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Wirtschaft: Diana Kirschnick

(Geb. 1981)||Wer den Ferienkommunismus errichten will, muss Eventmanager werden.

Wer den Ferienkommunismus errichten will, muss Eventmanager werden. Diana, das war das Mädchen mit den kurzen Röcken und den langen Rastazöpfen, das auf jeder guten Elektro-Party in Berlin die Stimmung hob.

Wenn sie vor Erschöpfung von der Tanzfläche kippte, stand sie schnell wieder auf, erfrischte sich mit Pfefferminzlikör und tanzte weiter. Wenn der Arzt ihrem Fuß Schonung verschrieb, weil sie auf dem Heimweg vom Rad gefallen war, dann tanzte sie in der nächsten Nacht an Krücken.

Ihrer besten Freundin schickte sie Kurzmitteilungen wie „brauch dich heute ausgiebigst dringend“, „wann wann wann“, „hab hummeln im arsch“.

Schon immer hat Diana sich mehr von ihren Hummeln leiten lassen als von der Vernunft. Das hat der Mutter und der älteren Schwester daheim in Rostock Sorgen bereitet. Diverse Ausbildungen, zum Beispiel zur Krankenschwester oder zur Schneiderin, hatte Diana eifrig begonnen und kurze Zeit später wieder abgebrochen. Das sichere Monatseinkommen war es ihr nicht wert, in einem Käfig aus Routine und Plackerei zu leben. „Wie sieht das denn aus in deinem Lebenslauf?“, fragte die Schwester.

Auf solche Grübeleien ließ sich Diana gar nicht ein. Sie beteiligte sich lieber an der Errichtung des „Ferienkommunismus“. So lautet das Motto der „Fusion“, einem alljährlich stattfindenden Musik-Festival in Mecklenburg-Vorpommern. Hier waren nicht Abschlüsse und Frühaufstehen gefragt, sondern Talent zum Frohsinn, und darin war Diana so gut, dass sie den Titel „Vorsteherin des Arbeitsamtes“ erhielt. Alle, die sich den Eintritt und die Getränke nicht leisten konnten, bekamen von Diana Aufgaben zugeteilt: Zeltaufbau, Tresenservice, Hundebetreuung.

Die „Fusion“ war für Diana wie ein Ufo, eine Parallelwelt, in der sie vier Tage Seligkeit fand: Sie tanzte von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen und länger. Nachmittags erntete sie die Apfelbäume in der Umgebung. Dann zog sie von einem Wohnwagen zum anderen, immer gefolgt von der Hündin Cleo, die Diana von einem prügelnden Alkoholiker übernommen hatte. Zum Dank für Tabak, Pfefferminzlikör und Hundefutter hinterließen sie in jedem Wohnwagen einen Duft von Apfelkuchen, Apfelmus oder Bratäpfeln.

So groß wie ihre Lust an der Freiheit war Dianas Sehnsucht nach Geborgenheit. Sie suchte nach einem Leben, in dem das eine das andere nicht ausschloss. Sie war diejenige, die für die Freunde Eier in Senfsauce kochte, ihnen bunte Klamotten nähte, sich ihre Geschichten anhörte. Und sie war diejenige, die keinesfalls zu jeder Verabredung erschien und die eigentlich nie pünktlich war. Den Männern am Tresen, die Diana auf ein Date festzuklopfen oder ein Kompliment aus ihr herauszupressen versuchten, rief sie fröhlich zu: „Ich versteh dich nicht, du nuschelst so!“

Michael war der erste Mann in Dianas Leben, der verstand, dass man sich zur Liebe nicht verabreden kann. Er schickte sie tanzen. Er machte ihr keine Vorwürfe, wenn sie unpünktlich war oder sich nicht meldete.

Je mehr Freiheit Michael ihr gab, desto heftiger spürte Diana die Gewissheit ihrer Liebe und die Lust auf ein neues Leben. Ihre Geringschätzung des Tageslichts begann zu schwinden. War die Feierei nicht eh in Gefahr, zur Routine zu verkommen? Andererseits – das Feiern war und blieb ihr größtes Talent! An allen Enden der Welt den Ferienkommunismus errichten, das war ein Beruf, den Diana sich vorstellen konnte.

„Eventmanagerin“ heißt das, wurde sie bei der Berufsberatung belehrt. Dann also Eventmanagerin. Diana begann Bewerbungen an Wirtschaftsschulen zu schreiben, ließ sich die langen Rastas herauskämmen und heftete plötzlich ihre Rechungen ab.

Nicht, dass sie die bekehrte Wilde geben wollte. Als Gewährleistung für die Anarchie in ihrem Leben wünschte sie sich von Michael ein Baby.

Auf einem Foto, das kurz vor dem gemeinsamen Tod entstand, schauen sie sich in die Augen. Michael mit einem sehr ernsten Blick, der fragt: Wagst du’s? Diana, die freundlich zu antworten scheint: Los geht’s! Das Bild wurde auf der Trauerfeier für Michaels Vater aufgenommen.

Auf der Heimfahrt saß im Auto des Vaters außer den beiden noch Michaels kleine Nichte. Ein Laster stand am Rand der Autobahn, da sind sie hineingerast, niemand weiß warum. Es gab keine Bremsspuren.

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