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Wirtschaft: „Die 35-Stunden-Woche bleibt unser Ziel“

Der ostdeutsche IG Metall-Chef Hasso Düvel über den verlorenen Arbeitskampf und neue Versuche zur Arbeitszeitverkürzung

Herr Düvel, am Montag treffen Sie sich nach der Niederlage im Tarifkonflikt erstmals wieder mit den Arbeitgebern. Gehen Sie mit einem unangenehmen Gefühl dort hin?

Gefühle spielen da keine Rolle. Wir wollen die Tarifverträge wieder in Kraft setzen. Und wir wollen dabei Optionen haben für betriebliche Lösungen, was sicher kompliziert wird.

Sie wollen also die Flächentarifverträge wieder in Kraft setzen und für einzelne Betriebe einen Ergänzungstarifvertrag, der die Einführung der 35Stunden-Woche regelt?

Es geht um betriebliche Optionen. Wir streben Lösungen an, die den spezifischen Situationen in den Betrieben gerecht werden.

Sie streben immer noch einen Stufenplan Richtung 35 Stunden an?

Das Thema Arbeitszeit ist viel umfassender als 35 Stunden. Wir waren in den Tarifverhandlungen bereit, unter bestimmten Voraussetzungen eine Korridorlösung zwischen 35 und 40 Stunden zu akzeptieren. Und in offiziellen Verlautbarungen wollen das auch die Arbeitgeber. Originalton Martin Kannegiesser, Präsident von Gesamtmetall: „Wir müssen noch mehr betriebliche Optionen haben.“ Mehr will ich auch nicht.

Aber die ostdeutschen Arbeitgeber wollen bis 2008 die 38-Stunden-Woche festschreiben. Nach der Niederlage kann die IG Metall dem nicht viel entgegensetzen, Sie sind Bittsteller.

Eine Festschreibung bis 2008 werden wir nicht akzeptieren. Im Übrigen: Der Streik ist nicht zusammengebrochen, sondern beendet worden, weil wir ihn nicht ausweiten konnten. Wir haben in der Metall- und Elektroindustrie keinen Flächentarif zur Einführung der 35-Stunden-Woche geschafft. Aber die andere Option, die schrittweise Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit im Haustarif, die gibt es nach wie vor.

Was bleibt da noch vom Flächentarifvertrag?

Wir haben in Betrieben, die bis zum letzten Tag gestreikt haben, eine unverändert hohe Erwartungshaltung. Und wenn wir noch in zwei oder drei großen Betrieben Haustarife abschließen, dann haben wir für rund zwei Drittel unserer Mitglieder eine tarifliche Lösung erreicht.

Also VW Sachsen, ZF Brandenburg und Siemens VDO in Sachsen?

Es geht um einige Betriebe, in denen unsere Mitglieder auch bereit sind, dafür etwas zu tun. Natürlich hat der Flächentarif Priorität, aber nicht um jeden Preis. Diejenigen, die am Streik beteiligt waren, wollen nicht leer ausgehen.

Um wie viele Metaller geht es?

Wir hatten rund 21 000 Mitglieder als Beteiligte in der Tarifrunde. 2800 davon haben einen Stufenplan zu 35 Stunden bis 2009 im Haustarif geregelt. Und wenn wir jetzt noch eine Firmenregelung bei einigen wenigen Großen abschließen, dann haben wir die Arbeitszeitangleichung für 13 000 Mitglieder – das sind fast zwei Drittel.

Am Ende der Tarifbewegung Ost steht dann ein gutes Dutzend Haustarifverträge und die Zerstörung des Flächentarifs.

Was bedeutet denn der Flächentarif für Ostdeutschland? Seine Flächenwirkung ist leider viel geringer als im Westen – auch deshalb, weil einzelne Arbeitgeberverbände keinen Flächentarif wollen oder ihn sogar selbst demontieren.

Dann war es von vornherein aussichtslos, die 35 Stunden in der Fläche zu erreichen?

Wir haben das versucht. Aber die Arbeitgeber lehnen die Arbeitszeitangleichung im Flächentarif ab. Gerade deshalb müssen wir versuchen, für möglichst viele unserer Mitglieder gute Tarifbedingungen zu erreichen. Und wenn das in der Fläche nicht klappt, dann suchen wir andere Wege.

Andere Wege sind nur in Großbetrieben möglich. Ihre Mitglieder in kleinen Betrieben geben Sie auf.

Nein. Aber wir haben natürlich bessere Chancen in großen Betrieben mit vielen IG-Metall-Mitgliedern. Es ist doch selbstverständlich, dass wir bei VW Sachsen mit 6000 Beschäftigten als Gewerkschaft besonders hohe Verpflichtungen haben. Es geht nicht nur um die großen Betriebe. Auch in kleinen Betrieben können wir etwas durchsetzen, wenn wir dort viele Mitglieder haben.

Aber zumindest mittelfristig wird die IG Metall im Osten eine Interessenorganisation für die Mitglieder in Großbetrieben?

Davon kann keine Rede sein. Für einige Zeit könnten zwar veränderte Arbeitszeitbestimmungen nur in größeren Betrieben zum Tragen kommen. Diese Entwicklung haben die Arbeitgeber aber mit in der Hand. Wenn der Flächentarif weiter demontiert wird, dann, denke ich, werden die betroffenen Firmen nach einiger Zeit wiederkommen, weil sie im Flächentarif besser aufgehoben sind.

Was macht Sie eigentlich so sicher, dass die 35-Stunden-Woche im Osten für die Arbeitnehmer hohe Priorität hat?

Bei VW stehen zum Beispiel 600 Arbeitsplätze zur Disposition, wenn wir nicht mit einer Arbeitszeitverkürzung die höhere Produktivität ausgleichen.

Wie das?

In den nächsten fünf Jahren steigt die Produktivität bei VW in Mosel jedes Jahr um bis zu zehn Prozent. Und wenn nicht gleichzeitig der Absatz erhöht wird, dann entfallen Arbeitsplätze, und zehn Prozent von 6000 sind 600. Es sei denn, wir bekommen eine Arbeitszeitverkürzung. Wir wollen die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilen.

Und was sagt VW dazu?

Es gibt Unternehmen, die sind überhaupt nicht begeistert vom Ausgang der Tarifrunde. Denn das, was wir in der letzten Nacht auf dem Tisch hatten, ist genau das, was viele Unternehmen wollen: Flexibilität über einen Arbeitszeitkorridor zwischen 35 und 40 Stunden. Da waren sehr innovative Lösungen auf dem Tisch. Und Unternehmen, die das wollen, weil sie Vorteile davon haben, sind sozusagen auch Opfer einer Verbandspolitik, die von Differenzierung redet, in Verhandlungen aber dagegen ist.

Wie viele Metaller sind in den letzten Wochen aus der IG Metall im Osten ausgetreten?

Der Trend ist genau so wie im Westen. Die größten Mitgliederbewegungen gab es zwischen dem 30. Juni und dem 23. Juli, bis die Führungskrise an der Spitze der IG Metall beendet war. Alles in allem haben 80 Prozent der Austritte etwas zu tun mit dem unsäglichen Streit in der IG Metall und nicht mit dem Arbeitskampf.

Sie selbst lehnen als Streikführer einen Rückzug ab, weil sie sich an der Aufarbeitung beteiligen wollen. Wie funktioniert das?

Wir müssen weiter analysieren, wo die Fehler gemacht wurden. Und wir müssen herausfinden, was mit Blick auf die Zukunft der Organisation wichtig ist, damit sich das nicht wiederholt; da geht es vor allem um strukturelle Dinge.

Was für Fehler haben Sie gemacht?

Wie haben es unter anderem nicht geschafft, in der Öffentlichkeit Akzeptanz für unsere Forderung herzustellen. Dann haben wir unterschätzt, wie die Unternehmer zum Teil mit ihren Beschäftigten umgingen. Was unsere Mitglieder berichteten, war haarsträubend. Dazu gehört auch, dass die Hardliner im Unternehmerlager häufig Leute waren, die schon vor 1990 keine gute Rolle gespielt haben. So mancher Meister und Abteilungsleiter übte vorauseilenden Gehorsam.

Wird es jemals im Osten die 35-Stunden-Woche geben?

Das Angleichungsthema Ost ist für alle IG Metaller, die 1990 Verantwortung in den neuen Ländern übernommen haben, ein besonders wichtiges Ziel. Das gilt immer noch.

Ist aber erstmal unerreichbar geworden.

Das sehe ich nicht so. Aus einer solchen Erfahrung kann man auch neue Kraft schöpfen. Alle Beteiligten haben in der Tarifrunde 2003 wichtige Erfahrungen gewonnen. Auch ich habe sehr viel dazugelernt.

Kann man im Osten keinen Tarifkampf gewinnen?

Aber selbstverständlich. 1993 haben wir den Stufenplan zur Ost-West-Angleichung der Löhne und Gehälter erstreikt. 1996 bis 1998 haben wir verhindert, dass der Osten bei den Einkommen vom Westen abgekoppelt wird. Und 2000 haben wir die stufenweise Angleichung der vermögenswirksamen Leistungen erreicht. Und schließlich haben wir 2002 erfolgreich dafür gestreikt, dass bei den Entgelttarifverträgen Ostdeutschland nicht abgehängt wird.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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