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Wirtschaft: Brachiales Arrangement

Es stehen ein paar dicke Autos vor der Dresdner Bank am Brandenburger Tor. Es ist Freitag abend.

Es stehen ein paar dicke Autos vor der Dresdner Bank am Brandenburger Tor. Es ist Freitag abend. Ferienbeginn in Berlin. "Und doch sind 90 Prozent der Eingeladenen da." Das erfreut Werner Gegenbauer, den Präsidenten der Berliner Industrie- und Handelskammer. Weil es seinen Kurs bestätigt, sagt er. Und weil Spalten nichts bringt.

Gegenbauer ist froh, dass sie ihn nicht allein gelassen haben, seine Kammermitglieder. Mit dem Wirtschaftssenator. Weil das ja jetzt Gregor Gysi ist. Von der PDS. An diesem Freitag Abend, als sie sich auf neutralem Boden treffen, das war ein Test. Sie sind alle da, als der frühere Senator Klaus Riebschläger Gregor Gysi begrüßt: Die Chefs vom Adlon und die von den Berliner Wasserbetrieben, die von der Flughafenholding, von Alba und die vom Stadtmöblierer Wall. Dresdner Bank, Messe Berlin, Wissenschaft, S-Bahn, BVG, Partner für Berlin.

Der Test ist gelungen, meint Gegenbauer. Das zeige, wie recht er hatte, als er auf die PDS zuging und der rot-roten Koalition in Berlin die Zusammenarbeit anbot. Erster Ferientag! Das ist ein Heiligtum in Berlin. Und dann sitzen sie um ihn herum. Und buchstabieren das Wort "gemeinsam". Gemeinsam müsse man die Probleme angehen, sagt Gysi und alle nicken.

Gysi wirbt jetzt um sie, die Wirtschaft. Nachdem er sich auf dem Neujahrsempfang der IHK nicht hatte blicken lassen, hatte es ein bisschen Unruhe gegeben bei der Wirtschaft. Der neue Senator wolle wohl doch nichts von ihnen wissen, hieß es. Das hat sich geändert. Gysi arbeitet. In kleinen und in großen Runden am Donnerstag und Freitag, bei Gesprächen mit den Verbänden und Empfängen der Gebäudereiniger in der nächsten Woche. Bei der Immobilienwirtschaft am vergangenen Mittwochabend. Um aus der "Verwaltungshauptstadt" wieder eine "Chancenhauptstadt" zu machen. Wenn Gysi nicht dazu kommt, Offenheit und Ohne-Vorurteil-Auf-einander-zugehen zu fordern, tun es die Anderen.

Sie haben sich gegenseitig nicht ausgesucht. Aber sie sind brachial entschlossen, sich miteinander zu arrangieren. Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, sagt, wie sonderbar es sei, dass man nun hier sitze im neu gebauten Haus der Dresdner Bank am Brandenburger Tor. Am 1. Februar 1989 hat er auch zusammegesessen mir Gregor Gysi. Bei der Versammlung der Rechtsanwälte der DDR. Erstaunlich, was in 13 Jahren so alles möglich sei. Lothar de Maizière wundert sich immer noch darüber. Er ist der Einzige. Die anderen sitzen im Saal und haben sich zwar noch nicht an den PDS-Wirtschaftssenator gewöhnt. Aber wundern tut sie gar nichts mehr.

"Imagemäßig kommt er von ganz unten", sagt einer hinterher, "da kann er nur gewinnen." Er habe es nicht ernst gemeint mit ihnen, meint ein anderer. "Wir können es nicht ändern", resigniert ein Dritter, der sagt, er habe schon so viel überlebt in Berlin, dass ihn ein Wirtschaftssenator von der PDS auch nicht mehr schreckt. Gysi habe nur geplaudert, meint einer, der mehr erwartet hat als eine Aufwärmrunde. Dabei hat noch nie jemand so ernsthaft geplaudert in Berlin wie Gregor Gysi an diesem Abend. Er erzählt, referiert, ulkt, zwinkert, monologisiert, anekdotisiert. Er wirbt um sie. Oder doch wenigstens um ihr Gelächter. Was hat die Berliner Wirtschaft gemeinsam mit einem Sozialisten? Sie wollen alle weniger Bürokratie. Und mehr Investoren. "Arbeitsplätze", sagt Gysi, "sind das Kernproblem." Solange er vom Blatt liest, überwiegen in der Tat die Gemeinsamkeiten. Das ist kein Wunder. Denn das Blatt, das ist die Stimme der IHK mit rosa Anstrich. Gysis Staatssekretär Volkmar Strauch war vorher einer der angesehensten IHK-Mitarbeiter in Berlin. Und seine Verpflichtung in der knallroten Wirtschaftsverwaltung hat schwer Eindruck gemacht.

Das Manuskript der Rede geht also in Ordnung: Große Probleme, aber auch große Chancen. Prima neuer Senat, der nicht alles anders, aber vieles besser machen will. Klasse Wirtschaftsverwaltung, die er da übernommen hat. Die noch besser werden kann. Weniger Bürokratie und so, Investorenleitstelle. Ein paar kalkulierte Versprecher, "Rezension", wo Rezession gemeint ist zum Beispiel. Das hört man gern von Einem, der gekommen ist, um zu lernen.

Und dann löst sich der Blick des Senators vom Blatt. Gysi guckt in die Runde. Und schlägt den versammelten Wirtschaftsleuten mal locker die Maschinensteuer vor. Das habe er noch nie verstanden, dass die niemand wolle. Sei doch eine spannende Idee, Produktivitätszuwachs statt Beschäftigung zu besteuern. Der Senator wirkt ein bisschen überrascht über die Reaktion. Wenn er das früher gefordert hat, war das immer der Knaller. In allen Runden, an denen Finanzpolitiker oder Unternehmer beteiligt waren, kam es spätestens dann zum kalkulierten Aufruhr. Eine Produktivitätssteuer - damit besteuert man im Grunde Investitionen, also Wachstum. Entlastet wird dagegen die Arbeit. Unterm Strich aber, das sagen die meisten Volkswirte, hat keiner etwas davon. Weil es ohne Wachstum keine Arbeit gibt.

Gysi weiß das natürlich. Deshalb hat er eine Rückfallposition. Er will die Maschinensteuer nämlich nur dann, wenn sie alle wollen. Wenn sie quasi global eingeführt wird. Das kann er als Berliner Wirtschaftssenator natürlich nicht alleine. Und die anderen wollen ja nicht.

Die Ausrede hätte er am Freitag gar nicht gebraucht. Die Berliner Unternehmer bleiben nämlich ungerührt. Maschinensteuern wären ihnen ziemlich egal, das merkt man sofort. 80 Prozent der Wirtschaftskraft der Stadt bestehen schließlich aus personalintensiven Dienstleistungen. Und nicht einmal überwiegend aus solchen, bei denen es Produktivitätszuwächse zu besteuern gäbe.

Dann wird es ernst. Begriffe wie "Klinikum Steglitz", "Flughafen", "ausländische Investoren" fallen. Nach der privaten Business-Hochschule wird gefragt, nach dem Haushalt, nach der Bankgesellschaft. Nach den Marketinganstrengungen für Berlin. Gysi hört zu, schreibt mit. Er antwortet viel.

Erster Ferientag! Gregor Gysi schafft es, dem Präsidenten der IHK, Gegenbauer, zuzumurmeln, dass er nach Hause muss. Weil seine Familie in Urlaub fährt. Er aber nicht. Wegen der Aufgabe. Die man hat, wenn man Wirtschaftssenator in Berlin ist. Werner Gegenbauer strahlt. Schon wieder.

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