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„Die Sonne scheint immer“. Unternehmer Stefan Mittmann vor einer Fotovoltaikanlage in Amyntaion, Nordgriechenland.

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Deutsch-griechischer Unternehmer: „Wir brauchen einen Otto Rehhagel“

Ein deutsch-griechischer Unternehmer spricht mit dem Tagesspiegel über das neue Rettungspaket, die griechische Mentalität und die Chancen des Landes.

Herr Mittmann, die Euro-Länder haben sich gerade auf ein neues Rettungspaket für Griechenland geeinigt. Haben Sie die Entscheidung gefeiert?
Ja, schon, aber das Paket packt das Problem ja nicht an der Wurzel an. Die Zinsen werden gesenkt, die Schulden sogar zum Teil erlassen, aber das bekämpft ja nicht die Ursachen der Probleme, die wir in Griechenland haben. Die haben sich hier in den letzten 20, 30 Jahren festgewurzelt.

Was ist das größte Problem? 
Das Schlimmste ist, dass es kein Vertrauen mehr gibt. Die Bürger vertrauen den Politikern nicht mehr, die Politiker vertrauen sich gegenseitig nicht mehr, die Europäer vertrauen den Griechen nicht mehr. Ohne Vertrauen gibt es aber keine Lösung.

Vertrauen die Griechen den Europäern denn noch? 
Die Griechen sind sehr emotional. Man kann sie sehr leicht von einem Extrem ins andere Extrem schaukeln. Und die Medien übertreiben gern. Aber genauso schnell, wie Sie einen Griechen gegen die deutsche Kanzlerin stimmen können, können Sie ihn auch wieder umstimmen.

Ihr Vater stammt aus Deutschland, Ihre Mutter aus Griechenland. Sie selbst sind in Athen geboren, haben in Berlin studiert und in Griechenland ein Unternehmen gegründet. Was ist der Unterschied zwischen den Deutschen und den Griechen? 
Sie müssen sehen, wie die Griechen aufwachsen. Sie werden verwöhnt, von der Sonne und von ihren Eltern. Wenn die Kinder ihr Zimmer nicht aufräumen, brüllt die Mutter zwar, aber am Ende räumt sie selbst auf. Wenn es in der Schule nicht funktioniert, redet man halt mal mit dem Lehrer. Man weiß, die Eltern kümmern sich immer. Und wenn man größer wird, kümmert sich der Staat. Ich glaube, das hängt auch mit dem Wetter zusammen. Wenn Sie in Deutschland früher nicht für den Winter vorgesorgt haben, sind Sie erfroren oder verhungert. Mit den Griechen war die Natur immer gnädig. Das ist heute auch noch so: Es gibt keine klaren Grenzen, irgendwie schafft man es schon.

Wie ist das im Geschäftsleben? 
Für die Griechen zählt das Ziel, nicht der Weg dorthin. Das heißt, die Regeln werden nicht immer eingehalten, man fährt auch mal ein bisschen über Rot, natürlich passt man auf, dass nichts passiert, aber die Hauptsache ist, man kommt zum Ziel. Für einen Deutschen ist es wichtiger, dass er die Regeln einhält, selbst wenn er das Ziel verfehlt.

Gilt das auch bei der Steuererklärung? 
Das ist ja wieder eine Vertrauenssache. Wenn ich Steuern hinterziehen könnte, würde ich das auch machen. Ich kann es aber nicht. Man hat das Gefühl, das ist alles nur rausgeschmissenes Geld. Weil damit sehr schlecht gewirtschaftet wird. Die Straßen sind schlecht, das Bildungswesen ist schlecht, das Gesundheitswesen auch. Die Politiker in Griechenland sind korrupt, das ist ein sehr intransparentes System. Das hängt auch mit den Gesetzen zusammen. Ich habe in Berlin Informatik studiert. Das Grundgesetz und alle anderen Gesetze sind ja eigentlich das Betriebssystem der Gesellschaft eines Landes. Und Griechenland arbeitet immer noch mit DOS, dem Betriebssystem der 80er Jahre. Es ging alles sehr langsam, immer wieder brach das System zusammen. Alle anderen Länder haben schon Windows, E-Mails und Internet.

Lesen Sie mehr über Bürokratie und Industrie auf Seite zwei.

Inwiefern betrifft das Ihr Unternehmen? 
Es gibt zu viele Behörden, die man überwinden muss, man könnte sie auch Behürden nennen. Die Gesetze sind sehr schlecht, die Beamten können vieles auslegen, wie sie wollen, manche lassen sich sogar schmieren. Wir bauen Photovoltaikanlagen. Da geht es um Fragen wie: Darf ich meine Photovoltaikanlage auf eine Pergola bauen oder nicht? Ist sie ein fester Bestandteil des Hauses? Oder um Abstände, die einzuhalten sind vom Rand des Gebäudes. Das kann so oder so ausgelegt werden, da gibt es viele Möglichkeiten, dass da jemand ein Auge zudrückt.

In Deutschland schimpfen die Unternehmen auch immer über die Bürokratie.
Ich glaube, in Deutschland geht es im Vergleich relativ unbürokratisch zu, zumindest sind die Zeiten für Genehmigungen sehr kurz. Wir bauen gerade Anlagen, die vor vier Jahren beantragt wurden, viele Leute halten das gar nicht durch. Vielleicht hatten die vor vier Jahren Geld, und jetzt haben sie keines mehr.

Wie ist Ihre finanzielle Lage jetzt, in der Krise? 
Die Banken sind knapp bei Kasse, es fehlt das Geld für Investitionen. Eigentlich ist die Photovoltaik ziemlich risikofrei. Die Einspeisevergütung für Solarstrom hier ist höher als in Deutschland. Wenn eine Anlage wirklich gut gebaut ist und einmal läuft, rentiert sie sich von selbst, da kann man nicht viel falsch machen. Die Sonne scheint ja immer. Sie ist das Einzige, was die Politiker nicht beeinflussen können. Wenn die Sonne einen Ministererlass bräuchte, damit sie jeden Morgen aufgeht, würden wir hier im Dunkeln sitzen.

Sie bauen die Anlagen in Griechenland, die Module kommen aus Deutschland. Wieso gibt es keine griechischen Hersteller?
Es gibt welche, aber die Werke sind noch relativ unerfahren. Eine Solaranlage ist eine langfristige Investition, da vertraut man eher einer Firma, die schon lange produziert und viel verkauft hat. Es ist ja nicht so einfach, etwas zu bauen, das 20 oder 25 Jahre lang hält. Wie sich die griechischen Anlagenbauer entwickeln, hängt auch davon ab, wie sich der Markt hier entwickelt. Griechenland muss aber gar nicht in den Wettbewerb der Industrie einsteigen. Wir können hier auch das Know-how rund um die Nutzung aufbauen, zum Beispiel beim Thema Elektromobilität. Auf den griechischen Inseln können die Touristen schon mit Elektrorollern herumfahren.

Die deutsche Industrie hat angekündigt, die griechische Wirtschaft unterstützen zu wollen. Was wünschen Sie sich? 
Die Chinesen machen es vor: Sie verkaufen uns ihre Produkte und bieten den Kredit dafür gleich mit an. Das müsste die deutsche Wirtschaft auch machen. Wir bekommen ja viele EU-Gelder, aber die Produkte werden dann woanders gekauft, das macht doch keinen Sinn. Das Geld darf nicht in den Konsum fließen, sondern muss sinnvoll investiert werden, etwa in Solarprodukte. Dann müssten wir weniger Öl importieren. Das sind langfristige Investitionen, die auch dem Tourismus und anderen Dienstleistungen zugutekommen. Die Universität Harvard hat schon eine Zweigniederlassung in der griechischen Stadt Nafplion. Das hier ist ein tolles Land, um wissensintensive Aktivitäten aufbauen. Es ist sehr inspirierend und sehr motivierend, hier zu leben.

Ist Ministerpräsident Giorgos Papandreou der richtige Mann, um Reformen auf den Weg zu bringen? 
Nein. Das ist wie bei einer Fußballmannschaft. Wenn Sie in die dritte Liga abgestiegen sind, wechseln Sie den Trainer aus. Keiner glaubt, dass der alte Sie zurückbringt in die Bundesliga. Unsere Politiker haben jedes Vertrauen verspielt, jeden Tag demonstrieren mehr Menschen. Jetzt müssen sich neue Leute zur Wahl stellen. Griechenland ist ein kleines Land, da lassen sich Reformen schnell umsetzen, die Griechen sind anpassungsfähig und flexibel, wenn sie Vertrauen in jemanden haben. Wer hätte 2004 geglaubt, dass wir die Fußball-EM gewinnen würden? Was wir jetzt brauchen, ist ein Otto Rehhagel.

Das Gespräch führte Miriam Schröder.

DER UNTERNEHMER

Stefan Mittmann wurde 1964 in Athen geboren. Seine Eltern, ein Deutscher und eine Griechin, lernten sich beim Studium in Berlin kennen. Er ging auf eine deutsche Schule und studierte Informatik an der TU Berlin. 1984 kehrte er nach Griechenland zurück, wo er lange in der Telekommunikationsbranche arbeitete. 2007 gründete er mit einem Partner die Helioindex AG. Er ist mit einer Griechin verheiratet. Sie haben eine Tochter.

DIE FIRMA
Die Helioindex AG verkauft in Griechenland Photovoltaikmodule der Firma Solarwatt aus Dresden. Zudem fungiert sie als Generalunternehmer beim Aufbau der Anlagen. Beschäftigt werden zehn Mitarbeiter, Hauptsitz ist Athen.

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