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Wirtschaft: Bürokratie bremst Ich-AG-Gründer

Neue Regeln sollen Missbrauch beenden – sie schaden aber pfiffigen Unternehmern, sagen Experten

Berlin - Experten sehen die verschärften Regeln für Firmengründer im Rahmen einer Ich-AG mit Skepsis. „Die neuen Bestimmungen werden zu mehr Bürokratie führen – genau das wollte man mit der Ich-AG-Regelung aber verhindern“, sagte der Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher dem Tagesspiegel am Freitag. Buscher ist Abteilungsleiter beim Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Damit macht es der Staat potenziell erfolgreichen Existenzgründern unnötig schwer.“ Andere Forscher verwiesen aber zugleich darauf, dass der Missbrauch der Ich-AG-Regeln durch Arbeitslose eingedämmt werden müsse.

Ich-AGs gibt es seit Anfang 2003 – sie wurden im Zuge der Hartz-II-Gesetze ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, Arbeitslose zur Gründung eines eigenen Unternehmens zu ermutigen und so die Beschäftigungskrise zu lindern. Ende Juli gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit insgesamt 149800 Ich-AG-Betreiber. Sie bekommen für die Dauer von drei Jahren von ihrer Arbeitsagentur eine Förderung: 600 Euro pro Monat im ersten Jahr, 360 Euro im zweiten und 240 Euro im dritten. Zurückzahlen müssen sie nichts. Ob sie sich tatsächlich als Unternehmer versucht haben, wird nicht überprüft. Erst wenn sie mehr als 25000 Euro Umsatz machen, verlieren sie ihren Förderanspruch.

Das soll sich nun ändern: Ab 2005 müssen Arbeitslose, die vor weniger als einem Jahr ihre Stelle verloren haben, ein Geschäftskonzept vorlegen. Das hat jetzt das Bundeswirtschaftsministerium erklärt. Erst wenn Fachleute diesen Plan geprüft und für chancenreich befunden haben, bekommen die Gründer Geld von der Agentur. Wer langzeitarbeitslos ist und ab nächstem Jahr das neue Arbeitslosengeld (ALG) II bekommt, hat hingegen gar keine Chance mehr auf eine Ich-AG-Förderung. Stattdessen soll es ein so genanntes Einstiegsgeld geben, das ein Arbeitslosen-Betreuer der Agentur als flexiblen Zuschuss bewilligen kann.

Hintergrund: Auf diese Weise will die Regierung verhindern, dass ALG-II-Bezieher eine Ich-AG gründen. Damit hätten sie sich weiterhin Bezüge gesichert, ohne der Agentur gegenüber ihre Vermögensverhältnisse offen legen zu müssen. Diese Praxis hatten in den vergangenen Tagen Sozialberatungsstellen empfohlen.

„Für Ich-AG-Gründer, die Aussicht auf schnellen Erfolg hatten, sind diese aufwändigeren Lösungen ärgerlich“, sagt IWH-Mann Buscher. Andere Arbeitsmarkt-Forscher halten die schärferen Regeln indes für „überfällig“. „Das hätte man gleich von Beginn an so machen müssen“, findet Martin Werding vom Ifo-Institut in München. Derzeit sei dem „erheblichen Missbrauch“ Tür und Tor geöffnet. „Und durch die Diskussion der vergangenen Tage weiß nun jeder Arbeitslose von dem Ich-AG-Schlupfloch – es hätte also eine Flut von Ich-AG-Anträgen gegeben, wenn die Regierung nicht gehandelt hätte.“ Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hofft, dass die Ich-AG-Regelung nun effektiver wird. „Höhere Hürden bei der Firmengründung sorgen dafür, dass Geschäftsideen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, keine Chance mehr auf Förderung haben“, befindet er. Ohnehin sei die Wirkung der Ich-AG auf den Arbeitsmarkt insgesamt mäßig. „Das Problem der Beschäftigungskrise wird damit nicht gelöst“, sagt er.

In welchem Ausmaß die bisherige Ich-AG-Regelung die Arbeitslosigkeit gesenkt hat, soll nun eine wissenschaftliche Studie der Regierung klären, die derzeit anläuft. Danach wisse man auch, wie hoch eventuelle Mitnahmeeffekte seien, heißt es im Wirtschaftsministerium. Generell gilt bei Existenzgründungs-Experten als Daumenregel, dass von fünf gestarteten Firmen nach drei Jahren nur noch zwei auf dem Markt übrig geblieben sind.

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