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Wirtschaft: Das Oktober-Trauma der Börsianer

Die Schocks von 1929 und 1987 sitzen tief – jedes Jahr im Herbst fürchten sich Anleger vor einem neuen Aktiencrash

Düsseldorf / New York (som/HB/wsj). Selbst erfahrene Investoren werden nervös: Der Monat Oktober steht an der Börse unter einem schlechten Stern. Auch wenn Dax und Dow Anfang des Monats kräftig gestiegen sind, lassen sich bei vielen Anlegern Ängste vor den verheerenden Zusammenbrüchen an den Börsen im Oktober 1929 und Oktober 1987 nicht zerstreuen. Spätestens seit den herben Rückschlägen in den vergangenen Tagen kehren OktoberErinnerungen zurück.

„Viele Leute sind nervös“, sagt David Briggs, Chef-Händler bei der Fonds-Gruppe Federated Investors in Pittsburgh. Natürlich sei das zum großen Teil emotional, aber die Sorge über die künftigen Unternehmensgewinne und die Stärke der Wirtschaft trage nicht gerade zur Beruhigung bei. Blickt man auf die historische Marktentwicklung, dann lassen die Börsen eher im September die Blätter fallen. Seit 1998 war der Oktober stets ein guter Monat für eine Aufwärtsbewegung – trotz heftiger Turbulenzen. Die Anleger hofften stets auf eine positive Entwicklung der Märkte im kommenden Jahr.

Kein Anleihe-Absturz in Sicht

Viele Profis winken bei der ganzen Aufregung um den Schicksalsmonat lächelnd ab. Zwischen Oktober 1987, dem größten Crash-Monat, und heute gebe es deutliche Unterschiede – besonders bei den Zinsen. Damals stieg die Rendite der 30-jährigen US-Anleihe schnell und erreichte genau vor dem Crash zehn Prozent. Das erhöhte den Druck auf die Aktien. Jetzt bewegt sie sich um die Fünf-Prozent-Marke. Die derzeitigen Benchmark-Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren bringen eine Rendite von etwas mehr als vier Prozent. Auch in Europa sind die Renditen extrem niedrig. Von dieser Seite würde diesmal also nur dann Gefahr drohen, wenn ein drastischer Anstieg der Renditen zu befürchten wäre. Das ist kaum der Fall.

Briggs von Federated erwartet denn auch keinen Crash. Er hat deshalb sein Team angewiesen, bestehende Positionen nicht zu verkaufen – aber mit Ausnahmen. Er legte seinen Mitarbeitern nahe, sich mit Blick auf die anstehenden Quartalsergebnisse aus besonders schwankungsanfälligen Aktien zumindest vorerst zurückzuziehen. „Es gibt ein Auf und Ab bis Anfang November“, meint Briggs.

Ein gewisses Crash-Risiko im Oktober lässt sich dennoch nicht von der Hand weisen. Acht der 20 größten prozentualen Tagesverluste des Dow-Jones-Index wurden im Oktober registriert. Darunter zählen die Desaster von 1929 und 1987. Vor 16 Jahren verlor der Dow am 19. Oktober 22,61 Prozent. Das war mit weitem Abstand der größte Tagesverlust aller Zeiten. Nur sieben Tage später gab es mit acht Prozent den achtgrößten Crash in der Geschichte. Ist das alles nur Zufall? Vielleicht. Doch es gibt auch handfeste Gründe für die Rutschgefahr. Die Investoren leben sich nach dem Sommerurlaub wieder ein, die Regierungen richten ihre Politik neu aus. Unternehmen und Regierungen schauen in die Zukunft und wollen vor dem Jahresende ihre Probleme lösen. Wenn sie bei diesen Planungen Fehler machen – oder Investoren meinen, solche zu erkennen –, dann im Herbst.

In diesem Jahr – wie auch schon 1987 – hat sich die US-Regierung in einen Währungskampf hineinziehen lassen. Damals notierte der Dollar gegenüber der D-Mark fast auf einem Sieben-Jahres-Tief. Jetzt liegt die US-Währung gegenüber dem japanischen Yen so niedrig wie seit drei Jahren nicht mehr. Damals gab es Streit mit der Bundesbank, heute mit asiatischen Währungshütern. Doch die meisten Analysten betonen eher die Unterschiede und weniger die Parallelen. Damals sorgten sich Investoren um Inflation und Überhitzung der Wirtschaft. Gold und Zinsen stiegen rasant. Momentan wird Gold zwar auch hoch bewertet, aber die Zinsen sind niedrig und Inflationsängste kaum wahrzunehmen.

1987 trug der Computerhandel maßgeblich zum Kursrutsch bei. Das ist in diesem Ausmaß auf Grund automatischer Handelsbeschränkungen nicht mehr möglich. Auch was das Vertrauen der Anleger in die Märkte angeht, bremsen Experten die Crash-Propheten. 1987 waren die Investoren nach fünf Jahren stetiger Kursgewinne sehr optimistisch. Heute haben viele Anleger den Bärenmarkt zwischen März 2000 und März 2003 noch nicht vergessen. Mark Twain, der an der Börse herbe Verluste einsteckte, meinte zu den Herbst-Ängsten: „Oktober – das ist einer der besonders gefährlichen Monate, um mit Aktien zu spekulieren. Die anderen sind Juli, Januar, September, April, November, Mai, März, Juni, Dezember, August und Februar.“

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