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Wirtschaft: Das Mysterium Zinsschranke

Unternehmen schaffen Milliardengewinne ins Ausland – stimmt das wirklich?

Von Antje Sirleschtov

Die große Koalition bereitet eine Unternehmensteuerreform vor. In diesem Herbst werden dafür die Weichen gestellt. Ab 2008 sollen die Unternehmen niedrigere Steuern zahlen, trotzdem sollen keine Milliardenlöcher in den Staatshaushalt gerissen werden. Worüber streiten SPD und Union und welche Auswirkungen hat die Reform auf die Unternehmen? Eine Tagesspiegel-Serie erklärt Hintergründe und Fakten im deutschen und internationalen Steuerdschungel.

Zwischen den Unternehmensverbänden und der großen Koalition tobt ein Grundsatzstreit. Dabei geht es um die Frage, wie die Unternehmen nach der Steuerreform mit Zinsen in ihrer Gewinnermittlung umgehen sollen. Die Verbände wollen auf jeden Fall verhindern, dass Zinsausgaben versteuert werden müssen. Das bezeichnen sie als Systembruch und argumentieren, die Körperschaftssteuer sei eine reine Ertragssteuer. Kosten, die ein Unternehmen hat, seien damit von der Besteuerung prinzipiell ausgeschlossen. Die Koalition – und zwar Unions- und SPD-Politiker – entgegnen dem, das gegenwärtige System lade international agierende Unternehmen geradezu ein, ihre Gewinne ganz legal in Billig-Steuerländer zu transferieren. Sie schätzen, dass dem deutschen Staat dadurch jährlich rund 60 Milliarden Euro verloren gehen.

Anders als bei der Gewerbesteuer – diese Steuerart wird im nächsten Teil der Serie erklärt – werden Zinsen im deutschen Körperschaftsteuerrecht grundsätzlich als Kosten des Unternehmens betrachtet, die den Gewinn mindern. So kann zum Beispiel das Bauunternehmen Müller & Sohn GmbH den Kauf eines Baggers entweder mit einem Bankkredit oder mit einem Darlehen von Eigentümer Müller Senior finanzieren. In beiden Fällen muss der Betrieb Zinsen zahlen, an die Bank oder die Privatschatulle von Müller Senior. Diese Zinsen werden dann vom Jahresgewinn abgezogen - und zwar vor der Steuerberechnung.

Findige Steuertrickser könnten nun auf die Idee kommen, ihre Unternehmen ausschließlich über Darlehen zu finanzieren und damit jedes Jahr immense Zinskosten verursachen. Ihr Kalkül: Hohe Zinsen im Unternehmen bedeuten geringe Gewinne und damit geringe Steuern. Wenn dann der Kreditgeber noch in einem Land mit niedrigeren Steuern als Deutschland seinen Sitz hat, fließen die in Deutschland erzielten Gewinne über den Umweg der Zinsen ins Ausland.

Solche Rechenspiele geschehen in Deutschland jeden Tag. Und sie haben letztlich nicht nur zum Abfluss von Steuern bei internationalen Großunternehmen ins Ausland sondern auch zu einem Ungleichgewicht zwischen Eigenkapital und Fremdkapital (Kredite) im Mittelstand geführt. Schlicht, weil bisher auch kleine Unternehmen und ihre Eigentümer summa summarum weniger Steuern zahlen, wenn sie jedes Jahr das Geld aus den Unternehmen herausnehmen und es später als Darlehen wiedergeben.

Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber dieses Schlupfloch schon vor ein paar Jahren erkannt und versucht zu stopfen: im Paragrafen 8a des Körperschaftsteuergesetzes. Darin heißt es, Unternehmen, die im Jahr mehr als 250 000 Euro Zinsen produzieren, dürfen ihre Tätigkeit insgesamt nur zu maximal 60 Prozent über fremdes Kapital (Kredite, Darlehen etc.) finanzieren. Liegt der Fremdfinanzierungsanteil höher, werden nicht alle Zinsen als gewinnmindernde Kosten anerkannt. So ähnlich funktioniert auch das so genannte „Zinsschranken-Modell“, das die Koalition in der Steuerreformdebatte favorisiert. Der Zins-Jongliererei soll eine Schranke eingezogen werden. Übrigens soll es auch eine Schranke geben, wenn Unternehmensverbünde versuchen, etwa durch hohe Leasing- oder Lizenzgebühren Gewinne nach dem gleichen Prinzip abzuschöpfen und der Steuer zu entziehen.

Was aber passiert, wenn ein Unternehmen Verluste macht und trotzdem Zinsen an die Bank – und dann auch noch Steuern auf Zinsen – zu zahlen hat? Bei dem Zinsschrankenmodell, kritisiert Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) in einem Brief an Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und die Länderfinanzminister, „wird dem gegeben, der hat, und dem genommen, der nicht hat“. „Neue Ungerechtigkeiten“ und außerdem eine „Aushöhlung der Gewerbesteuer“, bei der heute alle Dauerschuldzinsen besteuert werden, brächte die Zinsschranke, meint Sarrazin genau wie die Wirtschaftsverbände. Das Modell sei daher „verfassungsrechtlich bedenklich“ und nicht geeignet, die Bemessungsgrundlage der Unternehmensteuer „auf verlässliche und faire Weise zu erweitern“.

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