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Roland Busch will das Geschäft mit Brief- und Paketsortierung verkaufen, weil es nicht ins Portfolio passt. Auch ein Börsengang wie bei Osram ist denkbar. Foto: Siemens

© Siemens AG

Wirtschaft: „Die Züge haben alle Bremsentests bestanden“

Bei Problemen kann die Bahn rund um die Uhr auf unsere Hotline zugreifen“ Wir nutzen die Vorteile beider Unternehmen und schauen, wo es Dopplungen gibt“ Siemens-Infrastruktur-Vorstand Roland Busch über die gestoppten ICEs, das Eisenbahn-Bundesamt und die Milliardenübernahme in Großbritannien.

Herr Busch, Siemens hat gerade ein Sparprogramm angekündigt, das binnen zwei Jahren sechs Milliarden Euro bringen soll. Wie passt die Übernahme von Invensys dazu? Sie soll schließlich mehr als zwei Milliarden Euro kosten.

Unser Programm „Siemens 2014“ hat mehrere Hebel, die man nicht vermischen darf. Wir wollen Kosten einsparen, aber wir wollen auch unser Portfolio schärfen und in den Kerngeschäften mit dem größten Potenzial wachsen. Das Bahnautomatisierungsgeschäft von Invensys schauen wir uns seit zehn Jahren an. Es ist ein attraktives Unternehmen in einem attraktiven Markt. Dass wir seit langem großes Interesse haben, das war völlig klar.

Der Aktienkurs von Invensys hat seit Bekanntgabe des Vorhabens um ein Drittel zugelegt. Er liegt damit 70 Prozent über dem Jahrestief. Bieten Sie zu viel?

Der Kaufpreis basiert auf einem Geschäftsplan von Invensys. Wir haben uns diesen Plan, das Synergiepotenzial und den Auftragsbestand genau angesehen. Daraus ergibt sich der Betrag, den wir bieten.

Wie erzielen Sie die Synergien von 100 Millionen Euro, die bis 2018 erreicht werden sollen? Können Sie Beispiele geben?

Zwei Drittel davon schaffen wir schon bis 2016. Am meisten erreichen wir durch gemeinsame Beschaffung, hinzu kommt die Bereinigung des Portfolios. Wir gewinnen auch gegenseitig Zugang zu neuen Kunden. Und in Bereichen, in denen beide Unternehmen sich überlappen, werden wir die Dinge zusammenführen und konzentrieren.

Die Bereinigung des Portfolios wird Stellen kosten – eher bei Invensys oder eher bei Siemens?

Wir nutzen die Vorteile beider Unternehmen und schauen uns genau an, wo es Dopplungen gibt. Mehr kann ich zu diesem frühen Zeitpunkt nicht sagen.

Was bedeutet diese Übernahme für den Siemens-Standort Deutschland?

Invensys spielt auf unserem Heimatmarkt bisher keine wesentliche Rolle. Deshalb sehe ich aus heutiger Sicht zunächst keine größeren Auswirkungen.

Warum trennen Sie sich von dem Geschäft der Brief- und Paketsortierung, die doch gut läuft?

Richtig, das ist ein sehr gutes Geschäft, aber es passt nicht optimal in das breite Portfolio des Sektors Infrastruktur und Städte. Wir sind zwar bei der Brief- und Paketsortierung einer der ganz großen Spieler, aber es gibt wenige Synergien mit anderen unserer Geschäfte, keine technologische Alleinstellung und nur eine geringe Wertschöpfungstiefe. Deshalb ist dieses Geschäft anderswo sicher besser aufgehoben als bei uns selbst, um sich weiterzuentwickeln.

Das gilt auch in Zeiten des boomenden Onlinehandels?

Ja. Und nochmal: Es ist kein schlechtes Geschäft. Aber ein anderer Eigentümer kann dafür ein besseres Umfeld bieten und den Wert besser steigern als wir.

Warum wählen Sie nicht wie bei Osram den Weg eines Börsengangs?

Wir haben uns gerade erst für die Trennung entschieden. Jetzt schauen wir uns alle denkbaren Käufergruppen an. Wir diskutieren alle Verkaufsszenarien und nehmen keine Option vom Tisch, auch nicht einen IPO. Wir suchen eine gute Lösung für unsere Kunden und Mitarbeiter.

Beide Transaktionen sind Teil Ihres Portfolio-Managements, sagen Sie. Aber wie sicher können Sie sein, dass es diesmal besser funktioniert als beim Kauf der israelischen Solarfirma Solel vor einem Jahr für gut 280 Millionen Euro? Inzwischen verabschiedet sich Siemens komplett aus dieser Branche.

Wir erleben auf dem Markt für Solarenergie einen tiefgreifenden Wandel, der nicht absehbar war und der uns zu schmerzhaften Konsequenzen zwingt. Aber bei Invensys sieht das ganz anders aus: Die Bahnautomatisierung ist ein langzyklischer, profitabler, stabil wachsender Markt ohne große Schwankungen. Manche Produkte verkaufen wir schon seit 30 Jahren. Und Subventionen spielen keine Rolle.

Aber meistens ist der Staat der Auftraggeber, und die Budgets sind derzeit knapp.

Die Ausgaben für Schienenverkehr steigen weltweit stetig. Und wenn es mal hier oder da konjunkturell hakt: Wir sind global aufgestellt und finden unsere Wachstumsmärkte.

Siemens musste die Auslieferung von acht ICE-Zügen auf unbestimmte Zeit verschieben. Sollten Sie nicht erst mal dieses gravierende Problem in Ordnung bringen, bevor Sie Ihr Portfolio erweitern?

Das betrifft zwei unterschiedliche Divisionen meines Sektors und damit auch ein komplett unterschiedliches Management.

Das Problem bei den ICE liegt in der Software der Bremsen. Auch Invensys ist ein softwaregetriebenes Unternehmen. Setzen Sie sich nicht auch dort Risiken aus?

Nein. Das Geschäft mit Software ist für uns essentiell. Wir haben auch nicht generell Probleme mit Software. Die Velaro-Züge sind inzwischen unter anderem in Spanien, China und Russland 3,3 Milliarden Betriebskilometer gelaufen, ohne nennenswerte technische Probleme.

Warum haben Sie denn da keine Probleme und hier schon?

Die Velaro D der Deutschen Bahn sollen in ganz Europa fahren und haben deswegen vier verschiedene Stromsysteme. Hinzu kommt: Wir haben in Deutschland besondere Anforderungen bei der Zulassung, die uns Sorgen machen.

Also in Spanien dürfen die Züge getrost 70 Meter später bremsen als hier?

Diese Aussagen, die zu den Bremsen durch die Medien geistern, sind absolut irreführend! Lassen Sie mich das klarstellen: Die Züge haben alle Bremsentests bestanden und zwar auch nach den neuen Regeln, die erst nach Produktionsbeginn erlassen wurden.

Warum können Sie die Züge dann nicht ausliefern?

Wir bedauern die neuerliche Verzögerung sehr. Sowohl die Deutsche Bahn als auch wir haben erwartet, dass wir die Zulassung rechtzeitig kriegen – trotz eines engen Zeitplans. Warum das nicht geklappt hat, ist noch nicht in allen Details klar. Das werden wir jetzt in einem Abschlussgespräch mit den Gutachtern und dem Eisenbahn-Bundesamt klären und dann sofort an die Arbeit gehen, um die Probleme zu beheben.

Wie helfen Sie der Deutschen Bahn, die Situation zu meistern?

Siemens lässt die Kunden der Deutschen Bahn nicht im Stich! Wir mobilisieren alle Kräfte, damit die Deutsche Bahn gut durch den Winter kommt. Wir haben zehn Service-Manager als zentrale Ansprechpartner benannt und stellen 100 Service-Techniker auf Abruf bereit. Bei Problemen kann die Deutsche Bahn rund um die Uhr auf unsere Hotline zugreifen. Wir tun alles, um die Deutsche Bahn zu unterstützen.

Ersatzzüge gehören nicht dazu?

Wir haben das besprochen. Aber die beste Lösung ist es, die bestehende Flotte der Deutschen Bahn von rund 250 ICE auch im Winter im Einsatz zu halten.

„Was ist ein Siemens-Konzern wert, der die Technologie für Großprojekte nicht beherrscht?“ Diese Frage stellte die FAZ. Was antworten Sie?

Tausende von Siemens-Zügen fahren in mehr als 40 Ländern und befördern pro Jahr mehr als eine Milliarde Menschen. Wir beherrschen diese Technologie! Aber Sie müssen verstehen, dass die Dinge in Europa komplex sind. In Belgien beispielsweise gibt es auf einer Strecke drei verschiedene Systeme. In Deutschland haben wir ein Zulassungssystem, über das wir uns dringend unterhalten müssen.

Das Eisenbahn-Bundesamt ist schuld?

Nein. Ich beteilige mich nicht an der Schelte. Ich sehe auch bei uns Verbesserungspotenziale, aber die Zulassung in Deutschland ist ein Prozess, mit dem nicht nur wir Probleme haben. Ein anderer Hersteller ...

... Sie meinen Bombardier.

... wird ebenfalls nicht pünktlich liefern. Von asiatischen Mitbewerbern ist zu lesen, dass sie wegen der Zulassungsanforderungen nicht in unseren Markt einsteigen.

Auch der neue Flughafen BER ist ein problematisches Großprojekt, an dem Siemens beteiligt ist. Wie beurteilen Sie die aktuellen Lösungsversuche?

Ich kann nichts über Gewerke sagen, für die wir nicht verantwortlich sind. Bis heute haben wir keine vollständigen und endgültigen Planungsunterlagen in der notwendigen Qualität erhalten. Wir wissen in manchen Bereichen immer noch nicht abschließend, was eigentlich zu bauen ist. Die bisher möglichen Arbeiten hat Siemens erledigt. Ich kann keinerlei Aussagen darüber machen, wann wir dies abschließen können, solange die weithin bekannten Voraussetzungen nicht gegeben sind.

Ist der Eröffnungstermin im Herbst 2013 gefährdet?

Ich werde mich nicht an Spekulationen beteiligen. Wir haben schon Mitte Mai auch öffentlich darauf hingewiesen, dass die Übermittlung aller erforderlichen Planungsunterlagen Voraussetzung für die Einhaltung von Terminen ist. Das gilt natürlich unverändert.

Was kann man aus dem Debakel lernen? Solche Projekte gehören schließlich zum Kern Ihres Infrastrukturgeschäfts.

Die meisten Probleme gehen auf Fehler in der Anfangsphase von Projekten zurück. Falsche Entscheidungen zu Beginn holen den Auftraggeber immer wieder ein. Besonders am Anfang ist Kompetenz gefragt und kommt es auf die richtigen Weichenstellungen für ein Projekt an.

Das Interview führte Moritz Döbler.

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