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Wirtschaft: "Die Zeit ist reif für Estland"

Rund 500 deutsche Firmen sind in dem baltischen Land vertretenVON ROLF OBERTREIS, TALLINFranz Bartels versteht es nicht."Estland und die baltischen Staaten überhaupt stehen nicht im Fokus deutscher Unternehmen.

Rund 500 deutsche Firmen sind in dem baltischen Land vertretenVON ROLF OBERTREIS, TALLIN

Franz Bartels versteht es nicht."Estland und die baltischen Staaten überhaupt stehen nicht im Fokus deutscher Unternehmen.Das ist ein Fehler." Bartels hat als Chef der mittelständischen Maschinenbaufirma Clyde Bergemann aus dem westfälischen Wesel den Schritt nach Estland gewagt."Das Land wird künftig eine wichtige Brückenfunktion haben." Heute schon schätzt er die günstigen Löhne, die gut ausgebildeten Menschen, die Flexibilität seiner Mitarbeiter und die gute Infrastruktur."Die Zeit ist reif für Estland", sagt auch Ralf-Georg Tischer, Leiter der Repräsentanz der deutschen Wirtschaft in der estnischen Hauptstadt Tallinn.Nicht einmal zwei Prozent des zwischen 1992 und 1996 nach Estland geflossenen Auslandskapitals kommen aus Deutschland.Finnen, Schweden und Dänen bestimmen das Bild.Doch immerhin rund 500 deutsche Firmen sind derzeit in Estland aktiv, ganz überwiegend Mittelständler.Von den größeren sind nur die Ruhrgas und Dynamit Nobel im Land.Dabei befindet sich Estland im Aufbruch.Überall in Tallinn wird gebaut, der alte Stadtkern ist eine einzige Baustelle.Seit einem Jahr gibt es eine Börse, sie hat sich schon jetzt besser entwickelt als die älteren Börsen in der lettischen Hauptstadt Riga und der litauischen Hauptstadt Vilnius."Wir haben hier den dynamischsten Markt", sagt Börsenchef Ivar Lukk. Franz Bartels hat bislang fast uneingeschränkt gute Erfahrungen gemacht.Ohne das Joint-venture in Tallinn hätte man das Stammwerk im westfälischen Wesel dichtmachen müssen, sagt er.90 Leute arbeiten unter der Regie eines estnischen Direktors in Tallinn.40 Stunden in der Woche bei 28 Urlaubstagen fertigen sie Reinigungsanlagen für Kraftwerkskessel.Natürlich sind für Bartels die günstigen Lohnkosten ein wichtiges Argument: Bei 372 DM lag 1996 der durchschnittliche Monatslohn.Facharbeiter können bis zu 1000 DM verdienen, zum Beispiel bei Bergemann.Dort schätzt man auch die hohe Flexibilität der Esten, ihr Qualitätsbewußtsein und die gute Ausbildung.Dazu kommt die "liberalste" Gesetzgebung Europas, wie Bartels und Tischer betonen und eine als "mustergültig" geltende Reformpolitik."Hier", sagt Tischer, "wird unternehmerisches Engagement noch belohnt." Daß bei diesen lobenden Worten Finanzminister Mart Opmann nicht zurückstehen will, ist klar.Schließlich hat auch Estland das Ziel, irgendwann zur EU zu gehören.Viele Zahlen geben Anlaß zu Optimismus.Estland hat 1994 die Wende geschafft, seitdem wächst die Wirtschaft in Jahresraten von über vier Prozent.Nachdem die Inflationsrate 1992 noch bei rund 1000 Prozent lag, werden für dieses Jahr nur noch 15 bis 18 Prozent erwartet.Die Währung ist stabil und im Verhältnis 8:1 an die D-Mark gebunden.Weil die Verfassung ein Defizit im Staatshaushalt verbietet und weder Zentralbank noch Regierung ein Mandat haben, aktive Geldpolitik zu betreiben, gab es in den letzten Jahren sogar leichte Etatüberschüsse.Die Auslandsschulden des kleinen Landes mit seinen knapp 1,5 Millionen Einwohnern liegen deshalb bei nur 216 Mill.Dollar."Mit Blick auf das Etatdefizit und die Verschuldung erfüllen wir bereits die Maastricht-Kriterien", frohlockt der Finanzminister.Die rigiden Haushaltsvorgaben haben freilich ihre Folgen: Als Arbeitslosengeld und Sozialhilfe werden nur etwa 45 DM gezahlt. Auch wenn Estland auf gutem Weg ist, die Streêke hin zu einem Industriestaat nach westlichem Muster ist noch weit.Deutsche Manager verweisen auf den sehr kleinen Inlandsmarkt, auf das fehlende Freihandelsabkommen mit Rußland.Estland wird auch auf Dauer kein Billiglohnland bleiben.Die Preise liegen heute schon fast auf Westniveau, angesichts des starren Wechselkurses sind Abfederungen der Kosten auf diesem Weg kaum drin.Bei Clyde-Bergemann wurden die Löhne 1996 zwei Mal erhöht.Dazu kommen die Sozialabgaben in Höhe von 33 Prozent des Bruttolohnes.Trotzdem überwiegt die Zuversicht.Als Investition auf Zeit versteht Unternehmenschef Bartels die Investition in Estland jedenfalls nicht.Daß es in dem kleinen Land - etwa so groß wie Niedersachsen - weiter aufwärts geht, glauben auch die Fonds-Manager des Deutschen Investment-Trustes (DIT), der Fondstochter der Dresdner Bank.Im DIT-Nordeuropa-Fonds finden sich auch Aktien estnischer Unternehmen.Auch deshalb hat der Fonds seit Anfang November 1996 wertmäßig um gut 30 Prozent zugelegt.

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