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Lippenstifte in den USA enthalten unter anderem Blei. In Deutschland ist das verboten.

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Bringt TTIP diese Kosmetik nach Deutschland?: Blei in Lippenstift und Teer in Schampoo

Nicht nur Fleischwaren wie das viel diskutierte Chlorhühnchen enthalten in den USA andere Substanzen – auch Kosmetika mit umstrittenen Inhaltsstoffen könnten durch TTIP nach Europa gelangen.

Fast elf Milliarden Dollar Umsatz machen US-Kosmetikfirmen allein mit Shampoos und Spülungen auf dem amerikanischen Markt jährlich. Drei Milliarden setzen Deodoranthersteller um. Männer und Frauen in der westlichen Industriewelt benutzen im Schnitt täglich immerhin 15 Kosmetikartikel: vom Shampoo, der Seife, der Zahnpasta, dem Badezusatz über Cremes aller Art, Rasierschaum, Nagellack oder Lidschatten. Und der US-Markt mit einem Gesamtvolumen von etwa 60 Milliarden Dollar hat noch Wachstumspotenzial, genauso wie der europäische mit einem Umsatz von etwa 72 Milliarden Euro. Letzteres sehen US-Firmen mit großem Interesse. Aber wer die Produkte in den Vereinigten Staaten kauft, bekommt etwas anderes als in Europa. 1378 gesundheitsgefährdende oder umweltschädliche Stoffe sind in der Europäischen Union als Bestandteil von Kosmetika verboten. In den USA ist die Liste kürzer, nur elf Stoffe stehen darauf.

US-Verbraucherschützer kämpfen mit Blei in Lippenstiften, im Nagellack oder in der Zahnpasta. Krebserregende Teere und Farbstoffe werden als Bestandteile von Haarpflegemitteln verarbeitet.

Tierversuche gehören in den USA zum Standard

Tierversuche zum Test der Produkte, in Europa verboten, gehören in den USA außerdem zum Standard. Seit 75 Jahren sei die Liste der verbotenen Stoffe nicht ergänzt worden, klagen jetzt US-Politikerinnen. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein und die Republikanerin Susan Collins haben deshalb im Frühjahr ein Gesetz zur Erweiterung der Liste eingebracht. „Der Gebrauch von Pflegeprodukten ist weit verbreitet, doch es gibt wenige Regeln, um deren Sicherheit zu garantieren“, begründete Feinstein ihren Vorstoß. Das Schicksal der Gesetzesvorlage ist jedoch ungewiss.

Nun könnten diese Fragen auch für europäische Verbraucher virulent werden: Im Rahmen der Verhandlungen über ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) beraten europäische und amerikanische Unterhändler über das Nebeneinander der jeweiligen Normen. Amerikanische Produkte mit in Europa verbotenen Substanzen könnten im Zweifel auf den deutschen Kosmetikmarkt kommen, den umsatzstärksten in Europa. Der bleibelastete Lippenstift hat deshalb das Potenzial, das neue Chlorhühnchen zu werden, über das in Deutschland seit Monaten diskutiert wird.

Bisher wurde keine klare Regelung gefunden

Bei der 9. TTIP-Verhandlungsrunde im April in New York stand der Verbraucherschutz auf dem Beratungsplan. Es waren zähe Gespräche. Im Anschluss beschwerte sich der US-Chefunterhändler Dan Mullaney überraschend deutlich über die Hürden, die die EU aufstelle, insbesondere auch für gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel. „Es ist wichtig, uns daran zu erinnern“, mahnte er, „was auf dem Spiel steht.“ Mit TTIP hätten die USA und Europa eine Jahrhundertchance für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Amerika und Europa. „Wir können beweisen“, versprach Mullaney, „dass man Standards nicht opfern muss, um wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen.“ In Hinblick auf bleierne Lippenstifte muss der Beweis aber erst noch erbracht werden. In der nächsten Woche kommen die Unterhändler zur 10. Verhandlungsrunde in Brüssel zusammen.

Vor New York stand für die Kosmetikindustrie zunächst die gegenseitige Akzeptanz der Listen erlaubter und verbotener Stoffe in den Verhandlungspapieren. Diese Formulierung, die den Markt weit geöffnet hätte, wurde in der 9. Verhandlungsrunde immerhin gestrichen. Sie ist allerdings durch keine eindeutige Regelung ersetzt. Eine „große Auswahl an Kosmetikprodukten“ solle dem Konsumenten zugänglich sowie eine „größere internationale Harmonisierung der Kosmetikregulation“ verwirklicht werden, heißt es.

Auch der Einsatz von Nanotechnologie ist ungeklärt

Bei neuen Fragen wie zur Verwendung von Stoffen aus der Nanotechnologie – der Kleinststoffe – soll „gemeinsam auf eine gute Regulierungspraxis“ hingearbeitet werden. Was die Tierversuche angeht, haben EU- und US-Seite bisher lediglich vorgeschlagen, „die Entwicklung alternativer Testmethoden zu fördern“.

In Deutschland kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) den Verhandlungsstrang schon lange. Insbesondere gefährdeten die TTIP-Verhandlungen die anstehende Regulierung hormonell wirksamer Stoffe. „Chemieindustrie und US-Vertreter versuchen gemeinsam, über TTIP eine strenge EU-Regulierung zu verzögern“, heißt es in einer BUND-Analyse. Auch die deutschen Grünen fordern, dass Kosmetik europäischen Sicherheitsanforderungen entsprechen müsse. Das Verbot für Tierversuche dürfe nicht ausgehöhlt werden.

Noch ist der Blick Washingtons auf das weit gediehene transpazifische Handelsabkommen gerichtet. Der Kongress hat jedoch den US-Präsidenten gerade mit einem Mandat für einen Abschluss dieser Verhandlungen ohne Parlamentszustimmung ausgestattet. Es wird erwartet, dass Barack Obama dann bald auch für TTIP auf einen Abschluss noch während seiner Amtszeit dringen wird. Die beiden historischen Handelsabkommen werden als Teil dessen betrachtet, was Obama als politisches Vermächtnis hinterlassen will.

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