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Wirtschaft: Die Unterschiede zwischen Japan und Euroland

BERLIN / DÜSSELDORF .Japan ist am Mittwoch so tief in die Deflation gestürzt wie niemals zuvor.

BERLIN / DÜSSELDORF .Japan ist am Mittwoch so tief in die Deflation gestürzt wie niemals zuvor.Die Kurzfrist-Zinsen haben sich rekordverdächtig der Marke von null Prozent genähert.Der Tagesgeldsatz der japanischen Notenbank, der bestimmt, wieviel eine Bank für einen kurzfristigen Kredit zu zahlen hat, ist auf das Allzeit-Tief von 0,07 Prozent gefallen.Damit erhoffen die Währungshüter in Tokio eine größere Kreditvergabe, die Investitionen und damit das Wirtschaftswachstum stimulieren sollen.

Derweil hat Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs in Frankfurt (Main), vor japanischen Verhältnissen in Deutschland gewarnt."Wir könnten in eine ähnlich schlimme Situation geraten wie Japan", sagte Mayer der Zeitschrift "Wirtschaftswoche".Die japanischen Politiker hätten zu lange auf die Wirkungen der Geld- und Finanzpolitik vertraut und notwendige Strukturreformen verschleppt.Umfragen zeigen dem Ökonomen zufolge bereits eine abnehmende Investitions- und Beschäftigungsneigung der Firmen."Für den Arbeitsmarkt und die Konjunktur bedeutet das nichts Gutes."

Der wichtige Repo-Satz, den die Europäische Zentralbank festlegt, beträgt in Euroland seit dem Start der Europäischen Währungsunion Anfang Januar unverändert drei Prozent.Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, hatte kürzlich den wiederholten Forderungen nach einer Zinssenkung eine deutliche Absage erteilt.Unter anderen hatte Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (SPD) in der Vergangenheit immer wieder niedrigere Zinsen gewünscht.

Hintergrund für eine Politik des billigeren Geldes ist die Furcht vor einer Deflation wie in Japan.Eine solche Phase der Stagnation würde durch ständig fallende Preise ausgelöst, so daß niemand geneigt ist, heute zu konsumieren und zu investieren, weil das morgen preiswerter wäre.Die Inflationsrate in Deutschland beträgt gegenwärtig im Jahresvergleich knapp ein Prozent.

Ganz Europa steht näher an einer Deflation als je nach dem Zweiten Weltkrieg.Das aber ist der Preis der erlangten Preisniveaustabilität, die zwischen Inflation und Deflation angesiedelt ist.Aber selbst wenn in den kommenden Monaten das Preisniveau kurzfristig absolut fiele und Euroland zeitweise von der Nullinflation in die Deflation rutschte: Das wirtschaftliche Wachstum müßte darunter nicht leiden.Denn der Blick in die Wirtschaftsgeschichte lehrt: Nicht jede Deflation ist schädlich.Nach der Gründerkrise Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erlebte das Deutsche Reich einen langanhaltenden Verfall des Preisniveaus - bei einem gleichzeitigen Wachstum des Bruttoinlandprodukts von durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr, ähnlich wie seinerzeit in den Vereinigten Staaten.Der Grund für diese "Große Deflation" ist in der steigenden Produktivität zu suchen, in der sich kräftigenden Industrialisierung, welche die Güter auf breiter Front verbilligte und so das Preisniveau drückte.

Analoges läßt sich auch für das Ende dieses Jahrhunderts annehmen: Die Computerrevolution hat die Produktivität in den Unternehmen erhöht, die Deregulierung etwa der Post- und Telekommunikationsmärkte die Wettbewerbsintensität erhöht und das Preisniveau gedrückt.Derartige desinflationäre Impulse sind realwirtschaftlich begründet und gefährden das Wachstum nicht, selbst wenn sie sich zu einer temporär maßvollen Deflation ausweiten sollten.

Erst wenn ein absoluter Preisverfall mit einem Verfall der Nachfrage einhergeht, kann sich eine Deflation zur wirtschaftlichen Depression ausweiten.In Japan ist das eingetreten - als Folge einer zunächst monetär aufgeblasenen und dann platzenden Blase an den Finanz- und Immobilienmärkten.

Doch im Euroland ist eine solche Entwicklung nicht abzusehen.Die Menge des umlaufenden Geldes ist gerade wieder - wenn auch leicht - über die Zielvorgabe hinausgewachsen.Zudem stellt sich die wirtschaftliche Lage in den großen Euroländern unterschiedlich dar: Frankreich, Spanien und die Niederlande stehen konjunkturell deutlich besser da als Deutschland und Italien.Wim Duisenberg und die Europäische Zentralbank müssen sich aber am Durchschnitt orientieren.

Für die Währungshüter kommt es jetzt darauf an, Ruhe zu bewahren, damit sich die Unternehmen und die Verbraucher an den ungewohnten Zustand der Preisstabilität gewöhnen.Das schließt nicht aus, daß die Notenbanker in den kommenden Monaten die Geldzinssätze vorsichtig senken wird.Eine hektisch-expansive Geldpolitik aber würde den Prozeß der Anpassung an die Preisstabilität jedoch nur stören - und mittelfristig in die alten Fehler der 70er Jahre zurückfallen.

PATRICK WELTER (HB)

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