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Wirtschaft: Das Gespenst der Stagflation: Es hängt an der Lohnpolitik

Spargelessen ist in diesem Jahr kein Vergnügen. Das schlechte Wetter hat den Preis des Saisongemüses verteuert.

Spargelessen ist in diesem Jahr kein Vergnügen. Das schlechte Wetter hat den Preis des Saisongemüses verteuert. Fleischessen ist auch kein Vergnügen: Rindfleisch ist etwas für Risikofreunde - und trotzdem teuer. Schweinefleisch scheint weniger gefährlich, kostet dafür aber 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Und vom Sprit an der Tankstelle wollen wir schweigen. Die Angst vor Inflation geht um. Im Mai war die Teuerung mit 3,5 Prozent so hoch wie seit 1995 micht mehr. Wen wundert es, dass die Gewerkschaften jetzt damit drohen, den Inflationsausgleich im nächsten Jahr bei den Tarifrunden zurückzuholen. Schon warnen die Ökonomen. So verständlich das Begehren der Arbeitnehmer sei - eine aggressive Lohnpolitik wäre Gift. Das Szenario der Stagflation geht um: Steigende Preise ohne nennenswertes Wachstum. Der Effekt: Die Arbeitslosigkeit würde steigen.

Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit, hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Der Weltökonom Schmidt hatte sein Textbuch gelesen. Dort nämlich konnte er unter dem Stichwort "Philips Kurve" nachlesen, dass es einen umgekehrten Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Teuerung gebe. Wenn sich die Preise verteuern, geht die Arbeitslosigkeit zurück. Der britische Ökonom A.W. Philips glaubte tatsächlich in den 50er Jahren in England dafür Belege gefunden zu haben. Träfe die Kurve zu, ließe sich daraus auch trefflich Politik machen.

Die Notenbank könnte - angestachelt von der Politik - durch eine lockere Geldpolitik ruhig ein wenig Inflation in Kauf nehmen oder sogar produzieren, wenn sich dadurch die Arbeitslosigkeit reduzieren ließe. Und die Bürger als Wähler würden es den Politikern danken. Tatsächlich hat die deutsche Politik in den 70er und frühen 80er Jahren auch diese Strategie verfolgt. Eine lockere Geldpolitik und jede Menge Konjunkturprogramme sollten Inflation induzieren, um die Beschäftigung zu stabilisieren.

Das Ergebnis war ein Desaster. Denn die Wirklichkeit hat sich nicht an die "Philips Kurve" gehalten. Und zwar unpassenderweise genau zu jener Zeit, als Helmut Schmidt sein berühmtes Diktum prägte: Nach 1973, nach dem so genannten Ölpreisschock, passierte, was laut Lehrbuch eigentlich gar nicht hätte passieren dürfen. Denn in Zeiten lahmender Konjunktur sollte es für die Unternehmen eigentlich schwerer werden, höhere Preise durchzusetzen. Doch das Gegenteil wurde wahr: Die Wirtschaft stagnierte, die Arbeitslosigkeit stieg - und Güter und Dienstleistungen wurden teurer.

Droht uns heute dieses Schicksal? Gemach: Das Szenario ist nicht vergleichbar. Mit 3,5 Prozent ist die Inflation zwar hoch. Doch alles ist relativ. Weil die New Economy eine Zeit lang versprochen hatte, die Inflation sei tot, sehen 3,5 Prozent sehr lebendig aus. Doch zwischen 1973 und 1982 lag die Teuerung in den G7-Staaten im Schnitt bei 10 Prozent. Hinzu kommt: Keynesianische Programme zur Stimulierung der Nachfrage sind zum Glück aus der Mode gekommen. Finanzminister Hans Eichel will an seinem Sparkurs festhalten. Bleibt es dabei, könnten die preistreibenden Sondereffekte - Nahrungsmittel und Sprit - tatsächlich verschwinden; Inflation bliebe die Sorge eines Augenblicks.

Wenn, ja wenn nur die Gewerkschaften der Lohnverführung nicht nachgeben. Für mögliche Zuversicht spricht nicht nur das Verhalten der Arbeitnehmerorganisationen in der letzten Tarifrunde, bei welcher Augenmaß vorherrschte. Wichtiger noch: Die Gewerkschaften sind schon lange nicht mehr so mächtig wie in den 70er Jahren, als der öffentliche Dienst zweistellige Abschlüsse durchsetzte und die Privatwirtschaft im knappen Abstand nachzog. Deregulierung der Monopole (Post, Telekommunikation) und die Kultur der New Economy haben den Einfluss der Gewerkschaften heute geschwächt. Gefährlich könnte freilich das politische Umfeld werden. Das Wahljahr 2002 könnten die Gewerkschaften für höhere Lohnforderungen nutzen; und Politiker könnten dazu neigen, im kurzfristigen Interesse dies zu unterstützen. Das wäre die Wiederholungsfalle. Doch die Vernunft hofft, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Die 70er Jahre der Stagflation sind tot.

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