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Wirtschaft: „Der Handel braucht faire Regeln“

EU-Agrarkommissar Fischler hält Gesetze gegen Dumpingpreise für berechtigt, weil Bauern kaum daran verdienen

Sie haben als 14Jähriger auf dem Hof Ihrer Großeltern mitgearbeitet. Gibt es den Hof noch?

Nein, den gibt es deshalb nicht mehr, weil schon meine Eltern ihn nicht mehr übernommen haben. Hof ist fast zu viel gesagt. Wir hatten drei Kühe.

Würde Ihre Agrarreform Leuten wie Ihren Großeltern helfen?

Das ist Geschichtsbetrachtung. Wir müssen in die Zukunft schauen. Auch in der Metallindustrie überlebt nicht jeder Kleinbetrieb.

Finden Sie die Debatte über Dumpingpreise für Lebensmittel in Deutschland richtig?

Da gibt es tatsächlich Probleme. Von dem Geld, das ein Verbraucher im Laden für ein Kilo Rindfleisch bezahlt, kommt weniger als die Hälfte beim Bauern an.

Was halten Sie von Renate Künasts Plänen, gesetzlich gegen Preise vorzugehen, die unter dem Einkaufspreis liegen?

Es ist schon berechtigt, gegen solch missbräuchliche Sonderangebote vorzugehen. Es muss auch im Handel faire Regeln geben. Zumal es gerade in Deutschland eine hohe Konzentration gibt. Sechs Handelsketten teilen sich 80 Prozent des Marktes. Das heißt: In ganz Deutschland entscheiden sechs Einkäufer darüber, was die Verbraucher in den Supermärkten angeboten bekommen.

Gibt es die Debatte auch in anderen Ländern?

Es gibt kulturelle Unterschiede. In romanischen Ländern wie Italien oder Frankreich gibt es viel mehr Fachgeschäfte als in Deutschland, wo 90 Prozent der Lebensmittel in Supermärkten gekauft werden. Dort sind die Konsumenten auch stärker als hier bereit, für Qualität tiefer in die Tasche zu greifen. Die Schnäppchen dort sind meistens andere Produkte als Lebensmittel. Aber die Konsumenten sind auch hier verschieden. Es gibt die, die sagen: Mir ist das wurscht, Hauptsache billig. Und es gibt Verbraucher, die eine bestimmte Qualität verlangen. Interessant ist, dass beide Konsumentengruppen wachsen.

2004 wird der Binnenmarkt gen Osten erweitert. Müssen die Verbraucher nach 2004 Angst um ihre Gesundheit haben?

Sobald die ost- und mitteleuropäischen Länder beitreten, müssen ihre Standards bei der Lebensmittelsicherheit auf unserem Niveau sein. Die Unternehmen, die diese Anforderungen nicht erfüllen können, dürfen ihre Waren nicht im gesamten europäischen Binnenmarkt vermarkten. Die können ihre Produkte eben nur lokal verkaufen. Aber es hat sich schon viel verändert: Vor zwei Jahren haben von den 5000 polnischen Schlachtbetrieben ganze 20 die Anforderungen der EU erfüllt, jetzt sind es zwei Drittel.

Polen hat beim Erweiterungsgipfel in Kopenhagen höhere Agrarsubventionen ausgehandelt als vorgesehen. Sind Sie damit zufrieden?

Dahinter stecken Startschwierigkeiten. Die Polen haben Recht, wenn sie sagen, dass sie Zeit brauchen, um Programme für die ländliche Entwicklung auszuarbeiten und zum Laufen zu bringen. Deswegen haben wir auch toleriert, dass sie übrig gebliebene Direktzahlungen nicht in die ländliche Entwicklung stecken, sondern in ihren laufenden Haushalt lenken können. Freude habe ich damit auch keine.

Noch vor ein paar Monaten haben Sie eine große Agrarreform angekündigt. Subventionen für die Bauern sollte es nur noch geben, wenn diese umweltfreundlich wirtschaften. Davon haben Sie einiges zurückgenommen.

Es stimmt, dass wir die Modulation (siehe Lexikon) erst im Jahr 2006 verbindlich machen. Dabei wird den Bauern ein Teil ihrer Direktzahlungen gekürzt. Das so gesparte Geld fließt in Agrarumweltprogramme. Es werden auch weniger Mittel aus den direkten Einkommenshilfen für die Bauern in die ländliche Entwicklung fließen. Das ist ein Ergebnis des Brüsseler Gipfels der Regierungschefs, die keine weiter reichenden Reformen wollten.

Auch bei der Subventionsobergrenze von 300000 Euro im Jahr, die vor allem ostdeutsche Großbetriebe getroffen hätte, sind Sie zurückgerudert…

Wir sind nicht zurückgerudert. Die Regierungschefs sind zurückgerudert. Wir können nicht ignorieren, was die Herren Regierungschefs in ihrer Weisheit beschließen. Das ist halt so.

Was ist denn das Kernelement Ihrer Reform?

Die größte Änderung ist die Entkoppelung. Das ist etwas völlig Neues. Der einzelne Landwirt optimiert seinen Betrieb dann nicht mehr, indem er möglichst viel produziert, sondern indem er sich darauf konzentriert zu produzieren, was er auch verkaufen kann.

Der französische Agrarminister Hervé Gaymard hält das für absurd.

Inzwischen kann ein Staat allein nicht mehr alle anderen blockieren.

Führt die Reform zu höheren Preisen für die Verbraucher?

Wenn ein Markt im Gleichgewicht ist, dann haben wir auch ausgeglichene Preise, die bei Rindfleisch um sieben Prozent höher liegen könnten. Zur Zeit steht der Rindfleischpreis deshalb unter massivem Druck, weil wir ein Überangebot haben. Diese sieben Prozent sind aber nicht der Preis an der Ladentheke, sondern der an der Hoftür. Beim Verbraucher käme etwa ein Prozent des höheren Preises an, weil er ja nicht das Rind vom Hof bezahlt, sondern das Filet in der Metzgerei. Dafür bekommt er aber auch mehr Qualität.

Reicht ihre Reform, um als Verhandlungspartner in der Welthandelsrunde ernst genommen zu werden?

Ja. Schließlich bauen wir so unsere marktverzerrenden Subventionen ab. Die USA dagegen haben sogar Förderelemente wieder eingeführt, die eindeutig gegen die WTO-Regeln verstoßen.

Das Interview führten Dagmar Dehmer, Albrecht Meier und Flora Wisdorff.

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