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Wirtschaft: Die Suche nach dem wahren Erfinder der Glühbirne

PARIS . Wer hat das Telefon erfunden?

PARIS . Wer hat das Telefon erfunden? In der Multimedia-Enzyklopädie von Microsoft, der Encarta, finden Sie eine Antwort darauf. Genauer gesagt zwei Antworten.Die amerikanische, britische und deutsche Ausgabe geben die erwartete Auskunft: Es war Alexander Graham Bell. Die italienische Version dokumentiert dagegen, daß nicht jeder diese Ansicht teilt. Dort gebührt die Ehre einem verarmten Kerzenmacher namens Antonio Meucci, der Bell ganze fünf Jahre zuvorgekommen sein soll. Welche Antwort ist richtig? Das hängt offenbar vom Standpunkt des Betrachters ab.Schon immer wurden Produkte, die eigentlich in der ganzen Welt gleich sein könnten, örtlichen Normen angepaßt. Ford rüstet beispielsweise seine Autos für England und Irland mit dem Steuerrad rechts aus, während es für den Rest Europas links montiert wird. Im Zeitalter des Internets ist es etwas kniffliger, Produkte auf die einzelnen Märkte anzupassen. Hier kollidieren Technologie und Globalisierung mit einer weiteren Dimension: Der Geschichte.Das Problem ist kaum irgendwo so offensichtlich wie in der Vermittlung von Wissen. Bestes Beispiel ist die Encarta. Sie wird in neun verschiedenen Sprachen herausgeben, zwei englischsprachige für den britischen und den US-amerikanischen Markt eingeschlossen. Daß dabei verschiedene, gelegentlich widersprüchliche Fassungen desselben geschichtlichen Ereignisses vorkommen, liegt an dem eigentümlichen Verfahren, mit dem Microsoft die Encarta in die verschiedenen Märkte integriert. "Im Grunde genommen wird der gesamte Inhalt umgeschrieben," sagt Dominique Lempereur, zuständig für Microsofts didaktische Medien im Ausland. "Die Übersetzung an sich ist nur nebensächlich."Angefangen bei Glühlampen - als Erfinder gilt je nach Version der Amerikaner Thomas Alva Edison oder der Brite Joseph Swan - bis hin zu dem Entdecker des AIDS-Virus, stimmen die Schlagwörter in den verschiedenen Versionen zwar überein, die Erläuterungen sind jedoch von Land zu Land verschieden.Microsoft ist nicht das einzige Unternehmen, daß bei der Marktanpassung eines Produkts auf Probleme stößt. Mit mehr als 40 Millionen Einträgen und 45 000 Artikeln in der Nordamerika-Version ist die Encarta aber eine der größten Quellen für Kontroversen. Seitdem die CD-Rom-Enzyklopädie, die jährlich aktualisiert wird, 1993 zum ersten Mal erschien, muß sich Microsoft für kulturelle Mißverständnisse in der Encarta öffentlich rechtfertigen.Vor drei Jahren klagte Südkorea, Microsoft ergreife Partei für die Japaner. Weil die Encarta für eine Insel an der Südküste Koreas den japanischen Namen "Mimana" anstelle des von den Südkoreanern bevorzugten "Kaya" benutzte. Auf dieser Insel hätten die Japaner im dritten und vierten Jahrhundert die Vorherrschaft gehabt. Das südkoreanische Außenministerium legte Beschwerde ein, und die Presse des Landes forderte sogar dazu auf, alle Produkte von Microsoft zu boykottieren, wenn die diskriminierenden Passagen nicht verbessert würden. Der entsprechende Artikel in der Encarta wurde geändert, Microsoft entschuldigte sich.Schwierig ist auch die Behandlung von Grenzkonflikten. Indien verbannt traditionell alle importierten Publikationen, die den Kaschmir-Konfikt nicht im Sinne Indiens darstellen. Deshalb hat Microsoft für Indien eine Spezialauflage angefertigt, in der die lokalen geographischen Gegebenheiten reflektiert werden. In einem anderen Fall wurde die Beschriftung "Kurdistan" aus einer Landkarten entfernt, um Querelen mit den Türken vorzubeugen.Oft aber lassen sich die Probleme nicht durch Umbenennen lösen. Es gibt eine Wahrnehmungsdifferenz, die durch das regionale Verstehen globaler Sachverhalte entsteht. Dahinter steht die Frage, inwieweit Geschichte objektiv und universell ist. "Wenn Sie unter Schlacht von Waterloo in der englischen und der französischen Encarta nachschlagen, finden sie zwei sehr unterschiedliche Versionen, besonders was den Sieger angeht," sagt Richard Lindh, Microsofts Direktor für Marketingdienstleistungen in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika. Ganz so schlimm ist es zwar nicht. In der britischen Variante steht Napoleons Rückzug im Vordergrund. Es wird bemerkt, daß die Schlacht von 1815 eine der blutigsten in der neueren Geschichte war. Der Eintrag endet: "Napoelons Niederlage war so eindeutig, daß Waterloo, der Name seiner letzten Schlacht, Synonym für totales Versagen wurde." In der französischen Fassung fehlen diese Wertungen. Man begnügt sich mit der schlichten Bemerkung, daß die Schlacht zu Napoleons Abdankung führte.Das Ziel von Microsoft ist nicht Konformität. Ein umstrittener Weg. So geht die Encyklopaedia Britannica Inc. nicht nach Microsofts Prinzip vor. Widersprüchlichkeiten werden in allen Versionen recherchiert, um sich dann für eine Standardversion zu entscheiden. Fakten, die international akzeptabel sind, werden übernommen, abweichende Interpretationen bei Bedarf dargestellt. Im Fall Meucci versus Bell ist Bell der Gewinner. Weltweit.Microsoft-Chef Bill Gates meint, daß es auf lange Sicht hin vernünftig scheint, "die Menschen mit breit gefächerten Ansichten zu konfrontieren. Die Amerikaner profitieren von einem besseren Verständnis der asiatischen und europäischen Sichtweise."Solche Toleranz fördert natürlich auch das Geschäft: Als Technologiekonzern würde Microsoft nichts tun, was den Absatz anderer Produkte aus dem eigenen Haus gefährden könnte. Außerdem sorgt schon das Internet dafür, das verschiedene Versionen bestimmter Inhalte weltweit verbreitet werden. Und doch wird der Druck für eine universell zutreffende Version der Geschichte größer.Übersetzt und gekürzt von Svenja Rothley (Altautos), Karen Wientgen (SAP, Bildung) und Birte Heitmann (Microsoft).

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