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Ein Korb für den Vorsitzenden. Der neue DGB-Chef Reiner Hoffmann (r.) scheiterte bei dem Versuch, ein vertrauliches Treffen der zerstrittenen Gewerkschaftsbosse zu organisieren. Verdi-Chef Frank Bsirske hatte sich mit der IG Metall angelegt.

© picture alliance / dpa

Streit zwischen Verdi und IG Metall: Droht der DGB auseinanderzubrechen?

Die beiden Gewerkschaftsvorsitzenden von IG Metall und Verdi, Detlef Wetzel und Frank Bsirske, sind die Protagonisten des Streits an der DGB-Spitze. Wie so oft geht es um Einfluss und Macht.

Das wird ein prickelnder Abend. Kommenden Montag treffen sich die Vorsitzenden der acht DGB-Gewerkschaften in einer Villa an der Heerstraße, wo die IG Bergbau, Chemie, Energie ihren Berliner Sitz hat. Zum Abendessen vor der DGB-Vorstandssitzung am Dienstag lädt diesmal IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis die Kollegen ein. Ganz wichtig ist die Sitzordnung. Dem Vernehmen nach sollten die Frauen in der Runde, Marlis Tepe von der GEW und Michaela Rosenberg von der NGG, beide ohne Krawallallüren, zwischen den Rabauken platziert werden. Denn der Zoff ist groß im Dachverband, von Verrat ist die Rede. Und von einem möglichen Auseinanderbrechen des DGB.

Frank Bsirske hatte ein gute Idee: Er lud den Kollegen Detlef Wetzel zu einer gemeinsamen Vorstandssitzung von Verdi und IG Metall ein. Das gab es noch nicht und war gedacht als friedensstiftende Maßnahme in diesen düsteren Novembertagen. Wetzel sagte ab. Auch ein paar andere Termine, zu denen der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann die Streitenden an einen Tisch holen wollte, sagte Wetzel ab. „Es gibt keine Gesprächsgrundlage“, heißt es in der IG-Metall-Zentrale. So ein anmaßendes, aggressives und zerstörerisches Verhalten habe man noch nie erlebt. Gemeint ist Bsirske. Der hat, so wird jedenfalls in seinem Umfeld argumentiert, die IG Metall mit deren eigenen Methoden geschlagen.

Wie so oft im Leben geht es um Einfluss und Macht. Welcher Betrieb gehört welcher Gewerkschaft, wer darf für wen Tarifverträge abschließen? Die IG Metall hat Verdi im Osten ein paar Logistikunternehmen abgejagt, äußerst aggressiv, wie Bsirske meint. Als die IG Metall dann auch noch in Bremen bei Stute Logistics einen Tarifvertrag durchsetzte, obwohl Verdi dort die Tarifhoheit hatte, schlug Bsirske zurück. Er wartete, bis der IG-Metall-Tarif rechtsgültig war und damit die IG Metall in der Friedenspflicht, und schloss dann selbst einen Vertrag mit etwas besseren Konditionen für die Beschäftigten. Wetzel fiel vom Stuhl.

Detlef Wetzel führt die IG Metall.

© imago/Reiner Zensen

Streit mit der IG Metall ist schwerer zu lösen

Ähnlich erging es dem Kollegen Vassiliadis, als Verdi in einem Betrieb der ostdeutschen Wasserwirtschaft einen Tarifvertrag abschloss, obwohl dort seit Jahren die IG BCE die Tarife macht. „Das hat es noch nie gegeben“, schimpfte Vassiliadis. In Wahrheit war er nicht überrascht über das Vorgehen Bsirskes. Vassiliadis’ Vorgänger Hubertus Schmoldt nämlich hat vor fünf Jahren mit Bsirske vereinbart, dass die Betriebe und Beschäftigten der Wasserwirtschaft Ost ab 2014 von Verdi vertreten werden. Vassiliadis versucht nun aus der Nummer rauszukommen – es geht um einige tausend Beschäftigte –, indem er juristisch argumentiert: Schmoldts verstoße gegen die IG-BCE-Satzung. Die Sache ist verwickelt, aber man hat sich auf einen Ausweg verständigt: In einer Arbeitsgruppe klären Verdi und IG BCE, wer die besseren Tarife für die Wasserwerker hat. Und der Bessere soll gewinnen.

Der Streit mit der IG Metall ist schwerer zu lösen. „Die beiden unterschätzen die Dynamik aus lokalen Organisationsstreitigkeiten“, sagt ein Kenner der Szene und der beiden Kontrahenten. Das ist erstaunlich, denn Bsirske und Wetzel sind erfahrene Strategen, die keinen Tarifkonflikt beginnen, ohne eine Vorstellung von der Lösung zu haben. Und zum erfolgreichen Tarifstrategen gehört eben auch, sich klar zu sein über Empfindlichkeiten und mögliche Dynamiken auf der anderen Seite.

Die Organisationen sind grundverschieden. Bei der IG Metall lästert man gern über die „Bewegungsgewerkschaft“ Verdi, die aufgrund ihrer Schwäche soziale Bündnisse mit allen möglichen Gruppen eingehe, um überhaupt Durchsetzungskraft zu bekommen. Zum Beispiel Mindestlohn: Für anständige Tarife hat Verdi in vielen Branchen zu wenig Mitglieder und deshalb ersatzweise den gesetzlichen Mindestlohn durchgesetzt. Die IG Metall hingegen leitet ihre Kraft nicht aus der Gesellschaft, sondern aus den Betrieben ab: Viele Mitglieder im Betrieb ermöglichen gute Tarifverträge. Gute Tarife machen die Gewerkschaft attraktiv und am Ende auch einflussreich.

Hoffnung auf vorweihnachtlichen Frieden

Wetzel führt eine Organisation mit 2,3 Millionen Mitgliedern, hinter Bsirske stehen gut zwei Millionen. Den leichteren Job hat Wetzel. Die IG Metall steckt voller Stolz und Tradition und hat auf allen Ebenen – Vorstand, Bezirke, Verwaltungsstellen – erstklassige Leute. Das Vermögen wird auf drei Milliarden Euro geschätzt. Bsirske, in der ÖTV groß geworden, ist der erste Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, zu der sich 2001 vier DGB-Gewerkschaften und die DAG zusammenschlossen. Bis heute ist der Haufen bunt und die Struktur – eine Matrix aus Landesbezirken und Fachbereichen – kompliziert. Das Vermögen ist unter eine Milliarde Euro geschrumpft. Bsirske hält den Laden zusammen, aber der Laden tanzt nicht nach seiner Pfeife, wie das Thema Tarifeinheit zeigt.

Bsirske persönlich ist für ein Gesetz, das den Wettbewerb von Gewerkschaften um die gleiche Beschäftigtengruppe in einem Betrieb erschwert oder sogar ausschließt. Seine eigene Basis aber befürchtet einen Eingriff ins Streikrecht und pfiff ihn zurück. Jetzt muss Bsirske dagegen sein. Aber wie? Am 16. November verständigten sich die Vorsitzenden der acht DGB-Gewerkschaften auf eine gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzentwurf über die Tarifeinheit: Der DGB ist dafür, fordert aber Änderungen, und drei DGB-Gewerkschaften (Verdi, NGG und GEW) sind dagegen. Von einer Unterschriftenaktion, die Verdi dann drei Tage später gegen das Gesetz begann, war keine Rede. Manche nennen das Sauerei, andere Verrat am DGB. Aber alle hoffen auf vorweihnachtlichen Frieden. Und auf DGB-Chef Hoffmann, dessen Integrität und Integrationskraft sowohl Wetzel als auch Bsirske schätzen und der noch „zu ein paar Camp-David-Treffen einladen wird“, wie es im DGB heißt. Das erste ist Montagabend.

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