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Wirtschaft: „Die Rentenbeiträge könnten noch weiter steigen“

BfA-Präsident Herbert Rische: Rentenversicherer nehmen weniger ein als erwartet / Bund soll höheren Zuschuss zahlen

Herr Rische, kann die RürupRentenkommission ihre Arbeit einstellen?

Warum?

Weil Sozialministerin Ulla Schmidt doch sowieso alles besser weiß als die Kommissions-Mitglieder.

Ob die Ministerin alles besser weiß, vermag ich nicht zu sagen. Es ist aber klar, dass man bei solchen Kommissionen niemals versprechen kann, dass die Ergebnisse eins zu eins umgesetzt werden. Man muss die Empfehlungen politisch und finanziell bewerten und prüfen, was verwaltungstechnisch geht. Der Spielraum der Kommission ist aber doch recht groß.

Obwohl Ulla Schmidt nur einstimmige Empfehlungen akzeptieren will?

Ich bezweifle, dass eine Kommission mit 26 sehr unterschiedlichen Mitgliedern einstimmige Voten produzieren wird.

Frau Schmidt hat Änderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung frühestens für das Jahr 2015 angekündigt. Läuft uns nicht die Zeit davon?

Das ist doch nicht die erste Rentenreform, über die wir sprechen. Weil wir wussten, dass wir ein demographisches Problem bekommen werden, haben wir schon Ende der 80er Jahre von Prognos ein Gutachten erstellen lassen, Ergebnis: Ohne Rentenreformen liegt der Beitragssatz im Jahr 2030 bei 40 Prozent. 1998 hat Prognos ein neues Gutachten vorgelegt und die Rentenreformen berücksichtigt, die zwischenzeitlich durchgeführt worden sind. Resultat: Im Jahre 2030 bewegt sich der Beitragssatz zwischen 22 und 25 Prozent. Das mag zwar immer noch zu hoch sein, aber Sie können daran sehen, dass in der Rentenversicherung viel passiert ist.

Beantwortet das Gutachten auch die Frage, wie im Jahr 2030 ein Arbeitnehmer zwei Rentner ernähren soll?

Heute kommen auf 100 Erwerbstätige knapp 40 Rentner. Im Jahr 2030 müssen wir eine neue Rechnung aufmachen, weil dann die bereits beschlossenen Gesetzesänderungen greifen. Das heißt: Im Jahr 2030 wird keiner mehr ohne Abschläge in Rente gehen können. Also müssen wir bei unserer Kalkulation von Erwerbstätigen ausgehen, die älter als 65 sind. Im Jahr 2030 kämen nach dieser Rechnung auf 100 Erwerbstätige knapp 47 Rentner.

Ist das finanzierbar?

Das Problem ist zumindest weniger dramatisch als es immer dargestellt wird. Ob eine solche demographische Konstellation finanzierbar ist, hängt von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Die Rentenversicherung ist doch nicht der Nabel der Welt, von deren Entwicklung alles abhängt. Es ist umgekehrt. Die Rahmenbedingungen bestimmen das System.

Die Rahmenbedingungen sind nicht sehr rosig: Die Konjunktur springt nicht an, über vier Millionen Menschen sind arbeitslos.

Im Moment haben wir ein Einnahmenproblem, weil die Konjunktur wegbricht und Arbeitsplätze abgebaut werden.

Wie lange werden Sie angesichts dieser Rahmenbedingungen mit einem Beitragssatz von 19,5 Prozent über die Runden kommen?

Wir haben im November weniger Beiträge eingenommen als im vergangenen Jahr, und ich fürchte, das wird sich im Dezember wiederholen. Viele Firmen zahlen kein Weihnachtsgeld mehr, das heißt uns fehlen Rentenbeiträge. Wir starten daher etwas schlechter in das Neue Jahr als erwartet. Dennoch werden wir 2003 wohl mit einem Beitragssatz von 19,5 Prozent auskommen, es sei denn, die Konjunktur entwickelt sich noch schlechter als angenommen. Aber ich fürchte, im kommenden Jahr werden wir wieder vor der Frage stehen, ob wir den Beitragssatz für 2004 erhöhen.

Frau Schmidt schlägt vor, den Rentenbeginn an die Zahl der Beitragsjahre zu knüpfen. Können Frauen künftig erst mit 80 in Rente gehen?

Rein theoretisch wäre das möglich. Denn Frauen können in aller Regel weniger Beitragsjahre vorweisen als Männer. Aus demselben Grund hätten westdeutsche Versicherte auch Nachteile gegenüber Ost-Versicherten. Außerdem gibt es ein grundsätzliches Problem. Bisher gilt: gleicher Beitrag, gleiche Leistung. Wenn künftig Menschen mit vielen Beitragsjahren länger Rente beziehen können als andere, haben deren Beitragsjahre plötzlich einen höheren Wert als die von Versicherten mit kurzen Beitragszeiten.

Sollte man lieber die Lebensarbeitszeit heraufsetzen?

Im Moment ist diese Frage nicht vordringlich. Die Menschen gehen heute mit 60 oder 61 Jahren in Rente. Wer in dieser Situation über eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit spricht, meint in Wirklichkeit eine Rentenkürzung. Denn das hieße: höhere Abschläge für diejenigen, die vor 66 oder 67 in Rente gehen. Obwohl man den älteren Arbeitnehmern keinen Arbeitsplatz anbieten könnte.

Sollte man die Abschläge für Frührentner erhöhen?

Die Abschläge dienen dem versicherungsmathematischen Ausgleich. Sie sind keine Strafen. Wenn man diesen Ansatz ändern möchte, muss man das ganz klar sagen.

Sollte man Beamte und Selbstständige in die Rentenversicherung zwingen?

Wir müssen in den nächsten Jahren von einer Versicherung der abhängig Beschäftigten zu einer Versicherung der Erwerbstätigen kommen. Das ist auch eine Aufgabe für die Rürup-Kommission. Die Patchwork-Erwerbsbiografien nehmen zu, und immer mehr Menschen wechseln im Laufe ihres Lebens zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Es gibt daher keinen Grund, warum man nicht auch Selbstständige in die Rentenversicherung einbeziehen sollte – allerdings nur dann, wenn sie nicht bereits über berufsständische Versorgungssysteme abgesichert sind. Bei den Beamten sieht die Sache anders aus. Denn wir bekämen nicht nur die neuen Beitragszahler, sondern wir würden auch die Pensions-Altlasten erben, für die Bund, Länder und Kommunen nicht vorgesorgt haben. Das wäre das Gegenteil von Sanierung.

Was ist mit Miet- und Kapitaleinnahmen?

Die Rente soll im Alter ein Ersatz sein für den Lohn oder das Gehalt. Miet- und Kapitaleinnahmen muss man aber nicht ersetzen. Insofern sollte man diese Einkünfte bei der Beitragsbemessung außen vorlassen.

Wie wollen Sie ansonsten zusätzliches Geld für die Rentenkasse auftreiben?

Über das Steuersystem. Ein höherer Bundeszuschuss wäre eine gerechtere Lösung als die Beitragspflicht für Miet- und Kapitaleinnahmen.

Was würde es bringen, die Renten für eine Weile einzufrieren?

Man muss die Lasten gerecht verteilen. Aber man darf nicht übersehen, dass die Rentner bereits Opfer gebracht haben – durch die Nettolohnanpassung, die Erhöhung der Rentenabschläge und geringere Rentenerhöhungen. Man muss 32 Jahre lang den Durchschnittsbeitrag eingezahlt haben, um heute auf den Sozialhilfesatz zu kommen. Zurückfahren kann man das kaum noch.

Aus der Politik hört man derzeit jeden Tag neue Vorschläge – bis hin zu einem kompletten Systemwechsel in der Rentenversicherung.

Das ist eine Katastrophe. Jeder, der eine Oma hat, hält sich für einen Rentenexperten. Das Hauptkapital der Rentenversicherung ist das Vertrauen in die stetige Weiterentwicklung des Systems. Dieses Vertrauen wird im Moment mit Füßen getreten.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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