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Wirtschaft: „Der sinkende Auftragseingang macht mir Sorgen“

Heike Kunstmann, Hauptgeschäftsführerin des Metallarbeitgeberverbandes Gesamtmetall, über die kommende Tarifrunde

Frau Kunstmann, macht Ihnen die robuste Konjunktur Sorgen?

Wenn es unseren Unternehmen gut geht, freut mich das natürlich, vor allem auch die steigenden Beschäftigtenzahlen. Was mir Sorge macht, ist allerdings der sinkende Auftragseingang. Das erinnert mich an einen alten Spruch: In dem Moment, in dem der Aufschwung da ist und ihn alle bemerken, nimmt er den Hut und schleicht sich davon. Es sieht so aus, dass die Konjunktur 2007 wieder abflacht.

Mit Ihrem Pessimismus versuchen Sie die IG Metall zu bändigen, die von „großen Entgelterwartungen“ ihrer Mitglieder mit Blick auf die nächste Tarifrunde spricht.

Was in Deutschland passiert, womöglich auch die aktuelle Gewinneuphorie, ist häufig der Tatsache geschuldet, dass sich die Unternehmen im Ausland kostengünstig aufgestellt haben. Ein Großteil der Gewinne, die hier zu Lande Begehrlichkeiten wecken, stammt aus dem Ausland. Und je stärker der Standort Deutschland belastet wird, desto mehr schwächt das die Wettbewerbsposition der Firmen.

Die Wettbewerbsposition der deutschen Metallindustrie ist doch trotz der Tarifabschlüsse – in diesem Jahr gibt es drei Prozent mehr Lohn – immer besser geworden.

Wir freuen uns ja über eine konjunkturelle Situation, die den hohen Tarifabschluss im Nachhinein erträglicher macht – wenn auch nur für 2006. Das Problem ist nur, dass die drei Prozent sozusagen für die Ewigkeit sind – sie gehen in die Lohntabellen ein und müssen also auch dann bezahlt werden, wenn die Konjunktur wieder deutlich schwächer läuft.

Demnach dürfte es gar keine Tariferhöhungen mehr geben, weil irgendwann immer die Konjunktur schwächelt.

Gewisse Entgelterhöhungen wird es auch künftig geben. Das ist in Ordnung, wenn der Flächentarif Mindestbedingungen für alle vereinbaren würde. Aber wir satteln ständig drauf. Deshalb ist unser Ziel, einen Teil der Erhöhung in die Tabelle einfließen zu lassen und einen anderen Teil entsprechend der Konjunktur einmalig an die Beschäftigten zu zahlen.

Für dieses Jahr haben Sie neben der dreiprozentigen Tariferhöhung eine variable Einmalzahlung von 310 Euro pro Kopf vereinbart. Wenn es einer Firma ganz schlecht geht, muss sie die nicht zahlen. Also haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Die große Bandbreite zwischen wirtschaftlich gut und schlecht laufenden Unternehmen ist die stärkste Herausforderung für den Flächentarif. Die Lösung kann nur darin liegen, eine für alle gültige Lohnzahl um eine betriebliche Komponente zu ergänzen, die nach oben und unten schwanken kann. Mit dem letzten Abschluss ist eine konkrete Ausformung dieses Prinzips gelungen – immerhin ein Anfang für neue Gestaltungselemente.

Nach Einschätzung der IG Metall zahlen mindestens vier Fünftel der Unternehmen den diesjährigen Einmalbetrag von 310 Euro. Offenbar gibt es kein Bedürfnis der Firmen nach ertragsabhängigen Gehaltsbestandteilen.

Für die Unternehmen und die Betriebsräte ist das eine neue Situation, entsprechend zögerlich gehen die Betriebsparteien damit um. Erst nach zwei oder drei Jahren können wir das Instrument wirklich beurteilen – und damit die Frage, ob der Flächentarif in diesem Punkt auf betriebliche Unterschiede reagieren kann oder ob letztlich nur Einzelvertraglich vereinbarte Lösungen helfen.

Warum haben Sie das dann nur für ein Jahr abgeschlossen?

Weil der Tarifvertrag nur ein Jahr läuft, mehr war mit der IG Metall zu vernünftigen Konditionen nicht möglich. Aber selbstverständlich streben wir dauerhafte Lösungen an. Wir regeln dann im Flächentarif die Basis, und die Unternehmen können, wenn sie das wollen, individuell im Betrieb abweichen. Das ist die Grundstrategie von Gesamtmetall, mit der wir die Akzeptanz des Flächentarifs bewahren wollen.

Die Öffnungsklausel, die im Pforzheimer Abschluss vor dreieinhalb Jahren vereinbart wurde, reicht dazu nicht aus?

Pforzheim ist etwas ganz anderes: Ein zeitlich befristetes betriebliches Bündnis, bei dem beide Seiten Zugeständnisse machen. Um teilweise deutlich vom Tarif abweichen zu können, brauchen die Firmen die Zustimmung der Tarifparteien. Wir wollen aber eine echte Öffnungsklausel zugunsten der Betriebsparteien, ohne Zustimmungsvorbehalt der IG Metall und des regionalen Arbeitgeberverbandes.

Wie geht es weiter, der Pforzheimer Vertrag läuft im nächsten Jahr aus?

Darüber werden wir mit der IG Metall im Herbst 2007 sprechen.

Und im Frühjahr 2007 wollen Sie einen schnellen und möglichst billigen Abschluss ohne die so genannten qualitativen Elemente wie etwa Langzeitkonten?

Die IG Metall strebt ja derzeit einen Abschluss in der Stahlindustrie an, mit dem die Beschäftigung älterer Mitarbeiter erleichtert werden soll. Das ist zwar ein interessanter Ansatz, den wir beobachten werden. Aber die Frage ist, was ist in der Verantwortung der Unternehmen und was muss in einen Flächentarif gegossen werden. Wir wollen grundsätzlich eine Überbürokratisierung vermeiden und nicht für alles Tarifverträge abschließen.

Im nächsten Jahr könnten Bestimmungen über die Dauer der Arbeitszeit neu verhandelt werden. Wollen Sie das anpacken?

Arbeitszeit ist immer ein wichtiges Thema. Aber es ist auch eines, das sich zum Gewinnen und Verlieren auf beiden Seiten eignet, ich erinnere nur an den Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland. Wir werden das erst zu gegebener Zeit entscheiden.

Es gibt Tarifverträge über Langzeitkonten in NRW und Baden-Württemberg. Warum nicht auch woanders?

Wenn die Mitgliedschaft das will – kein Problem. Damit hängen natürlich Pflichten zusammen wie zum Beispiel die Insolvenzsicherung. Aber in jungen Jahren Zeit oder auch Geld anzusparen, um dann im Alter weniger zu arbeiten oder früher auszuscheiden, ist im Prinzip vernünftig. So etwas funktioniert allerdings nur als Beitrittsmodell.

Tut die Metallindustrie genug für den Nachwuchs, für Aus- und Weiterbildung?

Unsere Firmen geben jedes Jahr 3,3 Milliarden Euro für Ausbildung aus. Dabei müssen die Unternehmen als Azubis die jungen Leute nehmen, die von der Schule auf den Markt kommen. 20 Prozent, das ist die offizielle Zahl aus dem Arbeitsministerium, sind aber nicht ausbildungsfähig. Das ist ebenso ein Problem wie die Ausbildungsvergütung. Gerade in unserer Industrie kosten die Azubis zu viel.

Wie viel?

Ein Industriemechaniker bekommt im vierten Lehrjahr bis zu 890 Euro monatlich. Aber die Vergütung ist nur ein Teil: Insgesamt kostet die Ausbildung eines Azubis rund 18 000 Euro pro Jahr. Ein Hemmnis ist zudem die Übernahmeverpflichtung. Ein Zwang, der mit guten Absichten eingeführt wurde, aber heute das Gegenteil des Gewünschten erreicht.

Wenn Sie sich die Politik der großen Koalition ansehen: Sind Sie zufrieden?

Internationale Erfahrungen zeigen, dass man die Erwartungen an eine große Koalition nicht zu hoch schrauben darf. Trotzdem: Im Verhältnis zu dem, was möglich wäre, ist die bisherige Arbeit der Regierung enttäuschend.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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