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Wirtschaft: Der Druck auf die EZB wird größer

Experten fordern eine Zinssenkung in Europa / Position der Deutschen im EZB-Rat offenbar geschwächt

Frankfurt am Main - Die Zuspitzung der Finanzkrise stellt das Selbstverständnis der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Probe. Während die US-Notenbank Federal Reserve im Verlauf der Finanzkrise ihren Leitzins äußerst schnell und massiv gesenkt hatte, vertritt die EZB den Standpunkt, die Zinspolitik sei kein Mittel im Umgang mit der Finanzkrise. Im Juli erhöhte sie sogar den Leitzins auf 4,25 Prozent. Auf die Probleme der Finanzmärkte reagierte sie bislang ausschließlich mit großzügiger Bereitstellung kurzfristiger Kredite an die Banken.

Europas führende Geldpolitik-Experten drängen die EZB nun in seltener Einmütigkeit zu einem Kurswechsel. Alle 15 Mitglieder des EZB-Schattenrats gehen davon aus, dass noch in diesem Jahr eine Zinssenkung nötig ist. Knapp die Hälfte der leitenden Volkswirte aus Finanzinstituten, Hochschulen und Forschungsinstituten fordert dies schon für die EZB-Sitzung nächste Woche.

Im Juli war die EZB noch davon ausgegangen, dass sich die Konjunkturentwicklung ab der Jahresmitte bessern werde. Anfang September hatte Notenbankpräsident Jean-Claude Trichet von einer Erholung ab dem vierten Quartal gesprochen. Vizepräsident Lucas Papademos sagte nun in einem Interview: „Die Verschärfung der Probleme im Bankensektor und die hohe Marktvolatilität haben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Konjunkturverlangsamung länger andauern wird als gedacht.“ Zuvor hatten Mitglieder des EZB-Rats eingeräumt, dass die erst Anfang des Monats veröffentlichte Prognose eines Wachstums für die Euro-Zone von 1,2 Prozent im nächsten Jahr wohl gesenkt werden müsse. Der EZB-Schattenrat geht nur noch von einem Wachstum von knapp 0,8 Prozent aus.

Jacques Cailloux, Chefvolkswirt der Royal Bank of Scotland, erwartet, dass die Entscheidung der EZB, im Juli den Leitzins anzuheben, die Notenbank politisch unter Druck setzen wird. „Eine Folge wird sein, dass die Regierungen mit neuer Intensität die Debatte um das Mandat der EZB aufnehmen werden“, vermutet der französische Volkswirt. „Die Forderungen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, deren Zielbestimmung zu überdenken, könnte mehr Zustimmung finden als früher.“

Zu den treibenden Kräften hinter der Zinserhöhung von Juli hatten Bundesbankpräsident Axel Weber und EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark gehört, unter dessen Ägide die EZB-Prognosen erstellt werden. Kreisen zufolge droht der deutsche Einfluss auf die EZB Politik durch ihren inzwischen als Pyrrhussieg eingeschätzten Erfolg im EZB-Rat zurückgedrängt zu werden. Während Weber und Stark kein Hehl aus ihrem Drängen auf Zinserhöhung gemacht hätten, habe sich der diplomatische Trichet immer sehr vorsichtig geäußert. „Die Falken haben eine Schlacht gewonnen und den Krieg verloren“, stimmt Jacques Cailloux dieser Einschätzung zu. Als Falken werden im Finanzjargon Befürworter einer straffen Geldpolitik bezeichnet. noh/HB

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