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Wirtschaft: Die Regeln, wie das Spiel läuft

Beim Fußball wird Leistung belohnt, in der deutschen Wirtschaft abgestraft

Von Oliver Bierhoff

Fußballweisheiten sind berüchtigt für ihre simplen Wahrheiten. Der Ball ist rund und das Spiel hat 90 Minuten ist zwar richtig, aber keine große Erkenntnis. Können wir also vom Sport nur Selbstverständliches lernen? Schön wär’s. Denn wenn man die Parallele zwischen Sport und der deutschen Gesellschaft zieht, fällt auf: Viele Eigenschaften und Regeln, die auf dem Fußballplatz akzeptiert werden, sind außerhalb des Rasens alles andere als selbstverständlich. Für mich ist das ein Phänomen: Warum gibt es für die Leistungen eines Sportlers in der Öffentlichkeit so viel Anerkennung, für die Anstrengungen eines Unternehmers aber nicht? Es kann nicht nur der bloße Neid sein, denn neidisch kann ich sowohl auf den siegreichen Sportler als auch auf den erfolgreichen Kollegen sein. Es muss also eine unterschiedliche Wahrnehmung geben: Was im Sport bewundernswert ist, muss noch lange nicht für die Gesellschaft gelten. Diese Unterscheidung ist ein Fehler und Teil unseres derzeitigen Problems.

Nehmen wir das Beispiel Wettbewerb: Für den Leistungssportler ist der Wettbewerb existenziell. Er treibt dich wieder an, wenn du erschöpft bist. Er erneuert deinen Ehrgeiz. Ohne Wettbewerb kein Erfolg, ohne Erfolgserlebnis kein Anreiz. Mein Gegenspieler auf dem Platz ist dabei Teil der Motivation. Im Sport sind Konkurrenten keine Bedrohung, sondern eine Herausforderung. Und schließlich lieben die Zuschauer genau das am Sport: den ständigen Wettkampf. Sobald das Stadion aber leer und die Sportschau zu Ende ist, scheint diese Einstellung bei vielen wie weggeblasen. Warum?

Vielleicht wird einfach zu wenig trainiert in Deutschland. Schon in der Schule wird den Kindern nur unzureichend vermittelt, dass Wettbewerb nicht Druck und Zwang bedeutet, sondern Spaß macht und Erfolgserlebnisse bringt. Auch für die freie Wirtschaft gibt es nur wenig Verständnis. Die Politik versucht Unternehmen und Arbeitnehmer vor dem Wettbewerb zu schützen, anstatt sie darauf vorzubereiten. Das starre Arbeitsrecht, die Bürokratie, die hohe Staatsquote – all das sind Anzeichen dafür. Die Folge: Mit Deutschland passiert dasselbe, wie mit einer Mannschaft, die zwar auf dem Platz steht, aber nicht mitspielt – sie verliert.

Ähnliches gilt auch für die Leistungsbereitschaft. Leistung einzufordern, scheint in Deutschland für manche eine Bedrohung zu sein – eine Ausnahme von der Gleichmacherei: Wenn jemand mehr leistet als andere, muss wohl jemand anders weniger leisten und das gefährdet die Solidarität. Wenn den Menschen die Möglichkeit genommen wird, sich durch Leistung zu beweisen, fehlt ihnen auf Dauer auch das Selbstvertrauen. Im Sport ist der Leistungsgedanke hingegen völlig unbestritten: Der Beste soll spielen. Gute Leistungen werden von den Fans honoriert, schlechte abgestraft. Das ist manchmal schmerzhaft, aber gewiss kein ungerechtes Verhalten. Denn jeder Spieler bekommt beim nächsten Match eine neue Chance, sich zu beweisen. Bei meinen Auslandsaufenthalten habe ich gespürt, dass diese Einstellung in anderen Ländern nicht nur auf dem Fußballplatz zu finden ist. In den USA etwa ist der Glaube viel stärker, dass jeder nach einer Niederlage eine neue Chance verdient und es wieder nach oben schaffen kann. Dieses Vertrauen in die Kraft des Einzelnen führt zu mehr Eigenverantwortung.

Viele Menschen reden täglich davon, dass sie bald mal wieder Sport treiben müssten, um ihren Körper in Form zu bringen. Ich denke, wir sollten auch damit anfangen, den Sport in unseren Alltag zu bringen und den Widerspruch zwischen den Werten, die wir auf dem Sportplatz akzeptieren, und die wir jeden Tag leben, aufzuheben. Das ist wahrscheinlich genauso schwierig, wie sich nach langer Zeit die Joggingschuhe anzuziehen.

Die Politik muss dabei die Rolle eines guten Schiedsrichters übernehmen: Sie kann Regeln vorgeben, die jeder versteht, und die vor allem für alle gelten. In einer Gesellschaft ist das die Bedingung für eine moderne Soziale Marktwirtschaft. Sonderregelungen und Subventionen sind ungerecht und verwirrend. Das Ziel von Reformen muss es sein, den Menschen wieder mehr Entwicklungsraum zu geben. Größtmögliche Freiheit sowie klare Regeln sind die beste Voraussetzung für wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg. Auf dem Fußballplatz und in der Gesellschaft.

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