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Wirtschaft: Die große Lücke

Fast 50 000 Jugendliche finden keinen Ausbildungsplatz / Glos lobt Ausbildungspakt, Gewerkschaften sprechen von einem Skandal

Berlin - So viele Jugendliche wie noch nie seit der Wiedervereinigung sind in diesem Jahr bei der Suche nach einer Lehrstelle leer ausgegangen. Rund 49 500 Bewerber seien am Beginn des neuen Ausbildungsjahres noch unversorgt, teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Mittwoch mit. Das sind 9000 mehr als noch im vergangenen Jahr. Es habe mehr Bewerber und weniger Angebote bei den Unternehmen gegeben als im vergangenen Jahr, erklärte die Behörde. Opposition und Gewerkschaften bezeichneten den Ausbildungspakt zwischen Regierung und Wirtschaft angesichts der Zahlen als gescheitert.

„Wir haben keinen Grund zur Entwarnung, die Gesamtlage auf dem Ausbildungsmarkt ist nach wie vor angespannt“, sagte BA-Vorstand Heinrich Alt. Die rechnerische Lehrstellenlücke wuchs von 27 900 auf 34 100. Dabei wird die Zahl der unversorgten Bewerber der Zahl der noch offenen Stellen gegenübergestellt. Gerechnet hatte die BA nur mit einer Lücke von rund 31 000. Die Ursache sei zum einen die hohe Zahl der Bewerber aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge, sagte Alt. Zum anderen habe man eine Reihe junger Menschen, die bei den Sozialämtern gemeldet gewesen seien, zu einer Bewerbung motiviert. Insgesamt bekam nicht einmal die Hälfte der 763 100 Jugendlichen, die sich ursprünglich bei der BA gemeldet hatten, eine reguläre Lehrstelle – der Rest ging weiter zur Schule oder auf die Universität, fand einen sonstigen Job, nahm an einer Maßnahme zur Berufsvorbereitung teil oder trat Wehr- oder Zivildienst an. Die Unternehmen stellten 459 500 Ausbildungsplätze zur Verfügung, 12 000 weniger als ein Jahr zuvor.

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass alle bislang unvermittelten Bewerber bis Jahresende ein Ausbildungsangebot erhalten werden. Die anspringende Konjunktur habe mittlerweile den Ausbildungsmarkt erreicht, dennoch müssten alle Beteiligten ihre Anstrengungen nochmals intensivieren, sagte der Minister. Die Wirtschaft habe ihre Zusage aus dem Ausbildungspakt „wiederum erheblich übertroffen“ und 55 800 neue Ausbildungsplätze eingeworben. Verpflichtet hatte sie sich 2004 zu 30 000 neuen – aber nicht zusätzlichen – Lehrstellen pro Jahr.

Die Aussichten für eine Nachvermittlung der noch Unversorgten bis Jahresende schätzten Wirtschaftsverbände und Regierung als gut ein. Dafür stünden auch 40 000 noch weitgehend unbesetzte Praktikumsstellen zur Verfügung.

Die Gewerkschaften nannten die Ausbildungsbilanz einen „gesellschaftspolitischen Skandal“. Ingrid Sehrbrock, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte, zu den 50 000 noch nicht vermittelten Bewerbern kämen noch 100 000 junge Menschen hinzu, die in Warteschleifen steckten oder notgedrungen auf eine Lehre verzichteten. Der Ausbildungspakt sei gescheitert, da die Zahl unversorgter Bewerber stetig ansteige. „Die Wirtschaft führt die große Koalition ebenso an der Nase herum wie schon Rot-Grün.“

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi übte scharfe Kritik. 2006 sei „wieder ein weiteres verlorenes Jahr für viele Jugendliche“, sagte der stellvertretende Vorsitzende Frank Werneke. Die Lage dürfe nicht mit Hilfe statistischer Spitzfindigkeiten beschönigt werden. Langfristig müsse ein konjunkturunabhängiges System zur Sicherung der Ausbildung geschaffen werden, verlangte er. Der Grünen-Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer sprach von einem Offenbarungseid für Wirtschaftsminister Glos. Der habe „lieber Ausreden von Lobbyisten nachgeplappert, als den schwarzen Schafen Druck zu machen“.

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