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Wirtschaft: Deutschland gängelt seine Wirtschaft

Studie: Der Bürokratie-Dschungel ist auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssektor besonders dicht

Berlin - In kaum einem anderen Industrieland der Welt gibt es so viele staatliche Eingriffe in die Wirtschaft wie in Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), in der zum ersten Mal Ausmaß und Qualität staatlicher Regulierung in 28 Staaten verglichen werden.

Besonders extrem ist das Regulierungsdickicht demnach auf dem Arbeitsmarkt. Dieser Bereich wird in Deutschland so streng reglementiert wie in keinem anderen in der Studie untersuchten Land. „Trotz der Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre ist der deutsche Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich immer noch überreguliert“, sagt IW-Wissenschaftler Dominik Enste.

Insgesamt rangiert die Bundesrepublik im internationalen Regulierungsindex des Instituts im hinteren Viertel auf Platz 22 – weit abgeschlagen hinter den Spitzenreitern Neuseeland, USA und Großbritannien. Das Gesamtranking berücksichtigt neben der Arbeitsmarkt-Regulierung auch den staatlichen Ordnungsrahmen auf dem Güter- und Kapitalmarkt sowie im Bildungs- und Forschungssektor.

Die IW-Wissenschaftler versuchen zudem, neben der Menge der staatlichen Eingriffe auch die Qualität der Regulierung zu vergleichen. Denn: „Staatliche Regulierung hemmt nicht per se das Wachstum. Im Gegenteil: Ohne staatliche Rahmenbedingungen funktioniert eine Marktwirtschaft nicht“, betont Enste. Allerdings habe Deutschland sowohl auf dem Arbeitsmarkt wie auch bei Bildung und Forschung ein Übermaß an wachstums- und innovationshemmender Regulierung.

Für die in dieser Form einmalige Untersuchung hat das Institut der deutschen Wirtschaft Rohdaten von mehr als einem halben Dutzend internationaler Organisationen ausgewertet. Dabei hat das Kölner Institut mehr als 100 Einzelindikatoren zu einem Gesamtindex zusammengefasst. Auftraggeber war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die hauptsächlich von Arbeitgeberverbänden finanziert wird. „Im internationalen Vergleich ist die Regulierungsdichte in Deutschland ohne jeden Zweifel hoch“, bestätigt Christian Wey, Regulierungsexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Der Tenor der IW-Untersuchung widerspricht allerdings einer im September veröffentlichten Weltbank-Studie, in der Deutschland nennenswerte Fortschritte beim Bürokratie-Abbau attestiert wurden.

Nach Ansicht von Volkswirten würden Wachstum und Beschäftigung durch weniger staatliche Eingriffe beflügelt. „Beim Bürokratieabbau könnte Deutschland mit wenig Kosten sehr viel erreichen“, sagte Thomas Straubhaar, Chef des Hamburger Forschungsinstituts HWWI. „Die beiden letzten Bundesregierungen hatten dabei zwar große Pläne, sind aber stets gescheitert.“ Union und SPD wollen offenbar in der geplanten großen Koalition einen neuen Anlauf beim Bürokratieabbau unternehmen. In den Koalitionsverhandlungen diskutieren die Parteien über die Schaffung eines „Bürokratie-TÜV“, der jeden Gesetzesentwurf auf Bürokratiekosten prüfen soll.

INSM-Geschäftsführer Tasso Enzweiler fordert die Politik auf, beim Bürokratieabbau aufs Tempo zu drücken: „Mit den vielen Regulierungen stehen wir uns selbst im Weg. Viele andere Länder haben uns gezeigt, dass Regulierungsabbau zu mehr wirtschaftlichem Wachstum und damit zu mehr Wohlfahrt führt.“ Die Studie mache deutlich, wo der Handlungsbedarf liege – bei einer Entschlackung der Regulierung auf den Feldern Arbeitsmarkt sowie Bildung und Forschung. Die deutsche Produkt- und Kapitalmarkt-Regulierung könne sich international dagegen durchaus sehen lassen.

Interaktive Grafik mit den Ergebnissen des Regulierungsindex unter: www.handelsblatt.com/regulierung

Olaf Storbeck (HB)

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