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"Ich bin für den Ausbau erneuerbarer Energien, man darf aber nicht so tun, als müsse man nur einen Schalter umlegen", sagt Kohler. Hier das AKW in Bibilis.

© dapd

Chef der Energieagentur: "Ein rascher Ausstieg ist nicht machbar"

"Man darf nicht so tun, als müsse man nur einen Schalter umlegen." Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energieagentur, spricht im Interview über die Zukunft von Atomstrom und Öko-Energie.

Herr Kohler, plötzlich wollen alle Politiker binnen kurzer Zeit auf die Atomkraft verzichten. Wie finden Sie das?

Ich hätte mir nie träumen lassen, dass selbst Parteien, die gerade noch treue Atomkraft-Anhänger waren, nun aussteigen wollen. Wenn aber jetzt dieselben Leute, die vor kurzem noch für eine Verlängerung der Laufzeiten argumentiert und sie durchgesetzt haben, nun einen Ausstieg 2014 oder 2015 propagieren, habe ich gewisse Bauchschmerzen.

Warum?

Ich halte einen raschen Ausstieg bis 2015 nicht für machbar. Es sind zunächst immense Investitionen nötig – in neue, fossile Kraftwerke, in neue Leitungsnetze und Speichertechnologien. Das geht nicht von heute auf morgen.

Sind Sie ein Bremser?

Man muss auf die Fakten schauen. Wir sind ein Industrieland und brauchen eine sichere Stromversorgung zu konkurrenzfähigen Preisen. Zugleich wollen wir das Klima schonen und nun auf die Atomkraft verzichten, was ich für richtig halte. Und es geht bei Investitionen in die Energieversorgung nicht um Bauchentscheidungen, sondern um langfristige Projekte. Die Regierung will, dass 2020 rund 40 Prozent des Stroms aus grünen Quellen kommen. Heute sind es 17 Prozent. Allein dafür sind 4500 Kilometer neue Stromtrassen nötig. Hinzu kommen bis zu 12 000 Megawatt neue, fossile Kraftwerke für eine gesicherte Versorgung, weil Wind und Sonne ja nicht immer verfügbar sind.

Der Umwelt-Sachverständigenrat hält einen Atomausstieg bis 2015 für möglich, das Umweltbundesamt bis 2017.

Das halte ich nicht für machbar und nicht für sinnvoll. Wir müssten alte, schmutzige Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nehmen. Oder Atomstrom aus den Nachbarländern importieren. Das ist widersinnig – wir steigen aus und lassen uns von grenznahen französischen Meilern wie Fessenheim oder Cattenom versorgen. Ein Ausstieg ist 2020 oder 2022 machbar. Ich bin für den Ausbau erneuerbarer Energien, man darf aber nicht so tun, als müsse man nur einen Schalter umlegen.

Die Hoffnung auf eine rasche Energiewende ist also Träumerei?

Der Umwelt-Sachverständigenrat oder das Umweltbundesamt lassen in ihren Studien den nötigen Netzausbau und die Systemstabilität völlig außer Acht. Dabei ist das Netz der Flaschenhals. Windstrom etwa wird im Norden produziert, aber im Süden gebraucht. Schon heute müssen Windräder zeitweise abgeregelt werden, weil die Leitungen nicht vorhanden sind. Und Freunde neuer Netze gibt es nicht viele, die Leute finden Stromtrassen in ihrer Landschaft nicht besonders hübsch. Wir sind aber nun einmal ein demokratischer Staat mit Bürgerbeteiligung.

Der Verzicht auf die acht alten Atommeiler scheint problemlos möglich zu sein.

Jetzt, im Frühjahr, ist die Stromnachfrage geringer, da funktioniert es mit der Optimierung des Kraftwerksparks und der geplanten Verschiebung von Revisionen in anderen Kraftwerken. Den höchsten Verbrauch gibt es zwischen November und Februar. Da wird es schon schwieriger.

Muss es nun mehr Subventionen für erneuerbare Energie geben? Zuletzt wurde die Solarförderung zurückgefahren.

Nein. Die Einspeisevergütung für Fotovoltaik zu senken war richtig, weil auch die Kosten deutlich gesunken sind. Wir müssen aber auch die Eigenheiten der erneuerbaren Energien beachten, besonders bei Sonne und Wind. Das Jahr hat 8760 Stunden, davon produzieren Solarzellen 850 Stunden Strom und Windräder 1700 Stunden. Für die Lücke sind konventionelle Kraftwerke unverzichtbar, die man schnell hoch- und runterfahren kann. Das wird auch noch 2030 oder 2050 der Fall sein. Die Bürger und die Fabriken wollen ja rund um die Uhr Strom haben.

Viele hoffen auf den Fortschritt der erneuerbaren Energien.

Sonne und Wind werden mehr leisten, auch durch die zunehmende Offshore-Erzeugung. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Energieerzeugung aus Wind und Sonne nicht bedarfsgerecht gesteuert werden kann und wir daher das Energiesystem darauf ausrichten beziehungsweise umbauen müssen. Zudem benötigen Erneuerbare auch viel Fläche. Ein großes Potenzial hat Biomasse, aus der man Biogas gewinnen kann. Das lässt sich ohne großen Aufwand ins Gasnetz einspeisen, lässt sich speichern und in Blockheizkraftwerken zur Stromerzeugung nutzen.

Der Umbau wird also teuer.

Wir sollten den momentanen Schwung nutzen, um den Wandel hin zu mehr Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in der Gesellschaft zu verankern. Man darf aber nicht so tun, als gäbe es die Energiewende gratis. Das ist eine Illusion.

Wie stark steigt der Strompreis?

Wenn man neue Leitungen, Windräder, Solaranlagen und Gaskraftwerke baut, steigen die Stromkosten in den nächsten Jahren um bis zu 1,5 Cent je Kilowattstunde. Wie sich das auf den Endpreis auswirkt, hängt noch von anderen Faktoren ab. Der größte Teil der deutschen Industrie kann das verkraften, weil sie hoch effizient ist. Am Limit sind allerdings heute schon die Aluminiumindustrie oder andere Branchen mit hohem Energieeinsatz. Deren Belastung darf nicht weiter steigen. Wir sollten auf jeden Fall alles versuchen, um den integrierten Industriestandort Deutschland zu erhalten, der uns so gut durch die Wirtschaftskrise gebracht hat.

Muss es mehr Anreize für Effizienz und Energiesparen geben?

Eindeutig. Durch effizientere Technik lässt sich der Strombedarf um acht Prozent senken. Dazu muss man aber die Leute überzeugen, immer nur die sparsamsten Geräte zu kaufen. Das geht nur mit einer großen Bandbreite von Instrumenten, von Kleinkrediten für Einkommensschwache beim Gerätekauf bis zur Beratung von Unternehmen.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

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