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Wirtschaft: Der Benzinpreis steigt und steigt

Bundeskanzler Schröder will Ölreserve anzapfen/ Konjunkturexperte Burda: Erst ab 100 Dollar pro Barrel wird es gefährlich

Berlin - Die Ölkonzerne haben am Freitag zum dritten Mal in Folge die Preise an den deutschen Tankstellen angehoben. Die Union erwägt nun, die Ökosteuer im Fall eines Wahlsieges zu senken. Wenn die Benzinpreise dann noch so hoch seien wie heute, werde man prüfen müssen, ob man den Teil der Ökosteuer „zur Disposition“ stelle, der derzeit in den allgemeinen Haushalt und nicht in die Rentenversicherung fließe, sagte Kanzlerkandidatin Angela Merkel am Freitag auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg. Von der Ökosteuer gehen drei Cent pro Liter in den Haushalt, der Rest – etwa zwölf Cent – wird für die Rentenkasse verwendet.

Diesmal machte Shell bei der Benzinpreisrunde den Anfang und erhöhte den Literpreis für Super um sechs Euro-Cent und den für Diesel um zwei Cent. Die übrigen großen Markenketten folgten. Damit erreichten die Preise an den Stationen erneut Rekordniveau. Im Bundesschnitt kosteten Super 1,46 Euro und Diesel 1,18 Euro. Im Vergleich steht Berlin gut da (siehe Artikel unten). Am Abend nahm allerdings Aral einen Teil der Erhöhung zurück, auch Shell wollte dem Beispiel folgen.

Der Grund: Die Kosten am Rotterdamer Benzinmarkt fielen, weil die Internationale Energieagentur (IEA) am Freitagabend ihren 26 Mitgliedstaaten erlaubte, die nationalen Ölreserven freizugeben. Die USA hatten einen entsprechenden Antrag bei der IEA gestellt, um so die Förderausfälle durch die Hurrikan-Katastrophe ausgleichen zu können. Zuletzt hatte es einen solchen IEA-Entscheid im Januar 1991 gegeben, nachdem US-Truppen in den Irak einmarschiert waren. Jetzt sollen innerhalb der kommenden 30 Tage 60 Millionen Barrel auf den Markt gebracht werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte am Freitag erklärt, Deutschland wolle die USA unterstützen und sei daher bereit, seine Ölreserven anzuzapfen. Noch am Vortag hatte er den Vorschlag von Union und FDP, dadurch den Benzinpreis zu senken, abgelehnt.

An den Rohölbörsen entspannte sich nach dem IEA-Beschluss auch die Lage. Bis Freitagabend ging der Preis für ein Barrel Rohöl (159 Liter) in New York um über drei Prozent auf 67,40 Dollar zurück. Zudem könnte den deutschen Verbrauchern der steigende Eurokurs nützen, sagte Helmut Buchmann vom Fachdienst Oil Market Report (OMR). Denn ein stärkerer Euro verbilligt das in Dollar gehandelte Öl.

Buchmann und auch andere Ölmarktexperten kritisierten allerdings, dass die strategischen Ölreserven angezapft werden. Es seien genug Öl und Benzin auf dem Markt, sagte Buchmann. Die Mineralölwirtschaft wiederum erwartet zwar kurzfristig sinkende Preise. Doch besteht aus Sicht des Branchenverbandes MWV die Gefahr, dass dann in den kommenden Monaten an den Börsen die geringeren Reserven wieder zu wachsenden Spekulationen über Engpässe führen könnten. Außerdem könnten die Reserven nur einmal eingesetzt werden – und niemand könne zum jetzigen Zeitpunkt sagen, ob nicht noch eine ernstere Krise anstehe, hieß es beim MWV.

Der gestiegene Ölpreis und damit die höheren Energiekosten werden nach Meinung von Wirtschaftsexperten die deutsche Konjunktur nicht abwürgen. „Die Lage ist schlimm, aber nicht dramatisch“, sagte Joachim Scheide, Leiter der Konjunkturabteilung beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), dem Tagesspiegel. Sicherlich dämpfe das teure Öl den privaten Konsum und beschere den Unternehmen Zusatzkosten. Daher werde das Wachstum auch um einige Zehntel schwächer ausfallen als erwartet. „Aber es droht keine Rezession“, sagte Scheide. In ihrer Frühjahrsprognose hatten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für dieses Jahr ein Wachstum von 0,7 Prozent vorhergesagt, für 2006 eine Beschleunigung des Wachstums auf 1,5 Prozent.

Auch der Berliner Wirtschaftsprofessor Michael Burda sieht keinen Anlass für Dramatisierungen. „Der Ölpreis steigt bereits seit Jahren allmählich, das kann die deutsche Konjunktur verkraften“, sagte er dem Tagesspiegel. „Erst wenn sich der Ölpreis der 100-Dollar-Marke nähert, dürfte es große Probleme geben“, schätzt Burda, der an der Humboldt-Universität lehrt. Immerhin würden auch die Finanzmärkte gelassen reagieren: Die Reformen und die Erwartung eines Regierungswechsels seien für die Börsen offensichtlich wichtiger als der steigende Ölpreis.

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