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Währungsexperte Manfred Neumann

© privat

Währungsexperte: "Der Euro-Raum braucht Estland nicht"

Estland bekommt 2011 als 17. Land den Euro. Geld- und Währungsexperte Manfred Neumann erläutert auf Tagesspiegel.de Chancen und Risiken für den Baltenstaat - aber auch für den Euro-Raum und die Gemeinschaftswährung.

Estland darf 2011 dem Euro-Raum beitreten. Gleichzeitig steckt die Währung in ihrer tiefsten Krise. Warum geht das Land dennoch diesen Schritt?

Die Vorteile des Beitritts liegen für Estland weniger im wirtschaftlichen als im politischen Bereich. Estland ist einer der drei kleinen baltischen Staaten, die lange unter dem Einfluss der Sowjetunion gelitten haben. Noch heute gibt es mit dem Nachbarn Russland kleinere Grenzstreitigkeiten.

Durch den Beitritt zur Währungsunion werden die Esten in den sicheren Hafen, den inneren Kern der EU aufgenommen. Das ist für die estnischen Politiker der wichtigste Punkt.

Es gibt auch ökonomische Vorteile der Gemeinschaftswährung für Estland, aber sie sind nicht so groß.

Ist Estland mit dem Euro gut beraten?

Das ist schwer zu sagen. Wenn Estland den Euro einführt, wird es sich auch an allen Hilfsfonds für andere Euroländer beteiligen müssen.

Anders herum gefragt: Warum nehmen wir Estland in den Euro-Raum auf? Wir haben doch schon genug Probleme …

Die offizielle Philosophie der europäischen Politik ist: Estland ist ein ganz kleines Land, das hat keine großen Auswirkungen auf den Euro. Aber Estland hat seit vielen Jahren ein Inflationsproblem. Die Trendrate in den vergangenen Jahren liegt bei 3,5 bis vier Prozent und damit deutlich über der Zielrate der Europäischen Zentralbank (EZB) von nahe aber unter zwei Prozent. Deshalb hat die EZB auch Bedenken geäußert, die Esten jetzt in den Euro-Raum aufzunehmen – das Inflationskriterium ist nicht erfüllt.

Man kann sich also durchaus fragen, warum die Euro-Gruppe über diese Bedenken der EZB einfach hinweg gegangen ist.

Holen wir uns nicht ein neues Griechenland ins Haus?

Das kann man so nicht sagen. Estland hat sich zum Beispiel bei der Entwicklung der Staatsschulden in den letzten acht bis zehn Jahren absolut vorbildlich verhalten: Der öffentliche Schuldenstand ist liegt bei 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch das Haushaltsdefizit ist gering. Die staatliche Finanzpolitik ist also sehr solide.

Wenn man aber gleichzeitig bedenkt, dass Griechenland, ein ökonomisch gesehen vergleichbar kleines Land ist mit etwa 2,5 Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt der Gemeinschaft, große Probleme verursacht, dann ist klar: Auch ein kleines Land aufzunehmen, kann schreckliche Kopfschmerzen verursachen.

Sie haben es angesprochen: Estland erfüllt die meisten Kriterien zum Euro-Beitritt eindeutig. Andererseits hat es eine Arbeitslosenquote von knapp 20 Prozent und im vergangenen Jahr ist die Konjunktur um 15 Prozent eingebrochen. Reichen die Beitrittskriterien zum Euro-Raum aus?

Man könnte sich in der Tat darüber streiten, ob es nicht für den Euro-Raum auch ein Arbeitsmarktkriterium geben sollte. Andererseits gilt, dass solange die Arbeitslosigkeit in Estland nicht deren öffentlichen Haushalt aus dem Ruder laufen lässt, ist der Rest der Union davon nicht betroffen. Das heißt, die übrigen Länder haben keinen Schaden davon, dass sich das Land eine relativ hohe Arbeitslosigkeit ‚leistet’.

Generell könnte man über ein Kriterium Arbeitslosigkeit nachdenken. Dann hätte man es aber vielleicht von Anfang an tun sollen. Denn verglichen mit Deutschland, ist nicht nur Estland, sondern zum Beispiel auch Portugal auf einem völlig anderen Entwicklungsstand – und trotzdem Mitglied im Euro-Raum.

Welches Signal sendet der Euro-Raum mit der Neuaufnahme Estlands an die Finanzmärkte?

Der Beschluss wird von den Finanzmärkten nicht groß beachtet werden. Herr Juncker, der Vorsitzende der Euro-Gruppe, wird es als Signal der Stabilität vermitteln – eben weil der Schuldenstand Estlands so gering ist.

Ich würde hingegen sagen, es ist ein Signal der allgemeinen Nachlässigkeit der Politik, weil sie sich gar nicht darum kümmert, wie viele Länder sich um den Euro scharen und ob die damit verbundenen Gefahren beherrschbar sind oder nicht: Wie im Fall Griechenlands ist ja auch für Estland keinesfalls sicher, dass dort eines Tages nicht eine ganz andere Politik gemacht wird.

Vor diesem Hintergrund muss man nach der Gewichtung der Stimmen im Rat der Finanzminister fragen. Derzeit hätte die Stimme des estnischen Ministers formal das gleiche Gewicht wie die des deutschen – das kann eigentlich nicht sein, wenn man bedenkt, dass der Ministerrat Direktiven verabschiedet.

Wie weit reicht der Einfluss der Politik auf die Finanzmärkte überhaupt? Jüngst haben Aussagen der ungarischen Regierung über die finanzielle Lage des Landes den Eurokurs gedrückt, obwohl das Land nicht Teil der Währungsunion ist.

Die Politik hat keinen heilsamen Einfluss auf die Finanzmärkte. Sie kann nur umgekehrt für Ärger sorgen, wie man derzeit sieht. Allerdings spielen die Märkte momentan auch ihrerseits verrückt und bewerten so manches über. Nach der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wird auch die kleinste Bemerkung hochgekocht. Da herrscht schon eine Art Panik.

Braucht ein wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland den Euro überhaupt? Andere Staaten kommen ja  auch ohne die Gemeinschaftswährung gut klar: Schweden, Norwegen, Dänemark, eingeschränkt auch Großbritannien.

Deutschland braucht den Euro im Grunde nicht, wohl aber den europäischen Binnenmarkt. Im Gegensatz zu dem, was EU-Kommissionspräsident Barroso behauptet. Er sagt, Deutschland profitiere am stärksten vom Euro. Haben die Deutschen pro Kopf gerechnet in den vergangenen Jahren stärker vom Euro profitiert als etwa die Portugiesen? Nein. Die kleinen, schwachen Länder profitieren am stärksten vom Euro.

Auf den Punkt gesagt: Estland braucht den Euro, die Euro-Gruppe braucht Estland nicht unbedingt.

Zur Person
Manfred Neumann ist emeritierter Professor des Instituts für Internationale Wirtschaftspolitik der Uni Bonn. Er gilt als einer der führenden Geld- und Währungsexperten.

Die Fragen stellte Simon Frost.

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