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Wirtschaft: Die Norwegerin Gro Harlem Brundtland über die deutsche Ökosteuer, Welthandel und die Auswirkungen der Globalisierung auf die Umwelt

Gro Harlem Brundtland, 60, ist Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf. Die Norwegerin studierte in Oslo und Harvard und war 1981 sowie von 1986 bis 1996 Premierministerin in ihrem Heimatland.

Gro Harlem Brundtland, 60, ist Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf. Die Norwegerin studierte in Oslo und Harvard und war 1981 sowie von 1986 bis 1996 Premierministerin in ihrem Heimatland. 1987 gab sie dem Brundtland-Bericht ihren Namen - der Report über "unsere gemeinsame Zukunft" prägte den Begriff von der nachhaltigen Entwicklung, der Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie. 1996 galt sie als Kandidatin für den Posten des UNO-Generalsekretärs, doch dieses Amt übernahm Kofi Annan aus Ghana. Im vorigen Jahr übernahm die Erste Vizepräsidentin der Sozialistischen Internationalen die Spitze der UN-Gesundheitsorganisation. Sie setzt sich für interne Reformen der WHO ein, Schwerpunkte ihrer Arbeit sind der Kampf gegen Malaria und Kampagnen gegen das Rauchen. Mit ihr sprach Jobst-Hinrich Wiskow

Frau Brundtland, vor gut zehn Jahren haben Sie den Bericht "Unsere gemeinsame Zukunft" vorgestellt und darin den Begriff von der nachhaltigen Entwicklung erfunden. Sehen Sie heute, dass die Welt sich nachhaltig entwickelt?

Jedenfalls nachhaltiger denn jemals zuvor. Aber selbstverständlich gibt es große Mängel.

Was war das Besondere am Bericht der Brundtland-Kommission?

Die Welt konnte nicht einfach weiter machen wie bisher. Wir haben eine neue Ära der öffentlichen Debatte begonnen.

Plötzlich spielte die Umwelt eine Rolle.

Man musste auf sie Rücksicht nehmen. Es hatten schon genügend Katastrophen und Schocks stattgefunden, die Menschen waren vorgewarnt. Sie konnten nicht mehr sagen: Da äußern sich eh nur ein paar Extremisten. Es gab keine Möglichkeit mehr, die Geschäfte einfach so weiter zu machen wie bisher.

Sondern?

Seitdem steht auf der Tagesordnung, dass man an die nächste Generation zu denken hatte. Was zuvor nur ein paar Nicht-Regierungs-Organisationen berücksichtigt hatten, galt nun auch für Regierungen in Nord und Süd.

Was war der größte Erfolg?

Es war das Protokoll von Montreal, in dem es um nicht weniger ging als die Rettung der Ozonschicht. Dieses Protokoll war die erste multilaterale Vereinbarung, die souveräne Staaten dazu zwang, aus ökologischen Überlegungen heraus anders zu werden. Man kümmerte sich, und man wollte sich kümmern. Das sorgte für den nötigen politischen Druck.

Warum gelingt es der Menschheit nicht, diese Erfolgsgeschichte ganz einfach zu wiederholen?

Es gibt zu viele lokale Regierungen und zu wenig internationale Kooperation, die auch zu durchsetzbaren Ergebnissen führt. Der Aufbau der internationalen Politik ist zu kleinteilig. Das macht es schwer. Es fehlen schlichtweg Gremien und Vereinbarungen. Das Tempo der Ökoreformen lässt nach, und häufig nähern sich die Staaten nur noch einem kleinsten gemeinsamen Nenner an.

Das klingt pessimistisch.

Viele haben aus den Augen verloren, was das Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens ist. Es geht auch, aber nicht nur, um Tiere und Pflanzen. Vor allem nämlich geht es um den Menschen. Aber viele Menschen leben in fürchterlichen Verhältnissen, besonders in den Mega-Städten in Südamerika und Asien. Ob Mexiko-Stadt oder Sao Paulo, Delhi oder Peking, überall gefährden Verkehrschaos, Verschmutzung und Energieverbrauch die Gesundheit der Menschen. Die Leute aber ziehen dennoch weiter in die Städte, weil dort neue Chancen locken.

Sie sprechen über die Kontinente, nicht über die Ozeane. Sind die Ozeane die vergessenen Erdteile?

Für Norweger ganz gewiss nicht. Aber die Meere leiden ja vor allem unter der Verschmutzung vom Land aus. Sie bedroht das Leben im Meer. Das schädigt den Menschen - etwa, weil Fischkonsum für den Menschen in vielerlei Hinsicht besser ist als Fleischkonsum.

Viele bezeichnen die Ostsee als besonders bedrohtes Meer. Sie auch?

Aber sie macht auch Hoffnung. Man darf nicht vergessen, dass Staaten zusammenarbeiten, um die Zukunft der Ostsee zu bewahren - seit Jahren und Jahrzehnten, und das sogar schon vor dem Ende des Ostblocks über den Eisernen Vorhang hinweg. Kooperation ist besonders wichtig wegen des nur kleinen Zuflusses der Weltmeere in die Ostsee. Es ist zwar noch viel zu tun, aber es gab bereits einen enormen Fortschritt.

In Europa tun die Staaten sowieso einiges - Stichwort Ökosteuer. Sind Sie zufrieden?

Grüne Steuern sind ein wichtiges Instrument, und es funktioniert. Sie schaffen den Anreiz, die Umwelt zu schützen. Wir haben Ökosteuern in Norwegen eingeführt - übrigens als einheitliche Steuer über alle Interessen hinweg. Viele Leute konnten nicht glauben, dass wir eine Steuer entwickelten, die auf dem Papier unsere Wirtschaftskraft vermindert. Aber wir haben es getan.

Was würden Sie der Bundesregierung in Sachen Ökosteuer empfehlen, wenn Sie um Rat gefragt würden?

Deutschland ist in eine selbst gestellte Falle getappt, indem das Land alte Branchen unterstützt, die dazu noch die Umwelt zerstören. Der Kohlebergbau ist von der Ökosteuer befreit und wird überdies noch stark subventioniert. Darin besteht ein großer Unterschied zum norwegischen Konzept. Wir haben die grüne Steuer sogar der für uns überlebenswichtigen Erdöl- und -gasbranche auferlegt. Es hat uns nicht geschadet.

Weil es glücklicherweise eine Sonderkonjunktur gab, mit der bei unserem Kohlebergbau nicht zu rechnen ist.

Es kann aber schon genügen, wenn der Gesetzgeber eine Übergangszeit gewährt, in der man Problembranchen mehrere Jahre gibt, in denen sie sich an die neuen Bedingungen anpassen können.

Wie wäre es mit der Ankündigung, dass heute in fünf Jahren eine Sondersteuer kommt?

Davon halte ich nichts. Die Erfahrung zeigt, dass so eine Strategie im politischen Alltag versagt. Wenn Sie heute etwas für in fünf Jahren ankündigen, dann wird die Regierung überzeugende Gründe finden, um die Ankündigung schließlich doch nicht umzusetzen, wenn es eigentlich an der Zeit wäre. Man muss gleich beginnen, darf aber die Dosis der Steuer nach und nach steigern.

Nun haben wir das Ziel vor Augen und dazu eine Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen - und trotzdem ist es sehr schwierig, Ihren Vorschlag durchzusetzen.

Die Regierung ist erst seit einem Jahr im Amt. Das ist eine kurze Zeit für eine Koalitionsregierung. Man muss Geduld mitbringen. Schließlich müssen die Leute diskutieren.

Können wir uns lange Diskussionen denn noch leisten?

Es geht ja gar nicht anders, als zusammenzusitzen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Das gilt auch auf internationaler Ebene. Zum Beispiel bei der Welthandelsorganisation WTO.

Also wird die kommende Welthandelsrunde, die diesen Monat in Seattle beginnt, lange dauern?

Es ist damit zu rechnen, dass diese Verhandlungen Jahre brauchen werden.

Die Anhänger des Freihandels warnen immer davor, die Welthandelsorganisation WTO und Freihandel mit sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Zielen zu verbinden. Stimmen Sie zu?

Diese Menschen können warnen, aber sie können nicht gewinnen. Denn jede Regierung wird ihren Bürgern vergeblich zu erklären versuchen, dass im Handel Umwelt und Gesundheit nicht zählen. Das ist unmöglich. Regierungen sind nicht allein verantwortlich für wirtschaftliche Chancen, sondern auch für gesundheitliches Wohlergehen.

Wie realistisch ist dieses Ziel - etwa angesichts der nationalen Lobbies?

Freihandel funktioniert jedenfalls nicht automatisch. Die Staatengemeinschaft muss sich auf ein Regelwerk einigen, das festlegt, was man akzeptiert und was man nicht akzeptieren kann.

Das ist riskant.

Man kann diskutieren, wie man das macht, aber nicht, ob man es macht. Schließlich bestehen diese Strukturen ja schon in der internationalen Gemeinschaft. Es muss also ohnehin diskutiert werden. Freihandel allein gibt es nicht.

Aber unterschiedliche Geschmäcker. Der eine will eben mehr für die Umwelt tun und kann sich das womöglich auch leisten - der andere halt nicht.

Wir sind in Europa auch besorgt um das, was Leute in anderen Länder betrifft. Wie viel sie verdienen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten und wohnen. Wir haben sogar die Verpflichtung, besorgt zu sein.

Nur wo fängt die Geschichte an, uns vor der Konkurrenz zu schützen und protektionistisch zu sein?

Ich vertraue da der wissenschaftlichen Ansicht. Es mag Auseinandersetzungen in der Wissenschaft geben, aber ich glaube, man kann sich in einer Diskussion auf eine Lösung einigen, ohne dass Partikularinteressen die Oberhand gewinnen.

Frau Br, tland[vor gut zehn Jahren haben Sie den]

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