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Wirtschaft: Die Hauptstadt der Telefonierer

Niedrige Kosten und gut ausgebildete Arbeitskräfte machen Berlin zum gefragten Standort für Call-Center

Bosch, Siemens, Samsung – in der langen Reihe der schlechten Nachrichten über Stellenabbau gibt es einen Lichtblick für Berlin: Das Versandhaus Quelle will 500 Jobs in der telefonischen Kundenbetreuung schaffen und verstärkt damit einen Trend. In der Hauptstadtregion sind die Call-Center seit längerem eine treibende Kraft. 231 Unternehmen gibt es in Berlin und Brandenburg. Sie beschäftigen mehr als 20 000 Menschen. 1500 Arbeitsplätze sollen allein in 15 Call-Centern der Region bis Mitte 2007 neu entstehen, verspricht die Arbeitsgemeinschaft der Berliner und Brandenburger Callcenter (ABCC).

Auch bundesweit wächst die Branche stark: Der Verein Call-Center Forum Deutschland erwartet für 2007 ein bundesweites Wachstum um 30 Prozent. „In Zeiten des Arbeitsplatzabbaus ist eine Branche erfreulich, die Stellen schafft“, sagt Ulrich Beiderwieden, Call-Center- Experte bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Berlin und Brandenburg sind als Standorte für Hotlines und Telefondienstleister besonders beliebt. Direct Line, ADM, Immobilienscout24 oder Viafon sitzen in der Hauptstadtregion. Einer Studie des Wirtschaftsförderungs- und Standortmarketingunternehmens Berlin Partner zufolge würden 97 Prozent der hier ansässigen Unternehmen Berlin und Brandenburg wieder als Standort wählen. Besondere Merkmale der Region sind laut Umfrage die gute Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur, der große Pool an mehrsprachig qualifizierten Arbeitskräften und die Nähe zu den Hochschulen, die in der Hauptstadt etwa 130 000 Studenten ausbilden (siehe Grafik). Die in Berlin ansässigen Call-Center gaben außerdem an, dass das Image des Standortes und das Niveau von Gehalt und Miete entscheidende Faktoren für die Ansiedlung seien. „In Berlin und Brandenburg gibt es ein großes Potenzial an flexiblen, gut ausgebildeten Arbeitskräften“, sagt Michael Hohenbild, Bereichsleiter des Communication Centers der Deutschen Bank.

Arbeit ist nicht teuer in Berlin, doch die Stadt konkurriert mit Niedriglohn- Standorten in Osteuropa. Personalkosten machen in der Call-Center-Branche laut Verdi 75 bis 80 Prozent der Gesamtkosten aus. Ein Faktor, der nicht gerade dafür spricht, sich in Deutschland anzusiedeln. „Natürlich konkurrieren wir mit Osteuropa. Aber die haben nicht unsere technischen Möglichkeiten“, sagt Christoph Lang, Sprecher des Berliner Wirtschaftssenators Harald Wolf (PDS). Marion Messmer von Berlin Partner betont die Bedeutung des Marktes für die Ortswahl. „Für viele Unternehmen ist Deutschland der wichtigste Absatzmarkt in Europa. Zum Beispiel beim Verkauf von Versicherungen sind Muttersprachler am Telefon wichtig.“

Reich werden könne man mit dem Job nicht, sagt Wolfs Sprecher Lang, „aber er hat eine niedrige Einstiegsschwelle“. Oftmals würden bei den Call-Centern kaum formale Qualifikationen wie ein abgeschlossenes Hochschulstudium verlangt. Besonders Frauen würden gerne Teilzeitjobs annehmen: 69 Prozent der Angestellten in Berliner und Brandenburger Call-Centern sind laut der Umfrage weiblich. „Es gibt schwarze Schafe unter den Call-Centern, das sollte man nicht beschönigen“, sagt Lang. „Allerdings kann man von denen nicht auf die Branche schließen.“ Berlin unterstütze die Unternehmen, die keine Hungerlöhne zahlten. Verdi setzt sich für mehr betriebliche Mitbestimmung und Tarifverträge in der Branche ein.

Die in der Region ansässigen Firmen sind eher klein. Rund ein Drittel beschäftigen weniger als 20 Mitarbeiter, ein weiteres Drittel zwischen 20 und 100 Mitarbeiter. Nur drei Prozent haben mehr als 500 Angestellte (siehe Grafik). „Die Mitarbeiterfluktuation für die Region liegt bei 8,6 Prozent“, sagt Messmer. „Das ist sehr moderat und ein gutes Signal.“ Mit den neuen Ausbildungsberufen Servicekraft für Dialogmarketing und Kaufmann oder -frau für Dialogmarketing bemüht sich die Branche, ihr Image neu zu definieren. Wirtschaftssenatssprecher Lang lobt: „Die Firmen haben erkannt, dass sie sich nur entwickeln können, wenn sie Qualitätsstandards setzen.“

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