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Wirtschaft: Die Billigkassen werden immer teurer

Die Beiträge der Betriebskassen steigen auf mehr als 13 Prozentund nähern sich damit den großen Krankenkassen/Verbraucherschützer vermissen Transparenz

Berlin (brö). Die rund 300000 Mitglieder der Betriebskrankenkasse (BKK) Essanelle müssen mit einer baldigen Erhöhung ihrer Beiträge rechnen. In Zukunft werde der Beitragssatz statt der aktuellen 12,8 Prozent „vielleicht um 0,5 Prozentpunkte höher liegen“, sagte eine Sprecherin der Düsseldorfer Kasse dem Tagesspiegel. Die Erhöhung könne „zum August, unter Umständen auch schon früher“ in Kraft treten. Damit muss eine der letzten so genannten Billigkassen ihren Satz über die Marke von 13 Prozent heben. Bereits zum 1. April hatten fünf BKKs mehr Geld von ihren insgesamt knapp 900000 Mitgliedern verlangen müssen.

Als Grund für die Erhöhung nannte die BKK Essanelle-Sprecherin den neuen Finanzausgleich der Betriebskrankenkassen. Institute in Schieflage bekommen nun Hilfe von anderen BKK-Häusern. Bereits zum August vergangenen Jahres hatte die BKK Essanelle den Satz von 11,9 auf 12,8 Prozent erhöht. Der durchschnittliche Satz aller Kassen liegt bei rund 14,2 Prozent.

Auch andere, bislang preiswerte Kassen waren zuletzt gezwungen, trotz der Gesundheitsreform mehr Geld zu verlangen. Die größte von ihnen ist mit knapp 800000 Mitgliedern die Taunus BKK, die statt 12,8 Prozent seit dem 1. April 13,8 Prozent verlangt. Die Junghans BKK erhöhte die Beiträge für 43200 Menschen im Zuge einer Fusion mit anderen Krankenkassen von 13,9 auf 14,2 Prozent. Für die 13000 Mitglieder der BKK Exklusiv gilt nach 12,9 Prozent nun ein Beitragssatz von 13,6 Prozent. Bei der BKK Inovita gab es für 12000 Kassenkunden einen Sprung von 13,2 auf 13,6 Prozent. Gleichzeitig haben seit Beginn dieses Jahres mehrere Krankenkassen ihre Beiträge gesenkt, darunter die Marktführer Barmer Ersatzkasse und Deutsche Angestellten-Krankenkasse.

Insider überrascht die Welle von Erhöhungen nicht. Das Geschäftsmodell der BKKs ist riskant: Sie werben zunächst mit niedrigen Beiträgen junge, gesunde Mitglieder an und treiben so binnen kurzem ihre Einnahmen in die Höhe. Wenige Monate darauf steigen aber auch die Kosten, weil die Versicherten erstmals zum Arzt gehen. Zudem steigt mit zunehmender Mitgliederzahl der Anteil Älterer und Kranker, und die Verwaltungskosten explodieren. Damit erhöhen sich dann die Kosten der Kasse – und unterscheiden sich kaum noch von den Massenkassen wie AOK oder Barmer. Einige BKKs wählen den Weg in die Verschuldung – und wurden zu säumigen Zahlern. Mehrere Dutzend Kassen schuldeten den Kassenärztlichen Vereinigungen bereits 119 Millionen Euro, klagten die Mediziner vergangene Woche. Für Aufsehen sorgte vor allem die Politik der Taunus BKK. Ihre Mitglieder mussten aus der Zeitung von der Beitragserhöhung erfahren – und hatten kaum noch eine Chance zu reagieren. „Das mag nicht glücklich gewesen sein, hier ist unser Service sicher verbesserungswürdig“, räumte eine Sprecherin ein. Das Gesetz verpflichtet die Kassen lediglich dazu, die Beitragspläne in ihrer Zentrale kenntlich zu machen. Davon haben aber die meisten Versicherten, die per Telefon oder Internet Kontakt zu ihrem Institut halten, herzlich wenig.

Obendrein verhinderte die Taunus BKK mit einem juristischen Winkelzug, dass die Kunden nach der Erhöhung von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen können. Sie fusionierte kurzerhand mit der kleinen BKK Braunschweig. Folge: Eine neue Kasse entstand – damit galt das Sonderkündigungsrecht nicht. Pflichtversicherte sind also gezwungen, noch mindestens 18 Monate bei der Taunus BKK zu bleiben, bevor ihre Kündigung wirksam werden kann.

Thomas Isenberg, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv), findet diese Praxis nicht in Ordnung. „Die Leute brauchen mehr Transparenz, um sich für die richtige Kasse entscheiden zu können“, verlangte er von der Bundesregierung. „Der Gesetzgeber sollte die Kassen verpflichten, den Mitgliedern rechtzeitig und offensiv neue Entwicklungen mitzuteilen.“ Die jetzigen Regeln gingen nicht weit genug. Informieren müssten die Kassen auch über ihre Verschuldungslage, verlangte er. „Und bei Fusionen sollte der Staat den Leuten generell ein Sonderkündigungsrecht einräumen.“ Trotz des Wettbewerbs werde der Beitragssatz in Zukunft nicht weiter absinken, prognostizierte Isenberg. „Bald wird keine Kasse mehr weniger als 13 Prozent verlangen können." Und statt knapp 300 Kassen werde es nur noch 50 bis 60 Institute geben.

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