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Die Digitalisierung verändert die Industrie - doch ganz ohne Menschen geht es trotzdem nicht.

© dpa

Zukunft der Arbeit: Die Digitalisierung bedroht die Mittelschicht

Die Digitalisierung wird klassische Jobs vernichten, die für die Mittelschicht stehen. Übrig bleiben hochqualifizierte und einfache Tätigkeiten. Das stellt das Selbstbild einer Gruppe infrage, die sich für die tragenden Säule der Gesellschaft hält. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Hätte man vor zehn oder 20 Jahren einmal die Frage gestellt, welcher Beruf besonders sicher ist, „Finanzbeamter“ hätte als Antwort wohl weit vorne gelegen. Steuern wollen eingetrieben werden, solange es Staaten gibt. Und immer neue Steuergesetze machen die Sache mit dem Finanzamt nicht einfacher, sondern immer komplizierter.

Doch wer weiß, ob Finanzamtsmitarbeiter nicht einmal zu den aussterbenden Berufsgruppen zählen werden. Die Steuerbehörden machen zwar ein größeres Geheimnis daraus – aber schon jetzt wird ein zweistelliger Prozentsatz der Steuererklärungen in Deutschland nicht mehr von Menschen geprüft. Spezielle Computerprogramme winken die einfachen Fälle durch, allenfalls Stichproben werden noch von Beamten gesichtet. Das soll Platz schaffen für komplexere Vorgänge – doch auch diese könnten irgendwann einmal vom Kollegen Computer bearbeitet werden. Schneller und zuverlässiger als von Menschen, „Big Data“ sei dank.

Die Formel Bildung gleich Chancen könnte nicht mehr aufgehen

Dass Technik Arbeitsplätze vernichtet, ist keine neue Erkenntnis. Die gesamte industrielle Revolution war getragen davon. In den 1930er Jahren hatte der bekannte Ökonom John Maynard Keynes vor einer „neuen Krankheit“ gewarnt: der durch technischen Fortschritt verursachten Arbeitslosigkeit. In Zukunft, so seine Prognose, gebe es bloß noch Bedarf für eine 15-Stunden-Woche.

Keynes lag falsch. Zwar wurden viele Arbeitsschritte durch Maschinen ersetzt. Das aber machte auch viele Produkte billiger. Die Verbraucher gaben das so gesparte Geld für anderes aus – vor allem Dienstleistungen, was wiederum viele neue Jobs schuf. Es waren vor allem einfache Tätigkeiten, die ersetzt wurden. Um den Kampf gegen die Maschine zu gewinnen, sollten die Menschen sich weiterbilden – ein Mantra, das bis heute gilt.

Mit der digitalen Revolution aber könnte die Formel Bildung gleich größere Chancen zum ersten Mal nicht mehr aufgehen. Waren es früher mechanische Handgriffe, die ersetzt wurden, sind heute vor allem Jobs bedroht, die in Industrieländern als typisch für die Mittelschicht gelten.

Eine Studie der Universität Oxford kam vor zwei Jahren zu dem Schluss, dass 47 Prozent der US-Bevölkerung in Berufen arbeiten, die besonders stark durch die Digitalisierung gefährdet sind: Buchhalter, Kreditsachbearbeiter und eben Finanzbeamte zählen dazu – klassische Schreibtischjobs, die früher als absolut sicher und weniger „schmutzig“ als manuelle Tätigkeiten galten.

Fachliche Kenntnisse werden in Zukunft wohl eine immer geringere Rolle spielen – weil reines Wissen durch Computer viel besser analysiert und zur Verfügung gestellt werden kann. Der Mathematiker und Autor Gunter Drueck hat dafür den Begriff der „Amateurintelligenz“ geprägt, für die es bald keinen Bedarf mehr gebe. Hat der Durchschnitt also ausgedient?

Tatsächlich sagt die Oxford-Studie voraus, dass Architekten, Ingenieure, Richter oder Ärzte noch eine ganze Weile gebraucht werden – was wenig überraschend ist. Aber auch am anderen Ende der Skala gibt es Berufe, die noch eine Zukunft haben sollen, weil sie durch „Big Data“ nicht gefährdet sind. Friseure, Gärtner, Kellner zum Beispiel zählen dazu, handwerkliche Berufe sowieso.

Die Digitalisierung kann soziale Unterschiede vergrößern

Wird Keynes’ düstere Prophezeiung von der Gesellschaft, der die Arbeit ausgeht, also doch noch wahr, nur mit einiger Verzögerung? Zumindest könnte die Digitalisierung den auch in Deutschland vorherrschenden Glauben an den Aufstieg durch Arbeit infrage stellen. Die Angestelltenmentalität ist hier vielleicht weiter verbreitet als anderswo und zukunftsträchtige „kreative Intelligenz“ ist an Schulen und Unis viel schwerer zu vermitteln als reines Faktenwissen.

Vor allem aber gefährdet die Internet-Revolution das Selbstbild einer Mittelschicht, die sich als tragende Säule des Staates versteht. Noch operiert gerade in Deutschland die Politik eher mit Szenarien, die wegen des Geburtendefizits Vollbeschäftigung in Aussicht stellen. Politischer Druck wurde in der Vergangenheit vor allem auf jene ausgeübt, die als unqualifiziert und arbeitsscheu galten, nicht aber auf den mittleren Teil der Gesellschaft, der sich nach unten gerne abgrenzt.

Die Digitalisierung kann die sozialen Unterschiede vergrößern – trotzdem wäre es falsch, in ihr nur ein Untergangsszenario zu sehen. Zum sichersten Beruf kürten die Oxford-Forscher schließlich den „Recreational Therapist“, was man mit Entspannungstherapeut übersetzen könnte. Wenn das mal kein gutes Zeichen ist.

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