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Wolfsburger Herbst. Der Abgas-Skandal versetzt die VW-Zentrale in den Ausnahmezustand.

© Julian Stratenschulte/dpa

Der Abgas-Skandal und seine Folgen: Volkswagen steht Kopf

Beim VW-Konzern wird heute die Führungsetage neu besetzt. Porsche-Chef Matthias Müller soll Martin Winterkorn nachfolgen. An der Spitze des Aufsichtsrats könnte es eine Überraschung geben.

Nicht jede Wortmeldung im VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte ist tatsächlich eine Enthüllung. Als Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Donnerstag mitteilte, auch in Europa seien Fahrzeuge aus dem VW-Konzern betroffen, war dies nur die Bestätigung einer plausiblen Vermutung: Volkswagen selbst hatte von weltweit elf Millionen Diesel- Autos gesprochen. Im Zwölf-Marken-Konzern, der die gleichen Motoren, Getriebe und andere Bauteile in verschiedenen Modellen einbaut, zeigen sich die Risiken des „Baukastensystems“. Ist ein Teil fehlerhaft oder manipuliert wie im Fall der Diesel-Motoren EA189, sind riesige Stückzahlen betroffen.

So findet sich die VW-Steuerungssoftware, die die Abgaswerte illegal nach unten regelt, auch in Seat-, Skoda- und Audi-Modellen. Ein Sprecher der VW-Tochter Skoda bestätigte am Donnerstag, Modelle der Reihen Fabia, Roomster, Octavia und Superb aus den Jahren 2009 bis 2013 seien teilweise mit den betroffenen Motoren ausgerüstet worden. Bei aktuellen Modellen gebe es keine Probleme. Die von Dobrindt eingesetzte Ermittlungskommission soll nun gemeinsam mit Volkswagen die Details klären.

BMW dementiert einen Bericht über Unregelmäßigkeiten

Unterdessen bekräftigten Daimler, BMW und andere Hersteller, dass sie keine Manipulationen bei Abgasmessungen vorgenommen hätten. BMW wies einen Bericht der „Auto-Bild“ zurück, wonach ein Diesel-Geländewagen (X3) bei Straßentests des Forschungsinstituts ICCT „auffällige Stickoxidwerte“ produziert. Das zitierte Ergebnis sei dem Unternehmen nicht bekannt, erklärte BMW. Es sei daher „derzeit weder nachvollziehbar noch erklärbar“. Bei der BMW Group werde nicht manipuliert. Ähnlich äußerte sich ein Daimler-Sprecher.

Am Kapitalmarkt wächst derweil die Nervosität: Die BMW-Aktie verlor zeitweise gut sechs Prozent. Die Sorge vor Milliardenbelastungen auch für andere Hersteller ließ die Preise für Anleihe-Ausfallversicherungen der Autobauer (Credit Default Swaps) kräftig steigen. Die Ratingagentur S&P prüft eine Herabstufung der Bonitätsnote von VW.

EU-Kommission will Untersuchung anregen

Nach den Worten von Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron gibt es derzeit keine Hinweise, dass andere Autobauer die gleiche Software benutzt haben wie Volkswagen. „Wir werden sehr schnell und sehr fordernd auf unsere Autobauer zugehen“, sagt Macron in London. „Zurzeit scheint es extrem auf Volkswagen begrenzt zu sein.“ Gleichwohl will die Regierung stichprobenartig Tests vornehmen. Die EU-Kommission will in allen Mitgliedsländern Untersuchungen wegen möglicher Manipulationen bei Diesel-Abgasen anregen. Die Staatsanwaltschaft in Turin leitet Justizkreisen zufolge Vorermittlungen gegen Volkswagen ein. Es soll überprüft werden, ob auch in Italien Abgaswerte manipuliert wurden.

Bosch, der größte Autozulieferer der Welt, hat die Bauteile, die von Volkswagen manipuliert wurden, nicht nur an den Wolfsburger Konzern verkauft. „Wir beliefern auch andere Hersteller“, sagte ein Sprecher am Donnerstag. Er bekräftigte aber, dass es sich um Standardteile aus dem Bosch-Portfolio handele – Einspritzsysteme sowie Komponenten zur Abgasnachbehandlung – die von VW entsprechend angepasst worden seien.

Hans Dieter Pötsch könnte doch nicht Aufsichtsratschef werden

Über die Nachfolge des am Mittwoch zurückgetretenen VW-Chefs Martin Winterkorn wird der Aufsichtsrat an diesem Freitag entscheiden. Die Sitzung des 20-köpfigen Gremiums beginnt um elf Uhr in Wolfsburg. Als aussichtsreichster Kandidat gilt nach wie vor Porsche-Chef Matthias Müller. „Auf ihn wartet eine Herkulesaufgabe – selbst, wenn VW im Normalbetrieb laufen würde“, sagte Autoexperte Stefan Bratzel. Unklar ist noch, wer an die Spitze des Aufsichtsrates rückt: Als neuer Kandidat wurde am Donnerstag Wolfgang Reitzle genannt. Der frühere Linde-Chef, der eigentlich Verwaltungsratschef des entstehenden Zementkonzerns Lafarge-Holcim werden soll, gilt als ein Favorit von VW-Miteigentümer Ferdinand Piëch. Reitzle war unter anderem Jaguar-Chef und BMW-Forschungsvorstand. Die eigentlich vorgesehene Besetzung des Postens mit VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch könnte nach Tagesspiegel-Informationen daran scheitern, dass Pötsch in den Abgas-Skandal involviert wäre, wenn er den Kapitalmarkt zu spät informiert hätte. Die Finanzaufsicht Bafin prüft dies.

Als möglicher neuer Finanzvorstand wird Audi-Chef Rupert Stadler gehandelt. VW plant im Konzernvorstand offenbar außerdem ein eigenes Ressort für das US-Geschäft. Kandidat für den Posten ist Skoda-Chef Winfried Vahland. Ambitionen, als Personalchef in den VW-Vorstand zu wechseln, werden Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh nachgesagt. Der amtierende Vorstand Horst Neumann geht Ende des Jahres in den Ruhestand. Osterloh forderte am Donnerstag in einem Mitarbeiterbrief als Konsequenz aus dem Skandal eine grundlegende Überholung der Unternehmenskultur.

Die Ereignisse vom Donnerstag können Sie hier nachlesen.

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