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Vorteil Starbucks. Die Kette aus den USA gehört zu den multinationalen Konzernen, die von unterschiedlichen Steuersätzen am meisten profitieren. Foto: dpa

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Wirtschaft: „Deutsche Firmen haben weniger Möglichkeiten“

Klaus-Peter Naumann, Sprecher der Wirtschaftsprüfer, über unterschiedliche Steuersysteme und -schlupflöcher für Konzerne.

Herr Naumann, waren Sie überrascht, dass das Thema Steueroasen und Steueroptimierung so vehement diskutiert wird?

Erstaunlich ist in der Tat die plötzliche Vehemenz. Dem Berufsstand, aber auch den Finanzverwaltungen, ist die Situation durchaus bekannt. Überraschend ist eher, dass ausgerechnet nach der Verantwortung der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater gefragt wurde.

Ist die Frage etwa unberechtigt?

Die erste Frage, die man stellen müsste: Warum gestatten Staaten in Europa und anderen Teilen der Welt, insbesondere der USA, dass es so unterschiedliche Steuersysteme mit – auch legalen – Schlupflöchern gibt? Die hätte man schon vor Jahren beantworten und Lösungen in Angriff nehmen können.

Haben Sie diese Frage denn gestellt?

Das, was wir heute diskutieren, ist seit vielen Jahren bekannt. Einzelne Länder bewerben sich besonders aggressiv um den Sitz großer Unternehmen oder Holdings: Irland oder Holland beispielsweise. Wir haben dieses Thema bereits vor etwa fünf Jahren auf europäischer Ebene in die Diskussion gebracht. Es gab allerdings wenig Appetit, sich mit damit zu beschäftigen. Auch, weil der damalige Kommissar für den Binnenmarkt, der aus Irland stammte, das Thema aus nahe liegenden Gründen nicht aufgreifen wollte. Anders Berlin: Das Bundesfinanzministerium hat sich das Thema einer einheitlichen Besteuerungsgrundlage in Europa und damit einer richtige Grundlage für die Steuerharmonisierung schon vor Jahren zu eigen gemacht.

Ohne Erfolg. Obwohl Deutschland als stärkste Wirtschaftsnation Europas die größten Nachteile hat, weil US-Konzerne wie Google, Starbucks oder Apple ihre Gewinne hier kaum versteuern.

Deutschland ist zwar ein großer, aber letztlich auch nur einer von 27 EU-Mitgliedsstaaten. Im Übrigen sind Steuern aus Unternehmenssicht Kosten. Wenn es einen Wettbewerb der Steuersysteme gibt, wirkt das tendenziell disziplinierend und kostensenkend. Steuerwettbewerb ist deshalb nach meiner Überzeugung nicht grundsätzlich negativ. Allerdings zeigt sich, dass deutsche Unternehmen weniger Gestaltungsspielraum haben als etwa die US-Konzerne.

Ein Wettbewerbsnachteil?

Auf der einen Seite, ja. Die Unternehmen müssen entscheiden, ob und wie sie diesen Nachteil ausgleichen. Auf der anderen Seite kann es auch ein Wettbewerbsvorteil sein, wenn ein Unternehmen als „good citizen“, als verantwortungsbewusster Teil unserer Gesellschaft, aufgestellt ist.

Der Steuerwettbewerb hat zu großen Grauzonen geführt, in denen mit krimineller Energie Geld vor dem Fiskus versteckt wurde. Welche Verantwortung haben denn die Steuer- und Wirtschaftsprüfer?

Man muss unterscheiden zwischen legalen und illegalen Gestaltungen. Steuerhinterziehung ist verwerflich, keine Frage. Das ist eine Rechtsverletzung durch diejenigen, die den Fiskus betrügen und ihre Berater, die dabei helfen. Daneben aber gibt es den Bereich der legalen Steuergestaltung oder -optimierung. Da stehen wir als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in der Pflicht, den Auftrag unserer Kunden optimal zu erfüllen. Sonst machen wir uns schadenersatzpflichtig.

Also muss der Gesetzgeber eingreifen.

Ja, weil er alleine durch Verfassungsrecht die Legitimation und Pflicht dazu hat, die Regeln aufzustellen und zu ändern. Man sollte sich international Gedanken darüber machen, wie man zu einheitlichen Steuerbemessungsgrundlagen – zum Beispiel bei den Gewinnen – kommt. Es fällt ja selbst Experten schwer, zu vergleichen, welche Gewinne in den einzelnen Ländern ausgewiesen und steuerlich behandelt werden. Würden hier einheitliche Bemessungsgrundlagen geschaffen, könnte man einfacher über die jeweilige Höhe der Steuersätze diskutieren.

Hier sehen Sie Handlungsbedarf auch für die Bundesregierung?

Wer einen fairen Wettbewerb in einem einheitlichen europäischen Währungsraum will, der muss auch für ein einheitliches Gewinnermittlungsrecht sorgen.

Wirtschaftsprüfern wird vorgeworfen, dass sie die Risiken, die zur Finanzkrise geführt haben, zu spät gesehen haben. Was entgegnen Sie den Vorwürfen?

Eine Lehre, die wir aus der Krise ziehen: Im Spannungsverhältnis von Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfern ist zu wenig kommuniziert worden. Die Aufsichtsorgane haben sich in vielen Fällen zu stark auf das verlassen, was ihnen von den Vorständen an Informationen präsentiert worden ist. Und die Informationen, die sie hatten sind nicht immer angemessen reflektiert worden.

Und welche Konsequenzen ziehen Sie?

Einer unserer Vorschläge: Vorstände, die besonders riskante Geschäfte machen wollen, die die Existenz des gesamten Unternehmens bedrohen könnten, müssen sich diese vom Aufsichtsrat genehmigen lassen. Für unseren Berufsstand gilt generell, dass wir nach den Erfahrungen der Krise die uns vorgelegten Informationen noch kritischer hinterfragen.

Und was ist mit Unternehmen, in denen Ex-Vorstände Aufsichtsräte werden, die von langjährigen Wirtschaftsprüfern kontrolliert werden, die wiederum auf den Auftrag des Unternehmens angewiesen sind?

Der Wirtschaftsprüfer kann seine Rolle im Rahmen der Corporate Governance nur erfüllen, wenn diese Corporate Governance auch funktioniert. Die Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat wirkt nicht, wenn dessen Mitglieder nicht genügend kritisch oder vom Vorstand nicht unabhängig sind. Auch die Hinweise des Wirtschaftsprüfers an den Aufsichtsrat laufen dann ins Leere.

Sind die Wirtschaftsprüfer unabhängig genug, wenn sie sich selbst kontrollieren?

Die Wirtschaftsprüferkammer, in der alle deutschen Wirtschaftsprüfer Zwangsmitglied sind, führt eine gute Berufsaufsicht durch. Aber: Alles, was sie macht, wird dadurch belastet, dass es Berufsangehörige selbst sind, die den Berufsstand überwachen. Das sollten wir ändern. Die Arbeit der Wirtschaftsprüferkammer wird bereits heute durch die Abschlussprüferaufsichtskommission überwacht, in der Richter, Wissenschaftler, ehemalige Finanzvorstände, Ex-Bundesbanker und andere vom Berufsstand unabhängige Persönlichkeiten tätig sind. Unser Vorschlag: Die Rolle der Abschlussprüferaufsichtskommission weiter stärken.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

Klaus-Peter Naumann ist Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland. Der Verein vertritt gut 13 000 Wirtschaftsprüfer.

Mit Naumann sprach

Henrik Mortsiefer.

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