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Wirtschaft: Deutsche Unternehmen im Fusionsfieber

So viele Übernahmen wie seit fünf Jahren nicht mehr /KPMG sieht Gipfel noch nicht erreicht / Experten warnen vor Eile

Berlin - Die Anleger in Amerika konnten zufrieden sein. Um stolze 800 Millionen Dollar waren sie binnen weniger Stunden reicher geworden, nachdem Adidas-Salomon vergangene Woche angekündigt hatte, den Konkurrenten Reebok zu übernehmen. Die Reebok-Aktie, die in den Wochen zuvor orientierungslos umhergedümpelt war, wurde plötzlich zum Renner mit einem Kursplus von 30 Prozent an nur einem Tag.

Mit dem Adidas-Reebok-Coup hat das Fusionsfieber einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Seit fünf Jahren hat es in Deutschland nicht mehr so viele und so teure Transaktionen gegeben wie im ersten Halbjahr 2005. Das Volumen der Abschlüsse mit deutscher Beteiligung stieg auf 98,6 Milliarden Dollar, das war eine Verdoppelung gegenüber der ersten Hälfte des Vorjahres. Auch in den Nachbarländern ist das Geschäft lebhaft. „In diesem Jahr wird Europa bei Fusionen und Übernahmen voraussichtlich vor den USA liegen“, prognostiziert Thomas Ehren, Partner bei der Unternehmensberatung KPMG.

In den vergangenen Monaten gab es bereits zahlreiche Mega-Transaktionen. Die Hypo-Vereinsbank wurde für 18 Milliarden Euro von der italienischen Unicredito gekauft, Heidelberg Cement ging für 5,8 Milliarden Euro an den Konkurrenten Spohn Cement, und erst am Freitag sicherte sich der Springer-Verlag den Fernsehkonzern ProSiebenSat1. Obendrein trennen sich viele Konzerne von Sparten, die nicht genügend Geld einbringen oder nicht mehr ins Konzept passen. Siemens stieß seine Handysparte ab, Altana will vom Chemiegeschäft nichts mehr wissen. Der Gipfel ist aber noch nicht erreicht, sagt KPMG-Experte Ehren. „Wir werden noch einige große Fusionen sehen, vor allem im Finanzbereich.“ Aber auch andere Industrien müssten sich noch umstrukturieren – „Chemie, Pharma, Auto-Zulieferer oder der Energiesektor“, lautet seine Prognose.

Ein weiterer Grund für den Fusionsboom: Die Unternehmen verdienen wieder prächtig und müssen das Geld irgendwo anlegen. Auch britische oder amerikanische Finanzinvestoren haben prall gefüllte Kassen und suchen nach aussichtsreichen Investitionsobjekten. „Viele Konzerne trennen sich aber auch von Beteiligungen, weil sie fürchten, dass Spartenverkäufe nach der Wahl nicht mehr steuerfrei sind“, sagt Wirtschaftsprofessor Harald Hungenberg, der Unternehmensführung an der Universität Nürnberg lehrt.

Angesichts des Übernahmebooms beschleicht Fachleute allerdings ein mulmiges Gefühl – sie erinnern sich an das Fusionsfieber um das Jahr 2000 herum. Damals wurde viel Kapital verbrannt, die Manager gierten nach Geld und Größe. „Es gibt wenige Fusionen, die echte Erfolgsgeschichten sind“, sagt Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW. Einer Studie der Münchner Unternehmensberatung Bain & Company zufolge ging bei sieben von zehn Großfusionen in den USA, Japan oder Westeuropa Unternehmenswert verloren. Von 250 befragten Top-Managern gaben zwei Drittel zu, die zu erzielenden Kostenvorteile überschätzt zu haben. 29 Prozent der Führungskräfte hatten keinen Plan, was sie mit einer Akquisition genau bezwecken wollten. Jeder Zweite berichtete, dass taktische Spielchen, Angst oder Gier die Entscheidungsfähigkeit trübten.

Die Liste der gescheiterten Fusionen ist lang: Daimler-Chrysler und Mitsubishi, Vivendi und Universal, AOL und Time Warner, Adidas und Salomon.

Besonders anfällig für Fusionsfehler ist offenbar die Finanzbranche. „Die Manager erscheinen mir oft zu leichtfertig“, kritisiert Reinhard H. Schmidt, Professor am Lehrstuhl für internationales Bank- und Finanzwesen an der Universität Frankfurt am Main. Eine Bank könne man nicht übernehmen wie ein Stahlwerk, sondern müsse auf die fragilen Beziehungen zwischen Beratern und Kunden achten. Zudem „bedeute im Bankensektor Größe nicht unbedingt Rentabilität. Jenseits einer Bilanzsumme von zehn Milliarden Euro lassen sich keine Größenvorteile mehr nachweisen, jedenfalls nicht im Retailbereich“, findet Schmidt Die Branche lässt sich davon nicht beirren. 91 Prozent aller weltweiten Privatbanken haben laut einer KPMG-Studie vor, innerhalb der kommenden drei Jahre einen Konkurrenten zu schlucken.

Dabei sind die Erfolgsfaktoren eines erfolgreichen Zusammenschlusses seit Jahren bekannt. Sobald die Tinte unter dem Kaufvertrag trocken ist, muss die Integration beginnen. „Diese Phase ist eminent wichtig für Erfolg oder Scheitern eines Zukaufs“, sagt KPMG-Berater Ehren. „Das Management muss darauf achten, den Mitarbeitern die Ziele klar zu machen und diese schnell zu erreichen. Sonst leiden Effizienz und Durchschlagskraft, und statt der erhofften Einsparungen steigen die Kosten oder sinkt der Marktanteil.“ Den Vorständen wird dabei durchaus Lernfähigkeit zugetraut. „Die meisten Manager haben aus den Fehlern der letzten Akquisitionswelle gelernt“, ist sich der Nürnberger Management-Experte Hungenberg sicher. „Deshalb werden viele Zusammenschlüsse in der nächsten Zeit überdurchschnittlich erfolgreich sein – anders als in den vergangenen Jahren.“

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