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Seit Beginn der syrischen Revolution im Jahr 2011 versinkt es in Chaos und Bombenhagel.

© dpa

Wirtschaft in Syrien: Der Preis des Krieges

Wer in Syrien früher wohlhabend war, kann von seinem Geld heute nicht mehr leben. Die Wirtschaft ist vollkommen zerstört

Syrien war einmal ein bedeutendes Land im Mittelmeerraum. Doch seit Beginn der syrischen Revolution im Jahr 2011 versinkt es in Chaos und Bombenhagel. Jene, die noch nicht davor geflohen sind, leben in permanenter Angst. Und sie leben in einem Land, dessen Wirtschaft zerstört ist.

Eines der größten Probleme ist der veränderte Wechselkurs der syrischen Lira: Im Jahr 2011 entsprach ein US-Dollar (rund 90 Cent) etwa 47 Lira. Heute liegt der Wert von einem US-Dollar bei 500 Lira. Rodaina aus Damaskus, Abteilungsleiterin in einem Unternehmen, das sich auf den Transport von Produkten zwischen Syrien und Europa spezialisiert hat, sagt: „Mein Gehalt lag damals bei 50 000 Lira, also bei mehr als 1000 US-Dollar. Ich führte ein luxuriöses Leben und konnte sogar die Hälfte meines Gehalts sparen.“ Weil der Wert der Lira aber derart stark zurückgegangen ist, beträgt ihr Gehalt mittlerweile weniger als 100 Dollar. Es reicht kaum noch zum Überleben.

Der Inhaber des Unternehmens, in dem sie arbeitet, konnte die Gehälter an den Wechselkurs nicht anpassen, weil der Unternehmensgewinn wegen des Krieges und der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Syrien drastisch zurückgegangen ist. „Uns bleibt also nichts anderes übrig, als unsere Situation geduldig hinzunehmen oder zu kündigen.“

Preiserhöhung um das Zehnfache

Der immense Wertverlust der syrischen Lira führte zu einer Preiserhöhung um das Zehnfache. Der Preis von einem Kilogramm Zucker stieg von 40 auf 400 Lira, der Preis von einem Liter Öl von 75 Lira auf 800 Lira. Viele Familien haben ihren Konsum auf das absolut Notwendigste reduziert.

Manche haben Hilfsorganisationen und Kirchen um Hilfe gebeten. So wie Salam, die aus Homs nach Mashta al Helou geflüchtet ist. „Zu Beginn des Krieges war ich zu stolz, von irgendeiner Einrichtung Hilfe anzunehmen. Doch als vor zwei Jahren unsere Ersparnisse aufgebraucht waren, musste ich um Unterstützung bitten“, erzählt sie. Vom Roten Halbmond und einer städtischen Kirche bekommt Salam Lebensmittelpakete, Decken und Reinigungsmittel. Manchmal bringt sie etwas davon in kleine Läden und tauscht es gegen Reis oder andere Lebensmittel, die sie dringend braucht.

Luxus aus vergangenen Zeiten

Es kommt nur noch selten vor, dass jemand in Syrien eine namhafte Tabaksorte raucht. Ein Luxus aus vergangenen Zeiten. Einige Unternehmer haben die Qualität oder die Menge ihrer Produkte außerdem so angepasst, dass sie die Preise nicht zu sehr erhöhen mussten. Jameel, Inhaber eines Fast-Food-Restaurants in Latakia, erklärt: „Vor der Rezession kostete bei mir ein randvoll mit Fleisch gefülltes Shawarma-Sandwich 50 Lira. Wenn ich die Sandwiches heute in gleicher Qualität anbieten wollte, müsste ich den Preis auf mehr als 500 Lira setzen. Das kann ich den Menschen hier aber nicht zumuten.“

Deshalb hat er sich entschieden, die Menge an Fleisch zu reduzieren und weniger hochwertige und teure Zutaten als zuvor zu verwenden. So kann er ein Sandwich zumindest für 350 Lira anbieten.

Bestimmte Berufe werden wichtig

Mit dem Krieg wurde die syrische Bevölkerung mit Situationen konfrontiert, die sie bis dahin nicht kannte. Das hatte auch zur Folge, dass Berufe entstanden sind, die es zuvor nicht gab: Die langen Unterbrechungen der Stromversorgung haben dazu geführt, dass einige Leute Geschäfte eröffneten, die ausschließlich auf den Verkauf und die Reparatur von Stromgeneratoren spezialisiert sind.

Andere Syrer kamen auf die Idee, aus der Knappheit an Benzin und Diesel an den Tankstellen Geld zu machen. Wer gute Beziehungen zu Tankstellenbesitzern hat, bezieht von ihnen Treibstoff und verkauft ihn zu überteuerten Preisen weiter.

Wegen der Sicherheitslage gibt es immer mehr Security-Unternehmen, die junge Männer ausbilden und sie anschließend vor bestimmten Gebäuden oder Einrichtungen wie zum Beispiel Banken postieren. Und mit der hohen Anzahl von Flüchtlingen innerhalb Syriens wuchs bei dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und dem Roten Halbmond der Bedarf an neuen Mitarbeitern.

Lieber im Restaurant als zu Hause

Die wirtschaftliche Lage ist miserabel. Die Preise steigen ständig. Dennoch sind Restaurants, Schwimmbäder und touristischen Ausflugsziele in den relativ sicheren Gebieten gut gefüllt. Manchmal müssen die Kunden sogar einige Zeit im Voraus reservieren, um einen Platz zu bekommen. George, Bar- und Restaurantbesitzer in Wadi al Nasara in Homs, erklärt sich dieses Phänomen so: „Die relativ stabile Lage in manchen Gebieten hat dazu geführt, dass viele Bewohner aus unsicheren Gegenden dorthin ziehen.“

Einige Familien würden außerdem lieber ins Restaurant gehen, als zu Hause zu bleiben – denn dort müssten sie im Winter den Stromgenerator oder die Heizung einschalten und im Sommer die Klimaanlage. Was teuer geworden ist. Würden sie all diese Ausgaben zusammenrechnen, kämen sie fast auf die gleiche Summe wie im Restaurant.

Kostenloses Internet nutzen

Ein anderer Grund ist, dass es außerhalb ihres Zuhauses noch kostenloses W-lan gibt. Viele Kunden würden ihre Laptops und Smartphones mit in ein Café nehmen, um mit Verwandten und Freunden zu schreiben, die nach Europa geflohen sind. Von ihnen bekommen einige Syrer außerdem Beträge in Devisen überwiesen. Diese Syrer trifft die Preiserhöhung im zerstörten Land nicht allzu sehr.

Der schlechten wirtschaftlichen Situation steht die syrische Regierung hiflos gegenüber. Trotz der ständigen Intervention der Zentralbank und deren Versuch, den Wertverlust der syrischen Lira zu bremsen, ist ihr Wert im Vergleich zu 2011 um das 1000- bis 1200-Fache gefallen. Dass so viele Syrer ihr Land verlassen, liegt nicht nur an der verheerenden Sicherheitslage. Es liegt auch an der wirtschaftlichen Situation, die sie nur schwer überleben lässt.

Samer Masouh schrieb als Freiberufler für Reuters über den Syrienkonflikt – bis er festgenommen wurde. Mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert- Stiftung kam er Anfang des Jahres nach Deutschland. Er besucht nun Deutsch- und Journalistikkurse.

© Doris Spiekermann-Klaas

Samer Masouh ist Journalist und kommt aus Syrien. Sein Text erscheint im Rahmen der Tagesspiegel-Ausgabe vom 15. Oktober 2015, die von geflüchteten Journalisten gestaltet worden ist.  Der Text wurde aus dem Arabischen übersetzt von Melanie Rebasson.

Samer Masouh

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