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Wirtschaft: Der moderne Arbeiter – und wer ihn vertritt

Wann ist eine Gewerkschaft zeitgemäß? Der Kanzler findet Hubertus Schmoldt, Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie, vorbildlich

Berlin . Langsam wird es Hubertus Schmoldt unangenehm. Sein alter Freund Gerd kann es einfach nicht lassen und bezeichnet den Chef der Industriegewerkschaft Chemie, Bergbau, Energie (IG BCE) immer öfter als Vorbild. „Die machen das richtig“, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) über die Chemiegewerkschafter. Wenn sich die Rabauken Frank Bsirske und Klaus Zwickel am zahmen Schmoldt orientieren, dann bräuchten sich Verdi und IG Metall keine Sorgen um die Zukunft zu machen. Meint Schröder.

Die Zahlen lassen einen anderen Schluss zu. Im ersten Halbjahr verlor die IG BCE 18000 Mitglieder und hat derzeit 812000 in der Kartei. Bei der IG Metall sieht das nicht schlechter aus, sie verlor von Januar bis Juni rund 47000 Mitglieder und liegt jetzt bei knapp 2,5 Millionen. Eine vermeintlich moderne Tarifpolitik hat auch der IG BCE zu keiner loyalen Anhängerschaft verholfen.

Schröder nennt ferner, wenn er über Öffnungsklauseln in Tarifverträgen fabuliert und mehr Spielräume für die Betriebe fordert, die Chemiegewerkschaft als erste Adresse. Aber da hat er nicht genau hingeschaut. Zwar gibt es seit Jahren einen Arbeitszeitkorridor: Die „normale“ Wochenarbeitszeit in den Chemiefirmen liegt bei 37,5 Wochenstunden; unter bestimmten Umständen, wenn es etwa wirtschaftliche Probleme gibt, kann die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht oder auf 35 Stunden gesenkt werden. Das müssen jedoch die Tarifparteien, also Gewerkschaft und Arbeitgeberverband, genehmigen. Ebenso genehmigungspflichtig ist der Entgeltkorridor, den es in der Chemie seit 1998 gibt: Wenn der Betrieb in Schwierigkeiten steckt, können Löhne und Gehälter um bis zu zehn Prozent reduziert werden – sofern die Tarifparteien zustimmen. In der Metallindustrie ist das auch möglich und üblich. Dafür steht der Begriff der betrieblichen Bündnisse für Arbeit: Die Betriebsparteien verständigen sich auf weniger Lohn oder mehr Arbeit und dafür werden die Arbeitsplätze gesichert. Zustimmen müssen aber auch hier Arbeitgeberverband und IG Metall.

Wirklich innovativ war die IG Chemie im vergangenen Jahr, als im Tarifvertrag die Flexibilisierung des Weihnachtsgeldes vereinbart wurde. Normalerweise zahlen die Betriebe 95 Prozent eines Monatsgehalts. Nach dem neuen Tarif kann die Sonderzahlung nun auf 80 Prozent reduziert oder auf 125 Prozent erhöht werden. Das liegt dann völlig im Ermessen der Betriebsparteien, die Tarifparteien haben keinen Einfluss.

Dasselbe gilt auch für den Tarifvertrag im Bankgewerbe, den Verdi abgeschlossen hat. In diesem Jahr sind vier Prozent des Gehalts leistungsabhängig, ab dem kommenden Jahr sind es sogar acht Prozent. Ob und wie diese Form der Leistungsentlohnung geregelt wird, liegt allein in der Hand von Betriebsrat und Geschäftsleitung. Ferner kann je nach Ertragslage der Bank das Entgelt um sechs Prozent nach unten oder zwölf Prozent nach oben variieren.

Soweit ist die Metallindustrie noch nicht, obwohl der Stuttgarter Bezirksleiter der IG Metall, Berthold Huber, in einem zweistufigen Tarifvertrag die Zukunft sieht: In der ersten Stufe wird das Mindestentgelt festgeschrieben, in der zweiten Stufe das ertragsabhängige Entgelt geregelt. Davor scheuen allerdings viele Firmen und Verbände zurück, weil sie sich von den eigenen Betriebsräten nicht in die Bücher schauen lassen wollen.

Bei der Verteilung der Arbeitszeit, das würdigen auch die Arbeitgeber, gibt es inzwischen ausreichend Flexibilität bei den Metallern. Was den Unternehmen fehlt, sind weitere Gestaltungsräume bei der Dauer der Arbeitszeit. Also zum Beispiel die Möglichkeit, in einem Korridor zwischen 35 und 40 Stunden ohne Überstundenzuschläge und Überstundenanträge arbeiten zu können.

Ein großer Wurf, da sind sich IG Metall und Arbeitgeber einig, sind die ersten Abkommen über den so genannten Entgeltrahmentarifvertrag (ERA), der Facharbeiter im Verhältnis zu Angestellten aufwertet und eine leistungsorientiertere Entlohnung ermöglicht. Die ersten Verträge wurden in den letzten Woche in den Tarifbezirken Küste und Baden-Württemberg unterschrieben. Wegen des Streiks im Osten und des Streits in der IG Metall hat das allerdings kaum jemand bemerkt.

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