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Wirtschaft: „Die Senatsparteien haben Angst“

Der Berliner IHK–Präsident Eric Schweitzer über Vorboten der Landtagswahl, Ausbildung und Innovation

Herr Schweitzer, Sie sind seit einem Jahr IHKPräsident – wie war das Jahr?

Sehr spannend. Das Amt ist zeitintensiver, als ich dachte, aber es macht auch Spaß, Dinge nach vorne zu bringen. Am meisten hat mich gefreut, dass wir im letzten Jahr fast acht Prozent mehr betriebliche Ausbildungsplätze in der Stadt hatten. Und in diesem Jahr wollen wir weiter zulegen.

Aber von 185 000 IHK-Mitgliedern in Berlin bilden nur 6000 aus.

Der weitaus überwiegende Teil der IHK-Mitglieder kommt für eine Ausbildung gar nicht in Frage. Von den Betrieben, die wirklich ausbildungsfähig sind, hat derzeit knapp ein Drittel Auszubildende; wir arbeiten daran, dass es mehr werden. Ein Viertel der rund 200 Berliner IHK-Mitarbeiter ist ausschließlich mit Ausbildung befasst, 20 Mitarbeiter putzen den ganzen Tag Klinken, bemühen sich also in den Firmen um Ausbildungsplätze.

Und wie sieht das in diesem Jahr aus?

Zum 30. Juni hatten wir 5,4 Prozent mehr betriebliche Ausbildungsplätze und 3,2 Prozent mehr Ausbildungsbetriebe. Damit liegen wir ziemlich gut.

Was ist neben der Ausbildung noch positiv gelaufen in Ihrem ersten Präsidentenjahr?

Wir haben ein Team mit Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz, mit den Wirtschaftsförderern Roland Engels und Rolf Eckrodt und mit meiner Person, das sehr gut harmoniert. Eitelkeiten spielen dabei keine Rolle, das war früher offenbar anders.

Hat dieses Team auch positive Effekte auf die Wirtschaft?

Aber ja. Wir haben beispielsweise aus drei Wirtschaftsfördergesellschaften eine gemacht. Wirtschaftsförderung aus einer Hand, also Ansiedlung, Marketing und Vertrieb – das ist ein echter Standortvorteil. Wenn das Verhältnis zwischen den Genannten nicht so gut wäre, hätte die Fusion deutlich länger gedauert. Und ein Thema wie die Verhinderung der Erhöhung der Gewerbe- und Grundsteuer ist natürlich viel leichter zu bearbeiten, wenn sich die beiden Kammern einig sind. Die Politik kann da nicht den einen gegen den anderen ausspielen.

Sie können über die Politik nicht klagen, PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf genießt großes Ansehen in der Wirtschaft.

Zu Recht. Wir haben ein sehr konstruktives Verhältnis. Wolf verfügt über die unter Politikern nicht sehr verbreitete Eigenschaft, zuhören zu können. Und er hält sich an Vereinbarungen. Bei dem Thema Entbürokratisierung ist einiges passiert, zum Beispiel die Bauordnung betreffend oder die Geschäftsbedingungen von Gaststätten.

Welche politischen Themen brennen der Wirtschaft derzeit auf den Nägeln?

Die großen Themen werden wegen der Wahl 2006 nicht mehr angepackt, weil die Senatsparteien Angst haben. Man sieht das am Umgang mit der BVG, wo sich die Politik auf einen Bestandsschutz über 15 Jahre eingelassen hat. Ich halte das für falsch. Ein jährlicher Zuschuss durch das Land in Höhe von 400 Millionen Euro wird zementiert und der Anteil privater Verkehrsleistungen sogar zurückgeführt.

Immerhin spart das Land nun 38 Millionen Euro im Jahr.

Vor dieser Lösung waren schon 30 Millionen Euro sicher. Jetzt sind es acht Millionen mehr, aber dafür gibt es 15 Jahre Unbeweglichkeit und weniger private Bus-Dienstleistungen. Strukturell führt das also zu einer Verschlechterung. Es geht darum, den Verkehrsmarkt für kreative Lösungen zu öffnen. Private sind anders motiviert und funktionieren nach anderen Anreizmechanismen.

Nun kommt aber die private Wirtschaft in Berlin auch seit zehn Jahren nicht in Schwung. Sind die Firmen noch immer zu innovationsschwach?

Überhaupt nicht. Wir geben in Berlin 4,2 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung aus, damit liegen wir nach Stuttgart an zweiter Stelle. Und 7,3 Prozent aller Industriebeschäftigten sind in der Entwicklung tätig, damit sind wir deutschlandweit Spitze. Noch eine andere Zahl: Pro 10 000 Industriebeschäftigten haben wir 66 Patentanmeldungen, damit liegen wir unter den Bundesländern an fünfter Stelle.

Warum kommt die Wirtschaft trotzdem nicht in Schwung?

Wir haben eine kleinteilige Struktur, zu wenig große Industriebetriebe, sondern viele kleine und junge, die Zeit brauchen.

Wächst die Berliner Wirtschaft 2005?

Letztes Jahr hatten wir ein halbes Prozent Wachstum bei bundesweit 1,7 Prozent. Ich glaube, dass wir dieses Jahr einen ähnlichen Abstand haben werden.

Bei weniger als einem Prozent im Bund hätten wir dann Rezession in Berlin.

Ich rechne damit, dass wir Ende des Jahres bei plus/minus null liegen werden. Grundsätzlich sollten wir nicht zu stark auf solche Zahlen gucken, sondern an Strukturen und Rahmenbedingungen arbeiten, die uns langfristig nach vorn bringen. Also Forschung und Entwicklung fördern und Innovationen in Wertschöpfung umsetzen, weiter Bürokratie abbauen und die Wirtschaft nicht belasten.

Ist die Wirtschaft gut auf die WM 2006 vorbereitet?

Ich denke ja. Viele Firmen werden mit guten Geschäftsideen zur WM auf den Markt kommen.

Zum Beispiel?

Der Arena-Betreiber hat in Treptow ein riesiges Gelände gemietet, wo die Spiele auf Großleinwand gezeigt werden und wo Musikbands aus den Ländern der jeweiligen Mannschaften auftreten. Dort werden mehr als 10000 Menschen pro Spiel erwartet.

Gibt die WM Berlin einen Schub?

Wir werden einen Wachstumseffekt um bis zu 0,5 Prozent haben. Aber auch ohne WM ist Berlin auf gutem Wege. In den Zukunftsfeldern sind wir stark: In Gesundheit und Biotechnologie arbeiten 180000 Menschen; der Verkehrsbereich ist wichtig, die Bahn als größter Arbeitgeber der Stadt investiert hier jedes Jahr 500 Millionen Euro. Schließlich entwickeln sich Informationstechnologien und Medien sehr gut.

Trotzdem landet Berlin in Länderranglisten immer noch auf den letzten Plätzen.

Bis 1995 etwa gab es einen Berlin-Boom. Von da an hat sich die Politik bis 2001 so verhalten, als wenn es so bleiben würde. Diese sechs Jahre sind verschenkt worden, Strukturveränderungen unterblieben. Seit 2001 gab es dann Veränderungen, es wurde ernsthaft zu sparen begonnen, privatisiert und die Industrie setzt stärker auf Forschung und Innovationen. Wir sind jetzt auf einem guten Kurs und werden in wenigen Jahren ebenso stark wachsen wie der Bundesdurchschnitt.

Das Gespräch führten Moritz Döbler und Alfons Frese.

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