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Wirtschaft: "Die Globalisierung nützt nur den reichen Ländern"

Joseph E. Stiglitz (59) bekam im vergangenen Jahr den Wirtschafts-Nobelpreis.

Joseph E. Stiglitz (59) bekam im vergangenen Jahr den Wirtschafts-Nobelpreis. In den neunziger Jahren war er Berater von US-Präsident Bill Clinton und danach Chefökonom und Vizechef der Weltbank, die zusammen mit dem IWF Krisen und Armut bekämpfen soll. 1999 legte er dieses Amt aus Protest gegen die IWF-Politik nieder. Stiglitz lehrt an der Columbia University in New York. Soeben ist sein neues Buch "Die Schatten der Globalisierung" im Siedler Verlag erschienen.

Herr Stiglitz, die Globalisierung ist zuletzt stark in Misskredit geraten. Ist sie ein Fluch oder ein Segen?

Das kommt auf den Blickwinkel an. Die Industrieländer und einige Schwellenländer haben durch die Globalisierung ihre Exporte und damit ihren Wohlstand stark gesteigert. Fast alle Entwicklungsländer dagegen haben nicht profitiert - die Armut hat zugenommen, ihre Währungen sind schwankungsanfälliger, die Wirtschaft instabiler geworden.

Daran sind der Westen und der Internationale Währungsfonds (IWF) Schuld, schreiben Sie in Ihrem neuen Buch. Warum?

Die Industrieländer haben durch die Globalisierung einen größeren Einfluss auf die Weltwirtschaft bekommen. Das nutzen sie aus. Von ihnen dominierte Institutionen wie der IWF haben mit falschen, von Ideologie geleiteten Empfehlungen Probleme nicht bekämpft, sondern vergrößert. Zudem hat der IWF ehemals kommunistischen Ländern den Übergang zur Marktwirtschaft nicht erleichtert, sondern erschwert. Die Spielregeln der Weltwirtschaft sind so, dass die Armen immer die Verlierer sind. Etwa beim Welthandel: Der reiche Norden hat dafür gesorgt, dass die Handelsschranken für seine Produkte abgebaut wurden, seine eigenen Märkte gegenüber den Entwicklungsländern aber abgeschottet.

Warum haben die Empfehlungen des IWF nicht funktioniert?

Der IWF hat sich nie für die Besonderheiten eines Landes interessiert, sondern immer sein Standard-Rezept verordnet: Er gab milliardenschwere Kredite und verlangt dafür die Privatisierung von Staatsunternehmen, Liberalisierung der Finanzmärkte, Ausgleich des Etats, Abbau der Inflation. Das aber hat zu Destabilisierung, privaten Monopolen und Wohlstandsverlust geführt. Denn es ist Unsinn, mitten in einer Konjunkturkrise Sparprogramme aufzulegen, um den Haushalt zu stabilisieren. Oder den Kapitalmarkt zu öffnen, wie in der Asienkrise, wenn die Wechselkurse ohnehin unter Druck sind. Der IWF wurde gegründet, weil die Märkte schlecht funktionierten, aber jetzt ist er zum fanatischen Verteidiger der Hegemonie des Marktes geworden.

Sie geben dem IWF auch die Schuld am Niedergang Russlands. Ist das nicht zu einseitig?

In Russland fiel nach dem Ende des Kommunismus die Industrieproduktion um 40 Prozent, obwohl man das Gegenteil hätte erwarten sollen. Der Grund: Der IWF verlangte eine zu schnelle Privatisierung und vernachlässigte Unternehmensgründer. Erfolgreich waren nur die ehemals sozialistischen Länder, die den IWF-Ratschlägen bewusst nicht gefolgt sind. Etwa Polen, Ungarn oder Slowenien, die sich nur behutsam dem Westen öffneten. Oder China, das erfolgreichste Beispiel für eine Transformation.

Stand ein Kalkül hinter den IWF-Rezepten, oder haben die Ökonomen einfach versagt?

Beides. Zum einen ignorieren die Markt-Fundamentalisten des IWF einfachste ökonomische Erkenntnisse. Märkte funktionieren eben nicht immer perfekt, sondern können versagen und Wohlstand vernichten. Zum anderen haben der IWF und das ihn bestimmende US-Finanzministerium immer darauf gedrängt, den Kapitalmarkt eines Landes so früh wie möglich zu öffnen, um den Finanzhäusern an der Wall Street neue Märkte zu erschließen.

Verfolgen die Europäer ähnlich unumwunden ihre Interessen?

Die IWF-Ideologie hat auf allen wichtigen Finanzmärkten viele Freunde - also auch in Europa. 1998 etwa schuldeten viele russische Unternehmen westlichen Unternehmen Geld. Ein Kredit des IWF hat dafür gesorgt, dass die westlichen Gläubiger ihr Geld zurückbekamen. Russland hat davon allerdings nichts gehabt.

Kritiker halten die Globalisierung für eine Ursache des internationalen Terrorismus.

Terrorismus hat viele Wurzeln, sowohl politische als auch wirtschaftliche. Armut und Arbeitslosigkeit unter jungen Männern sind ein wichtiger Nährboden für Terrorismus. Die vom IWF verordneten Sparprogramme begünstigen diese Probleme: Staaten, die in Bedrängnis sind, haben kein Geld für öffentliche, kostenlose Schulen. Also schicken Eltern ihre Kinder auf Islamschulen - die oft eine Keimzelle des Terrorismus sind. Es gibt also eine direkte Verbindung zwischen dem IWF und dem Terrorismus.

Marktkritische Organisationen wie Attac verzeichnen einen wachsenden Zulauf. Hegen Sie Sympathie für diese Bewegung?

Attac hat wichtige Punkte angeregt: Wegen der Globalisierung müssen die Länder enger zusammenarbeiten auf den Feldern Entwicklungspolitik, Umweltschutz, Gesundheit. Dafür sind Geld und neue Institutionen nötig. Richtig ist auch, dass die globalen Finanzmärkte zur Instabilität neigen, worunter die armen Länder leiden. Das könnte man vielleicht mittels der Tobin-Steuer auf Devisenspekulationen ändern - aber ob sie funktioniert und wie man sie einführen kann, muss noch erforscht werden.

Wie kann der IWF reformiert werden?

Der Einfluss der reichen Länder, besonders der USA, auf die Entscheidungen des Fonds muss beschnitten werden. Deshalb müssten die Stimmrechte neu verteilt werden. Außerdem muss es mehr Transparenz geben, damit eine Debatte über die Politik des IWF möglich wird. Schließlich muss er rechenschaftspflichtig werden - wenn die IWF-Ökonomen falsche Empfehlungen geben, sollte man sie feuern. Im Zentrum des IWF müssen die Menschen eines Landes und das Wirtschaftswachstum stehen, nicht der Wechselkurs oder das Budgetdefizit. Privatisierung ist kein Ziel an sich, sondern nur ein Mittel zur Steigerung des Lebensstandards.

Deutschland steht Experten zufolge vor einem Konjunkturaufschwung. Was muss die nächste Regierung tun, damit ihm nicht nach wenigen Monaten wieder die Luft ausgeht?

Deutschland ist für einen Aufschwung zu stark auf die Vereinigten Staaten angewiesen. Es muss aus eigener Kraft dafür sorgen, aus seiner Malaise herauszukommen. Dazu ist antizyklische Finanz- und Geldpolitik nötig. Das mag für kurze Zeit die Inflationsrate nach oben treiben. So lange es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt, ist das aber nicht schlimm. Der Fokus muss nun auf dem Abbau der Arbeitslosigkeit und auf Wachstum liegen. Der Kampf gegen die Inflation gehört der Vergangenheit an.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup. Stichwort IWF

Den Internationalen Währungsfonds (IWF) macht Joseph Stiglitz verantwortlich für Armut und Krisen in vielen Schwellenländern. Gegründet wurde der IWF 1944, um Ländern in Zahlungsschwierigkeiten mit Krediten auszuhelfen. Seit den 80er Jahren knüpft der Fonds seine Hilfen jedoch an strenge Vorschriften: Geld fließt erst, wenn die Regierungen ein bis ins Detail ausgearbeitetes Reformprogramm umsetzen. Jüngstes Beispiel ist Argentinien, das seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Die Agenda des IWF vermochte die Probleme jedoch nicht zu lindern.

Herr Stiglitz[die Globalisierung ist zuletzt star]

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