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Wirtschaft: Der Haushalts-Joker

Wenn Finanzpolitiker nicht weiter wissen, greifen sie zur Mehrwertsteuer, das war schon früher so. Doch wie gerecht ist diese Steuer?

Von Antje Sirleschtov

Man kann es als Beleg für den Realitätssinn der Deutschen nehmen oder als Hinweis dafür, dass die Wähler den Politikern keinen Mut für unangenehme Entscheidungen zutrauen: Auf jeden Fall rechnen am Ende dieser Woche rund 90 Prozent der in einer ZDF-Umfrage befragten Bürger damit, dass die große Koalition in den nächsten Tagen die Anhebung der Mehrwertsteuer beschließen wird. Und zwar, um mit den Mehreinnahmen die gewaltigen Haushaltslöcher bei Bund und Ländern zu schließen.

Die Mehrwertsteuer bleibt damit, was sie für die deutschen Haushaltspolitiker der Nachkriegszeit schon immer war: ein Joker, mit dem man sich immer dann zu retten versucht, wenn der Staat mehr Geld braucht und keine Mehrheiten zum Sparen an anderer Stelle aufbringt.

Weil nahezu alle Waren und Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterliegen, ist sie die sicherste Einnahmequelle für staatliche Haushälter. Rund 140 Milliarden Euro fließen über sie den Kassen im Jahr zu, und kaum jemand kann der Zahlung entfliehen. Auf rund acht Milliarden Euro Zusatzeinnahmen können Bund und Länder hoffen, wenn sich Bundestag und Bundesrat zur Erhöhung des Normalsatzes (16 Prozent) um einen Prozentpunkt entschließen. Zwei oder vielleicht sogar vier Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuern sollen die Deutschen bald zahlen, glaubt man den Gerüchten aus den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD.

Ob es so weit kommt? Im Verhandlungskreis der Spitzenpolitiker der Koalition soll bisher noch kein einziges Wort über die Mehrwertsteuer gesprochen worden sein. Wie das bei Jokern so ist, hoffen beide Seiten noch, dem Moment entgehen zu können, in dem sie den Bürgern und Unternehmern mitteilen müssen, dass im kommenden Jahr ein T-Shirt nicht mehr 11,60 Euro sondern 11,80 oder sogar 12 Euro kosten wird. An diesem Wochenende sagte SPD-Chef Franz Müntefering in einem Interview, bis zum 11. November, also Ende nächster Woche, werde gerechnet – und erst dann entschieden, ob man zur Deckung des Etatlochs im Bund von 35 Milliarden Euro eine höhere Mehrwertsteuer braucht.

Die Finanzexperten von SPD und Union haben das Thema allerdings schon intensiv, wenn auch ohne Einigung, besprochen. Und zwar auch mit Blick auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent. Einst wurde dieser Satz eingeführt, um Lebensmittel billiger zu halten, eine sozialpolitische Entscheidung also. Im Laufe der Jahre jedoch gelang es vielen Lobbygruppen, den Gesetzgeber davon zu überzeugen, die eigenen Produkte „zu verbilligen“, um sie auch sozial Schwächeren zugänglich zu machen. Auf Bücher, Zeitschriften, Kultureinrichtungen, Blumen und allerlei landwirtschaftliche Vorprodukte sind seither nur sieben Prozent zu entrichten. „Wird die Steuer angehoben, werden wir auch über eine Konzentration des ermäßigten Satzes auf Lebensmittel und Kulturgüter sprechen“, sagte ein Verhandlungsteilnehmer am Wochenende. Landwirte, Blumenzüchter und auch Tierfutter-Hersteller wird diese Nachricht nicht freuen.

Ist eine höhere Mehrwertsteuer eigentlich sozial gerecht, oder trifft sie vor allem Kleinverdiener und Familien? Diese Frage wird von der Wissenschaft seit Jahren kontrovers diskutiert. Während die einen meinen, jede Steuererhöhung treffe insbesondere Familien, weil sie einen Großteil ihres Einkommens verkonsumieren müssen und sich deshalb der Steueranhebung nicht entziehen können, rechnen andere vor, dass der Einkommensanteil, den Geringverdiener für Lebensmittel ausgeben, weit größer ist als der Einkommensanteil von Besserverdienern in diesem Bereich. 20 Prozent Mehrwertsteuer (bei sieben Prozent für Lebensmittel), so ihr Fazit, treffe also vor allem Besserverdiener.

Fakt ist: Ordnungspolitiker wie der FDP-Fraktionsvizechef Hermann Otto Solms warnen entschieden vor der Steueranhebung. „Wenn die Haushalte nicht durch Sparen saniert werden“, sagt Solms, „dann wird eine Mehrwertsteuererhöhung das Problem nur verschieben“. Die Konjunkturprobleme, die eine solche Steuererhöhung mit sich bringe, würden die Einnahmebasis des Staates bei Einkommens- und Gewinnsteuern nur noch weiter schwächen. „In ein paar Jahren sind die gleichen Löcher wieder da.“ Solms rief daher am Sonnabend „alle politischen Kräfte im Land auf, sich gegen eine Mehrwertsteuererhöhung zu wehren“. Die FDP, kündigte Solms an, werde ihren Einfluss im Bundesrat dazu geltend machen, um diese Erhöhung zu verhindern. Allerdings verfügt Schwarz-Rot auch in der Länderkammer über eine Mehrheit, selbst wenn alle FDP-und die PDS-mitregierten Länder gegen die Steueranhebung stimmen.

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