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Wirtschaft: Durst auf teure Tropfen

Der Terrorschock ist überwunden, die Amerikaner trinken wieder Champagner – Nobelmarken präsentieren neue Kostbarkeiten

Von Deborah Ball

und Isabella Lisk

Als Roberta Morrell im Herbst die Bestellungen für ihr Weingeschäft in Manhattan aufgab, dachte sie nicht, dass gegenüber dem Vorjahr überhaupt eine Steigerung drin sein würde. Doch als es auf Weihnachten zuging, kam sie mit dem Nachschub von Champagner kaum hinterher. Nicht nur, dass ihre Kunden überraschend viele Flaschen kauften. Es dürstete ihnen auch nach erstaunlich teuren Tropfen.

Von den bestellten 360 Flaschen Louis Roederer Christal, die jeweils 175 Dollar kosten, wird zum Neujahrsfest wohl keine mehr zu haben sein. Auch den Verkauf der 115 Dollar teuren Dom-Perignon-Flaschen wird Frau Morrell von 1100 Stück im vergangenen Jahr auf 1500 Stück steigern können. Insgesamt rechnet sie bei Champagner mit einer Verdoppelung des Umsatzes gegenüber der letzten Weihnachtssaison. „Die Leute sind fast überschwänglich“, sagt Frau Morrell. „Die haben die ganze Depression satt.“

Wie es aussieht, sind die Sektgetränke fast überall auf dem Vormarsch. Nach zwei trockenen Jahren kam die Branche mit neuem Schwung die Weihnachtssaison. Vor allem in den USA, Europa und Asien – besonders in Japan – knallen die Korken wieder häufiger. Noch im Jahr 2000 konnten die Händler in Champagner-Seen baden, nachdem sie sich über die Nachfrage für das Millennium-Silvester verschätzt hatten. Den Überschuss wurden sie auch im letzten Jahr nicht los, nicht zuletzt, weil Amerika nach dem 11. September nicht zum Feiern zu Mute war.

Großhändler und Weinkellereien mussten zusehen, wie die Geschäfte ihre Bestände mit massiven Preissenkungen unter das Volk brachten. Zudem drängten preiswertere Schaumweine aus Australien, Kalifornien und Spanien auf den Markt und machten zunichte, was die großen Champagner-Häuser den Kunden seit mehr als einem Jahrzehnt eingeimpft haben: dass er mit teureren Marken besser bedient sei.

Die diesjährigen Weihnachtsferien brachten die Wende: Lieferungen nach Großbritannien legten gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent zu, in die USA sogar um 30 Prozent. Mit Ausnahme von Deutschland und der Schweiz stieg die Sektlaune auch auf dem europäischen Festland. Laut der Vereinigung der Champagner-Produzenten soll der Absatz in diesem Jahr um sieben Prozent auf 280 Millionen Flaschen anwachsen.

Im Gegensatz zu den Deutschen, die als ehemals zweitgrößte Importeure von den USA überholt worden sind, bleiben die Briten dem Champagner treu und sind mit Abstand die größten Abnehmer. Britischen Händlern ist es gelungen, den Konsum des kostbaren Getränks weit über das Anstoßen zu Neujahr hinaus zu etablieren. Inzwischen gilt Champagner auf der Insel als zeitloser Cocktail und passende Begleitung zum Essen. Auch Weihnachten 2002 lag ganz in diesem Trend. Im Hilton Hotel in London wurden doppelt so viele Weihnachtsfeiern wie im letzten Jahr gebucht. Selbst Tesco, die größte britische Supermarkt-Kette, hielt für die Weihnachtsferien mehr Schampus bereit als einst beim Millennium.

Für die großen Champagner-Produzenten kommt dies wie gerufen. Zwischen Oktober und Dezember fahren sie 40 Prozent ihres Jahresumsatzes ein. Früher konnten sie die Preise nach Belieben festlegen, doch in letzter Zeit müssen sie mit der steigenden Qualität anderer Wein-Produkte konkurrieren.

Die Antwort der großen Häuser bestand darin, ihre führenden Marken in das Licht edelster Kostbarkeiten zu rücken, die nun einmal ihren Preis haben. Große Anstrengungen steckte man auch in neue Verpackungen und Werbekampagnen. Gerade die Jüngeren sollten bei Champagner künftig an mehr denken, als an das Getränk vom Neujahrsempfang ihrer Eltern. Die wohl erfolgreichste Innovation kam aus dem Hause Pommery und nennt sich Pop. Dahinter steckt eine leuchtend blaue Champagner-Mini-Flasche samt Strohhalm, die Partygänger auch auf die Tanzfläche mitnehmen können.

Schnell folgten Piper Heidsieck, Moet & Chandon und andere mit ihren eigenen Taschen-Versionen, die heute aus den Edelbars und Modeschauen kaum wegzudenken sind. „Der Kunde muss glauben, dass sich mit der Marke etwas besonderes verbindet“, sagt David Scotland, Leiter der Wein-Sparte beim Getränkehersteller Allied Domecq PLC. „Beim Champagner geht es darum, wo und wie man gesehen wird." Bei der diesjährigen Erholung der Branche nutzen die großen Häuser wieder neue Wege der Vermarktung. Zum Renner wurden Geschenkboxen mit Mini-Flaschen, die es jetzt in vielen Weingeschäften gibt. Und Pommery hat den italienischen Designer Maurizio Galante beauftragt, für den Taschen-Champagner Pop einen Sektkühler in Form einer winzigen Daunenjacke zu kreieren.

Auch wenn sich die Weihnachtssaison für die Branche versöhnlich zeigt, über die Entwicklung im nächsten Jahr wagt kaum jemand eine Prognose. „Wenn die Amerikaner in den Krieg ziehen, wird es jeder merken“, meint Marc Sibard, Inhaber des Pariser Weingeschäfts Auge. „Krieg und Champagner passen nicht zusammen.“

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Griechenland), Christian Frobenius (Monti, Soros) und Tina Specht (Champagner) und Svenja Weidenfeld (Anzüge).

Deborah Ball, Isabella Lisk

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