zum Hauptinhalt
Die Lehre ist für ambitionierte Ökonomen eher eine Last. Reputation erlangt man vor allem durch Veröffentlichungen in internationalen Publikationen.

© dapd

Das Ende des Imperialismus: Von den Weisheiten der liberalen Wirtschaftswissenschaftler

Die Krise hat die Wirtschaftswissenschaft in ihren Grundfesten erschüttert: Der neoliberale Mainstream hat an Halt verloren, Ökonomen schwanken zwischen Selbstzweifel und Überheblichkeit. Die Linken hoffen jetzt auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.

Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Thomas Straubhaar ist Chef des Hamburgischen Weltwirtschafts- Instituts und einer der wenigen selbstkritischen Ökonomen hierzulande. Er traue den Weisheiten nicht mehr, die ihn selbst geprägt haben, sagt Straubhaar unter dem Eindruck der Krise. Die Weisheiten – das sind unter anderem der Glaube an die Rationalität der Wirtschaftssubjekte und Märkte. Oder die Vorstellung, die Finanzwirtschaft sei dazu da, der realen Wirtschaft zu dienen. „Das Ansehen der Ökonomie hat durch die Krise zu Recht drastisch nachgelassen“, findet Straubhaar und regt sich auf über die noch immer verbreitete Selbstgewissheit vieler Kollegen. „Es nervt, wenn bekannte Wirtschaftsprofessoren einfach empfehlen: Lasst ruhig Banken oder Länder pleitegehen – weil es so in den Lehrbüchern steht. Solche Leute spüren keine Verantwortung“, sagte er in einem Interview mit der FTD.

„Wir haben keinen Stiglitz und keinen Krugman“, klagt Dierk Hirschel mit Blick auf die USA. Der frühere Chefökonom des DGB, der sich jetzt bei Verdi über die Volkswirtschaftslehre Gedanken macht, vermisst Querdenker und Ökonomen in keynesianischer Tradition. „Die ökonomische Zunft ist bei uns so monolithisch ausgerichtet wie nirgendwo sonst, auf mindestens 98 Prozent der Lehrstühle sitzen wirtschaftsliberale Professoren.“ Für den linken Hirschel ist es „absurd“, wenn sich das halbe Dutzend Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande „nur in Nuancen unterscheidet“. In der Folge gebe es keinen Wettbewerb der Ideen, die deutsche Wissenschaft sei eine „verwahrloste und autistische Zunft“, mosert der Verdi-Mann.

Auch wenn da die Verbitterung eines Ökonomen durchklingt, der aufgrund des neoliberalen Mainstreams sich seit Jahren als „Dissident“ fühlt – auch andere teilen Hirschels Kritik. Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hat ebenso wie Straubhaar Zweifel an den Grundlagen, auf denen sich die Wirtschaftserklärer in den vergangenen Jahrzehnten bewegten. Die Finanzkrise etwa habe belegt, dass sich Menschen keineswegs immer rational verhielten. „Da sehen viele Professoren ihr Lebenswerk bedroht.“ Und diese Professoren stünden nun vor der Wahl: Mitansehen, wie die eigene Reputation schwindet, oder sich gegen die Veränderungen wehren, „was viele tun“, wie Snower beobachtet hat.

Und es kann dauern, bis die Herren Professoren den Weg freimachen für neue, zeitgemäße Erklärungsmuster, meint Snower und zitiert den Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn: „Die Wissenschaft macht Fortschritte, weil Wissenschaftler aussterben.“

Hoffnung auf das DIW

Deutsches Institut für Wirtschaftforschung.
Deutsches Institut für Wirtschaftforschung.

© dapd

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger räumt ein, bis zur Krise „völlig unterschätzt“ zu haben, welche gefährliche Rolle die Banken für die Realwirtschaft spielen können. In den Modellen der ökonomischen Lehrbücher würden die Banken als Vermittler geschildert, die Geld einsammeln und dieses dann an Unternehmen und Verbraucher weiterreichen. Bofinger nennt das heute „Mickymaus-Modelle“. Ähnlich wie Snower sieht auch Bofinger die Professorenschaft als Teil des Problems: Sie hätte oft kein großes Interesse daran, ihre Lehre an die veränderte Realität anzupassen. Besitzstandswahrer sozusagen.

Der Markt ist gut, der Staat ist schlecht. Privatisierung ist gut, Liberalisierung auch, und die Löhne sind meistens zu hoch. An diese wirtschaftsliberalen Dogmen der vergangenen 20 Jahre klammern sich viele. Dabei ist für den Hamburger Straubhaar inzwischen „unstrittig, dass die Deregulierung, die in der Reagan-Zeit angefangen hat, zu weit gegangen ist“. Selbst die gläubigsten Marktjünger müssten inzwischen erkennen, welche „Ineffizienzen durch Marktversagen erzeugt“ und welche Kosten durch den Abbau von Regeln entstanden seien.

Straubhaar, Bofinger und Snower sehen die Ökonomen künftig in ihrer Bedeutung auf das Niveau schrumpfen, auf dem sich Sozialwissenschaftler insgesamt aber zum Beispiel auch Anthropologen und Psychologen befinden. „Die Krise bedeutet auch das Ende des ökonomischen Imperialismus, dieses Glaubens, dass wir über den anderen Wissenschaften stehen“, sagt Straubhaar. Viele Ökonomen hätten das nur noch nicht gemerkt.

Gespannt schaut die Szene derzeit auf das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut, das demnächst einen neuen Chef bekommt: Marcel Fratzscher, Abteilungsleiter in der Europäischen Zentralbank, wird neuer Präsident des Berliner DIW. Fratzscher hat einen guten Ruf als Theoretiker, weil er mit seinen 42 Jahren erstaunlich viel publiziert hat. Aber taugt er für die Politikberatung? „Wir haben die Hoffnung, dass mit Fratzscher das DIW an alte Zeiten anknüpft“, sagt Verdi-Ökonom Hierschel. Die alten Zeiten, das war mehr Keynes, mehr Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit. Mehr links und weniger rechts – darum geht es eben auch in der Ökonomie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false