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Wirtschaft: Deutsches Hochschulsystem: "Studiengebühren sind nötig"

Hans N. Weiler ist Politikwissenschaftler und lehrt seit 1965 an der renommierten Stanford University in Kalifornien/USA.

Hans N. Weiler ist Politikwissenschaftler und lehrt seit 1965 an der renommierten Stanford University in Kalifornien/USA. Er war beteiligt an Gründung und Aufbau der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und leitete die Hochschule als Rektor von 1993 bis 1999. Die Stadt hat ihn im vergangenen Jahr zum Ehrenbürger ernannt. Außerdem ist er Vorsitzender der Hochschulentwicklungskommission des Landes Sachsen.

Herr Weiler, die Wirtschaftsorganisation OECD gibt dem deutschen Hochschulsystem schlechte Noten. Nur 28 Prozent der deutschen Abiturienten beginnen ein Studium, in Finnland sind es 70 Prozent. Zugleich heißt es allerorten, Bildung sei der wichtigste Zukunftsfaktor. Wie passt das zusammen?

Es passt nicht zusammen. Seit längerer Zeit ist klar, dass wir mehr Hochschulabsolventen in Deutschland brauchen. Es passiert aber nichts, um diesem Ziel näher zu kommen. Die deutschen Hochschulen schneiden im internationalen Vergleich immer schlechter ab, weil sie unterfinanziert, überfüllt und überreguliert sind.

Warum brauchen wir denn mehr Hochschulabsolventen? Reichen die herkömmlichen Formen der Berufsausbildung nicht mehr?

Nein. Zum einen werden in den traditionellen Berufen wissenschaftlich ausgebildete Arbeitskräfte wichtiger. Zum anderen gibt es mehr innovative Dienstleistungs- und Produktionsbereiche, die ohne wissenschaftliche Qualifikationen nicht auskommen, etwa die Informationstechnik oder die Biotechnologien. Die Hochschulen können diesen Bedarf aber nicht decken.

Warum meiden denn fast zwei Drittel der deutschen Abiturienten die Unis - sind die Deutschen lernfaul?

Es ist in Deutschland immer noch eher die Ausnahme als die Regel, zu studieren. In den USA ist es viel selbstverständlicher, nach der Schule an die Universität zu gehen und auf der Bildungsleiter so weit zu kommen wie es eben geht. Auch denken die Amerikaner bei der Bildung stärker in ökonomischen Kategorien und fragen sich, welche Investition im Leben die höchste Rendite erbringt. Da schneidet ein Studium in aller Regel am besten ab. In Deutschland dagegen gilt es immer noch als unfein, sich Bildung als eine Investition vorzustellen.

Hier hält sich das Gerücht, es gebe immer noch eine Akademikerschwemme - obwohl Fachleute genau das Gegenteil feststellen. Woher kommt das?

Das wüsste ich auch gerne. Von Zeit zu Zeit werden zwar mehr Leute ausgebildet, als der Arbeitsmarkt gerade benötigt, aber die Arbeitslosigkeit ist bei Hochschulabsolventen viel geringer als bei Nichtabsolventen.

Muss die Wirtschaft mehr Druck machen?

Ja, mehr Druck, aber auch mehr Unterstützung. Bislang hat die Wirtschaft ihre Bedürfnisse nicht deutlich und offensiv genug artikuliert und es den Hochschulen damit erschwert, ihr Studienangebot besser auf den Bedarf und die Veränderungen der Arbeitswelt einzustellen. Die Ausbildung für die Arbeitsmärkte von morgen darf im übrigen nicht mehr so stark wie bisher einem bestimmten, engen Berufsbild folgen, sondern muss sich darauf konzentrieren, lernen zu lehren und komplexe, fächerübergreifende Zusammenhänge verstehen zu können.

Was müsste geschehen, damit das deutsche Hochschulsystem besser wird?

Vor allem brauchen wir mehr Wettbewerb, um die Qualität zu verbessern: mehr Wettbewerb um gute Studierende, um gute Wissenschaftler, um Forschungsmittel. An den deutschen Hochschulen fehlt es an Leistungsanreizen und an der Dynamik von Angebot und Nachfrage. Die Hochschulen sollten sich die Studierenden und die Studierenden sich die Hochschulen aussuchen können. Statt dessen gibt es eine Behörde in Dortmund, die ZVS, die die Studienplätze in stark nachgefragten Fächern verteilt - das ruiniert Angebot und Nachfrage, verzerrt den Wettbewerb und gehört abgeschafft.

Ist Bildung eine Ware, die man auf einem Markt verkaufen kann?

Nein. Bildung sollte ein Markenartikel sein, der sich am Markt der Ausbildungsnachfrager, also der Studienbewerber, und der Interessenten am Ergebnis der Ausbildung, also der Arbeitgeber, bewähren muss.

Bildung ist im föderalen Deutschland Ländersache, ein großes Universitätsangebot gilt als prestigeträchtig. Passen Föderalismus und Wettbewerb zueinander?

Ein Hindernis ist die Länder-Struktur natürlich, aber sie hat auch ihre Vorzüge, gerade in puncto Vielfalt und Wettbewerb. In den USA funktioniert der Wettbewerb der öffentlichen Universitäten sowohl innerhalb der Bundesstaaten wie staatenübergreifend. Dort wird Leistung stärker honoriert, vor allem bei den Wissenschaftlern, aber auch bei den Studierenden. In Deutschland gibt es dafür erste, zaghafte Ansätze wie etwa in den Plänen für eine leistungsbezogene Besoldung der Hochschullehrer.

Wenn der Wettbewerb funktioniert, könnten sich kleine, finanzschwache Hochschulen die begehrten und teuren Professoren nicht mehr leisten. Die Studenten blieben weg, und die Unis bluteten aus. Wollen Sie das?

Wer den Wettbewerb will, der muss auch akzeptieren, dass es Verlierer gibt. Es darf im Hochschulwesen keine Bestandsgarantie für minderwertige Qualität geben. Aber kleine Universitäten sind nicht per se benachteiligt - schon heute haben etwa Fachhochschulen oft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Universitäten, und ihre Absolventen sind auf dem Arbeitsmarkt begehrter. Kleine Hochschulen haben eine gute Chance, Profile zu entwickeln, die ihnen in Forschung und Lehre eine unverwechselbare Rolle sichern.

Für unser Bildungssystem wäre dies ein Paradigmenwechsel - Leistung und Ungleichheit statt Angebotsgleichheit aller Orten.

Ja, aber der ist nötig, wenn Deutschland international nicht den Anschluss verlieren will. Dass alle deutschen Hochschulen gleich gut sind, ist eine Fiktion, bestimmt aber nach wie vor die offizielle Hochschulpolitik. Ein differenziertes Hochschulsystem, in dem nicht jede Hochschule alles macht, sondern das, was sie macht, besonders gut macht, sichert auf die Dauer sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch ein optimales Studienangebot für die Studierenden.

Müssen die Studenten auch für das Produkt Bildung bezahlen, wenn es Wettbewerb gibt?

Natürlich. Studiengebühren sind nötig, um eine wirksame Dynamik von Angebot und Nachfrage herzustellen. Außerdem sind sie sozial gerechter. Heute subventionieren Bürger, die nicht studieren, mit ihren Steuern die Ausbildung der Studierenden und späteren Besserverdiener. Fairer wäre es, die Studenten zur Kasse zu bitten und sie an den Kosten ihres für sie langfristig sehr einträglichen Studiums zu beteiligen.

Dann können nur noch Reiche ein Studium für ihre Kinder bezahlen.

Das ist ein Märchen. Mit einem vernünftigen System der Studienfinanzierung ist das kein Problem. In Stanford, wo ich lehre, funktioniert es ja auch, und zwar bei erheblich höheren Studiengebühren als in Deutschland. Wer die Aufnahmeprüfung schafft, sich ein Studium aber nicht leisten kann, bekommt ein Stipendium, dessen Höhe sich am Einkommen der Eltern orientiert.

Ein entsprechendes System von Stipendien und Studienfinanzierung gibt es in Deutschland aber nicht, und es lässt sich auch nicht von heute auf morgen aus dem Hut zaubern.

Das ist kein Grund, es nicht zu versuchen. Hätte sich Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) mit ihrer Bafög-Reform durchgesetzt, wären wir einem solchen System schon näher gekommen. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sie aber zurückgepfiffen.

Gegner von Studiengebühren wenden ein, dass die Gefahr besteht, dass Universitäten ihre Leistungsanforderungen nach unten schrauben werden, um ihre Studentenzahlen zu erhöhen, wenn Bildung etwas kostet.

Das kann man mit einer vernünftigen Qualitätskontrolle und Leistungsbewertung ohne Weiteres verhindern, und dazu gibt es in Deutschland inzwischen vorzügliche Ansätze - wie etwa in den Qualitätsbewertungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), die so eine Art Uni-TÜV bilden. Denn man kann es niemandem zumuten, an einer Universität jahrelang zu studieren und am Ende auf Grund der schlechten Ausbildung keinen Arbeitsplatz zu finden.

Wäre eine zumindest teilweise Privatisierung der Universitäten auch eine Lösung?

Ein völlig privatisiertes System ist keine Lösung. Es gibt in Deutschland inzwischen private Universitäten, die sich ein oder zwei beliebte Fächer aussuchen, saftige Studiengebühren erheben und dann auch noch Subventionen von der Wirtschaft und vom Staat einsammeln. Das ist gegenüber öffentlichen Hochschulen Wettbewerbsverzerrung.

Wenn Deutschland mehr Markt in sein Hochschulwesen einführen wollte - könnte der Bund dies per Gesetz vorschreiben, oder könnte etwa Bayern einfach vorpreschen?

Würde Bayern im Alleingang Studiengebühren einführen, würden die Studenten davonlaufen. Ohne einen Konsens der Länder funktioniert eine solche Reform nicht. Trotzdem geht es nicht ohne ein starkes Engagement des Bundes; das zeigt die vom Bund angestoßene Reform der Besoldung und des Dienstrechts von Professoren.

Wer blockiert eine solche Reform denn auf Seiten der Länder? Diejenigen mit einer schlechteren Hochschullandschaft?

Nicht unbedingt. Es ist mittlerweile politisch en vogue, sich für moderne Hochschulen und mehr Wettbewerb einzusetzen, die Wissenschaftsminister und Rektoren sind hier aufgeschlossener als früher. Bei den Professoren wehren sich allerdings immer noch viele gegen den Verlust von Besitzständen.

Herr Weiler[die Wirtschaftsorganisation OECD gibt]

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