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Volkswagen in der Krise.

© AFP

Krisenmanagement bei VW: „Martin Winterkorn muss alle Ämter abgeben“

Die Krisenmanager bei Volkswagen wirken überfordert, meint Governance-Experte Christian Strenger. Das liegt auch an der Führungskultur und die Dominanz der Familien Piëch und Porsche im Unternehmen.

Herr Strenger, wie läuft aus Ihrer Sicht das Krisenmanagement bei VW?
Man gewinnt den Eindruck, dass die Krisenmanager angesichts der Komplexität des Problems und vor allem des Unternehmens eher überfordert sind. Ich kenne nicht die Details, aber der Umstand, dass Herr Winterkorn weiter Chef der VW-kontrollierenden Porsche-Holding ist oder Aufsichtsratsvorsitzender bei Audi, zeigt, dass man die ganze Dimension des Skandals wohl noch nicht erfasst hat.

Winterkorn muss alle Ämter abgeben?
Ja, schon im Interesse der auch von ihm gewünschten Glaubwürdigkeit sollte er seine Konzernämter aufgeben. Sonst wird man dem Unternehmen den guten Willen absprechen, ernsthaft aufräumen und aufklären zu wollen. Auch hier ist wieder das Zögern der Familien Porsche und Piëch spürbar, die schon die Aufsichtsratsvorsitzfrage zu lange ungelöst haben lassen.

Ist der VW-Konzern zu groß, um gut geführt werden zu können?
Wenn ein Konzern so komplex aufgestellt ist und ambitionierte Pläne hat, geht das zunächst leichter mit einem starken, autoritären Mann an der Spitze. Aber das führt dann oft zu einer defizitären Führungskultur, bei der kritische Fragen und schlechte Nachrichten nicht mehr vorgesehen sind – mit den gravierenden Folgen, die man jetzt beklagt. Verantwortung muss auch von einer Führungskultur begleitet werden, die begründete Kritik und offene Diskussionen zulässt.

Christian Strenger, Corporate-Governance-Experte
Christian Strenger, Corporate-Governance-Experte

© promo

Winterkorn hat die Manipulationen geduldet? Verdrängt?
Das muss jetzt forensisch untersucht und bewertet werden. Aber die ihm unterstellten und von ihm geförderten Leute wussten sicher davon. Und die hätten es ihm sagen müssen. Schon beim Brasilien-Skandal war es ja wenig wahrscheinlich, dass die Obersten gar nichts davon wussten.

Tragen die Familien Porsche und Piëch Mitverantwortung an diesem Skandal?
Sie haben zu verantworten, dass der Aufsichtsrat als Kontrollgremium, das fast vollständig von den Familien, Katar und Niedersachsen besetzt ist, keine wirklich unabhängige Kontrolle ausübt.

Kann Hans Dieter Pötsch als Ex-Finanzchef den Aufsichtsrat angemessen führen?
Pötsch ist als anerkannter Finanzexperte wahrscheinlich einer der wenigen mit Überblick über den Konzern. Aber es müssten unbedingt neue, gestandene Figuren im Aufsichtsrat dazukommen, die nicht in einer Verbindung zu den Familien und den anderen Großaktionären stehen.

Die 20 Stühle sind fest vergeben.
Wo steht denn geschrieben, dass nach dem Geschehenen die Großaktionäre weiter so stark vertreten sein müssen? So trägt der Vorsitzende des wichtigen Prüfungsausschusses nicht zufällig den Namen Porsche. Der Corporate-Governance-Kodex verlangt aber, dass diese Position unabhängig zu besetzen ist. Und warum braucht Niedersachsen zwei Sitze im Aufsichtsrat, warum Katar zwei Sitze? Oder warum ist der jetzt zur Aufklärung eingesetzte Untersuchungsausschuss wieder mit den bisher verantwortlichen Personen besetzt?

Zeigt der Fall VW, dass der von der Regierungkommission formulierte Corporate- Governance-Kodex ein Papiertiger ist?
Nein. VW hat ihn zwar unterschrieben, aber qualitativ bzw. in der damit verbundenen Kultur ignoriert. Das beste Regelwerk kann nicht funktionieren, wenn es nicht richtig gelebt wird. Kritik muss erlaubt, sie muss sogar erwünscht sein. So bleibt zu vermuten, dass von dem Moment an, in dem das Ziel ausgegeben wurde, Toyota zu überholen und weltgrößter Autokonzern zu werden, Kritik und negative Nachrichten trotz gegenteiligem Verhaltenskodex nicht mehr gewünscht waren.

Haben die Arbeitnehmervertreter versagt?
Zumindest haben sie nicht dafür gesorgt, dass die richtige Kultur gelebt wurde. Wie konnte der Aufsichtsrat unter Vorsitz von Herrn Huber Herrn Winterkorn einen Persilschein ohne eingehende Prüfung ausstellen, der ihn von aller Schuld freispricht? Oder ihm die kolportierten 60 Millionen Euro an Abfindungs- und Pensionsansprüchen zubilligen?

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

Christian Strenger (72) saß und sitzt in verschiedenen Aufsichtsräten (unter anderem bei Tui, Metro, Fraport) und ist Experte für gute Unternehmensführung (Corporate Governance).

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