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Wirtschaft: „Die Unternehmen werden sich freikaufen“ Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Schartau über Ausbildungsabgabe, Öffnungsklauseln und Erbschaftsteuer

Herr Schartau, die Union will im Vermittlungsausschuss den Flächentarifvertrag aufbrechen. Sie will gesetzliche Öffnungsklauseln einführen, die mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen.

Herr Schartau, die Union will im Vermittlungsausschuss den Flächentarifvertrag aufbrechen. Sie will gesetzliche Öffnungsklauseln einführen, die mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen. Machen Sie da mit?

Die Tarifparteien sind doch schon äußerst flexibel. Regeln zur Beschäftigungssicherung gibt es in fast allen Tarifverträgen. Klar brauchen die Betriebsparteien auf der Unternehmensebene Spielräume. Aber das müssen die Tarifvertragsparteien regeln, nicht die Unternehmer mit ihrer Belegschaft. Dann kann ich das Tarifvertragsgesetz auch sofort in den Müll werfen.

Derzeit verschweigen vor allem die Gewerkschaften schamhaft die vielen illegalen Bündnisse, die auf betrieblicher Ebene schon geschlossen werden.

Das muss sich ändern: Die Gewerkschaften dürfen abweichende Regelungen nicht unter den Teppich kehren. Ich sage: Tut nicht so, als wenn das etwas Schlimmes wäre.

Wolfgang Clement fordert die Tarifpartner auf, längere Arbeitszeiten zuzulassen. Wir könnten den Lebensstandard nur halten, wenn wir uns alle anstrengen, sagt der Wirtschafts- und Arbeitsminister.

Es ist unbenommen, dass wir in einer schwierigen Situation alle die Ärmel hochkrempeln müssen, um in Deutschland voranzukommen. Es kann auch sinnvoll sein, wenn die Mitarbeiter eines Betriebes vorübergehend für das gleiche Geld mehr arbeiten. Übertragen auf die gesamte Volkswirtschaft, ist das aber Schwachsinn. Es macht keinen Sinn, Arbeitszeiten pauschal zu verlängern, um damit die Lohnstückkosten zu verringern. Die deutsche Wirtschaft kann so nicht in die internationale Konkurrenz eintreten. Das ist ein Trugschluss. Aber auch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung bringt nichts.

Zurück zum Vermittlungsausschuss. Wo liegt denn beim Arbeitsmarkt Ihre Schmerzgrenze?

Ich mache der Opposition kein Angebot, wie sie uns am meisten piesacken kann.

Strittig ist, wer in den neuen Job-Centern für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen verantwortlich sein soll: die Kommunen oder die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Arbeitsämtern. Wie wollen Sie da zusammenkommen?

Die Union will den Kommunen die Betreuung der Langzeitarbeitlosen überlassen, die Regierung der Bundesanstalt für Arbeit. Der Mittelweg ist richtig: Die Job-Center müssen bei der Arbeitsverwaltung angesiedelt sein, denn nur sie hat den Überblick über den überregionalen Arbeitsmarkt. Aber die kommunalen Kompetenzen müssen genauso eingebunden werden, wenn es darum geht, Probleme der Langzeitarbeitslosen zu regeln, etwa bei der Kinderbetreuung oder der Schuldnerberatung. Wir müssen deshalb eine Zusammenarbeit von Kommunen und Job-Centern verbindlich regeln.

Kommunen und Arbeitsämter unter einem Dach. Das hört sich doch nach einem prima Kompromiss mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch an?

Auf dieser Ebene können wir uns treffen. Unter den Fachleuten ist das halbwegs klar.

Für seine zusätzlichen finanziellen Belastungen beim neuen Arbeitslosengeld II verlangt der Bund einen höheren Umsatzsteueranteil von den Ländern. Das gefällt Ihnen doch sicher gar nicht?

Im Bundesrat haben wir das als verbesserungswürdig angemahnt. Die augenblickliche Finanzverteilung stimmt noch nicht. Übrigens auch beim Vorschlag der Unions-Länder nicht.

Sie sagen, dass Sie in Nordrhein-Westfalen keine Ausbildungsplatzabgabe brauchen. Haben Sie keine Lehrstellenlücke?

Doch, haben wir. Ende September haben noch 7000 Jugendliche gesucht, 3500 Stellen waren noch offen. Wir haben aber einen Ausbildungskonsens mit der Wirtschaft. Jeder Jugendliche, der ausbildungsfähig und ausbildungswillig ist, bekommt einen Platz in Nordrhein-Westfalen. Ende September schreiben wir alle Jugendlichen an, die noch keine Lehrstelle gefunden haben. Seitdem wird nachvermittelt. Ende Oktober waren immerhin schon 2000 Jugendliche mehr versorgt. Wer bis zum Jahresende keinen Ausbildungsplatz hat, erhält ein Angebot: erst ein Betriebspraktikum, dann entweder eine Ausbildung im Verbund oder eine so genannte partnerschaftliche Ausbildung in Zusammenarbeit von Betrieben mit wirtschaftsnahen außerbetrieblichen Ausbildungszentren. Auf diese Weise können auch Betriebe, die es aus den unterschiedlichsten Gründen nicht schaffen, einen Jugendlichen einzustellen, einen Beitrag zur Ausbildung leisten. Handwerk und Industrie stehen gemeinsam dafür ein, dass es dafür genügend Plätze gibt.

Das hätten Sie doch mal den Genossen auf dem Parteitag in Bochum erzählen können. Die haben sich ja lieber für eine zentrale Ausbildungsabgabe entschieden.

Ein Branchenfonds wird das Ausbildungsproblem nicht lösen. Ob ein Betrieb ausbildet, entscheidet letztlich er selbst. Ein Unternehmen wird sich nicht durch eine Umlage dazu bringen lassen, sondern sich lieber freikaufen. In strukturschwachen Regionen im Osten ist die Abgabe ein riesiges Problem. Wo soll der Staat Geld einziehen, wenn es kaum Betriebe gibt? Wo sollen vor allem die Jugendlichen arbeiten? Ich fürchte, eine Abgabe würde den sofortigen Einstieg in die staatliche Ausbildung bedeuten. Wichtig ist, dass freiwillige Lösungen – wie in NRW – auch weiterhin Vorrang vor gesetzlichen Regelungen haben.

Auf dem Parteitag hat die SPD sich mehrheitlich für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer ausgesprochen. Ist das vernünftig?

Leistung muss in dieser Gesellschaft eine Rolle spielen. Es ist keine Leistung zu erben. Wir dürfen eine Erbschaftsteuer allerdings nicht dazu verwenden, Haushaltslöcher zu stopfen. Wir sollten das Geld lieber investieren, zum Beispiel in Bildung. Mir ist besonders wichtig, dass die Fortführung von Unternehmen nicht gefährdet wird. Wer einen Betrieb von seinem Vater übernimmt, darf sich nicht fürchten, dass die Erbschaftssteuer das Aus für den Betrieb bedeutet.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Alfons Frese.

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