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Wirtschaft: Die Höchster Schnüffler sind zufrieden

Fünf Jahre nach der Fusion von Hoechst mit Rhône-Poulenc ist auf dem ehemaligen Gelände der Farbwerke ein moderner Pharma- und Chemiestandort entstanden

Frankfurt (Main). Der rote Backstein schimmert freundlich, die dicken Rohrleitungen sind frisch gestrichen, nirgendwo ist Rost zu sehen. Selbst der denkmalgeschützte Peter-Behrens-Bau wirkt trotz der dunkelroten Klinkersteine nicht abweisend. Hier hatte der Vorstand die Geschäfte des früheren Chemie- und Pharmakonzerns Hoechst gesteuert. Mit seiner charakteristischen Brücke lieferte der Bau die Vorlage für das weltberühmte Konzern-Emblem. Die neuen Verwaltungs- und Produktionsgebäude verleihen dem heutigen Industriepark Höchst nördlich und südlich des Mains im Westen Frankfurts ohnehin einen freundlichen Anstrich: Von der einst schmutzigen „Rotfabrik“ und den wenig umweltfreundlichen Farbwerken Hoechst ist kaum mehr etwas zu spüren.

Fünf Jahre nach der Fusion von Hoechst mit dem französischen Konkurrenten Rhône-Poulenc zu Aventis – die Zentrale steht heute in Straßburg – ist vom befürchteten Niedergang des traditionsreichen Standortes nichts zu spüren. Selbst Thomas Schlimme, „grüner“ Ortsbeirat in Frankfurt- Höchst und Sprecher der Umweltinitiative „Höchster Schnüffler un Maagucker“ kann der Entwicklung nur Positives abgewinnen. „Da war 1998 viel Schwarzmalerei im Spiel, die schon damals nicht angebracht war.“ Heute ist für Schlimme die Lage besser als zu Hoechst-Zeiten: Moderne Anlagen auf hohem Umwelt-Standard, weniger Emissionen, weniger und kleinere Störfälle und Unternehmen, die sich ihrer ökologischen Verantwortung bewusster sind als es die Hoechst-Manager je waren.

140 Jahre nach Beginn der Chemieproduktion – 1863 startete die chemische Fabrik Meister Lucius&Co mit der Herstellung des roten Farbstoffes Fuchsin – scheint nicht nur auf den ersten Blick in Höchst ein Wandel gelungen, der anderen Chemie- und Pharmastandorten noch bevorsteht. 1997 noch vor der Unterzeichnung der Verträge zwischen Hoechst und Rhône-Poulenc wird das Werksgelände zum Industriepark erklärt und öffnet sich für konzernfremde Firmen. 1998 übernimmt Infraserv als Betreibergesellschaft – die Mehrheit halten Aventis und Clariant – das Management für das 460 Hektar große Areal am Main. 35 Firmen waren damals auf dem Gelände tätig, heute sind es rund 80, die etwa 22000 Mitarbeiter beschäftigen.

Die meisten Firmen sind aus dem Hoechst-Konzern hervorgegangen: Die deutsche Pharma-Sparte von Aventis hat im Park mit rund 5500 Mitarbeitern ihren größten Standort für Produktion, Forschung und Entwicklung. Celanese, die ehemalige Chemiesparte von Hoechst, beschäftigt hier mehr als 1000 Mitarbeiter in der Herstellung von chemischen Grund- und Zusatzstoffen. Auch das Textilfarbstoff-Unternehmen Dystar setzt auf den Industriepark. Zentrale, Verwaltung und Labors haben hier ihren Sitz. In nicht einmal zwölf Monaten hat Infraserv für das Unternehmen ein neues Gebäude errichtet, das – mittlerweile bunt angemalt – ein Schmuckstück des Parks ist. Dystar schätzt das Park-Ambiente und die Dienstleistungen. Nicht nur die gute Verkehrsanbindung – inklusive großem Hafen – und die Nähe zum Flughafen hätten den Ausschlag gegeben. Auch kleine Unternehmen haben sich hier angesiedelt: Das Biotech-Unternehmen Iongate profitiert von der Nähe zu Kunden und potenziellen Kunden.

Der Park jedenfalls lebt, nicht nur weil die Beschäftigten dort alles Lebensnotwendige und viel Grünfläche finden. Infraserv bietet rund 6000 Dienstleistungen an – von einfachen Handwerker-Diensten bis hin zu diffiziler Hilfe bei Genehmigungsverfahren. Fast 1,4 Milliarden Euro wurden in den vergangenen vier Jahren investiert – für neue Produktionsanlagen, aber auch in Umweltschutz und Sicherheit. In Spitzenjahren waren es bei Hoechst „nur“ 250 Millionen Euro. Infraserv-Geschäftsführer Dieter Kreuziger sieht den Park als Gradmesser für die Attraktivität des Pharma- und Chemiestandortes Deutschland. Fast pausenlos ist er auf Werbetour, und das weltweit. „Wir dürfen gerade in Zeiten schwieriger Konjunktur nicht locker lassen.“ 2002 konnte er 14 neue Firmen aus dem In- und Ausland gewinnen. Derzeit laufen Gespräche mit knapp 30 Interessenten.

Kritik kommt von Thomas Reichert von der Interessengemeinschaft Handel und Handwerk Höchst. „Das Werksgelände ist heute verschlossener als 1998“, sagt er. Viele Firmen hätten dort nur Ableger, nur wenige der Beschäftigten wohnten in Höchst. Es fehle die Bindung zum Stadtteil. Für Handel und Handwerker vor Ort fiele nichts mehr ab. „Der Auftragsfluss aus dem Park ist nicht mehr hoch.“ Mit dem Industriepark „konnte und kann Höchst nicht rechnen.“ Solche Kritik kann allerdings selbst der grüne Ortsbeirat Schlimme nicht nachvollziehen.

Der Infraserv-Manager Kreuziger legt wert auf eine offene Kommunikation, auch zu den Bewohnern des Stadtteils. Nicht nur wegen etlicher Störfälle in der Vergangenheit, die durch eine teils katastrophale Informationspolitik mitunter zum Desaster gerieten. Es wurde eine eigene Homepage eingerichtet (Ihr-Nachbar.de). Diese Offenheit kommt an, auch bei den „Höchster Schnüfflern un Maaguckern“. Allerdings ist Schlimme derzeit ein wenig skeptisch. Die Forderung, bei Genehmigungsverfahren auch die Folgen eines möglichen Flugzeugabsturzes zu erörtern, lehnen Infraserv und große Firmen auf dem Gelände ab.

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