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Editorial: Lange Nächte, große Chancen

Die Welt hat früher an Berlin geglaubt als Berlin an sich selbst. Von überall her sind die Gründer gekommen, verkrachte Programmierer und Bummelstudenten, Genies und digitale Bohemiens.

Die Welt hat früher an Berlin geglaubt als Berlin an sich selbst. Von überall her sind die Gründer gekommen, verkrachte Programmierer und Bummelstudenten, Genies und digitale Bohemiens. Im Gepäck hatten sie unendlich viele Ideen, angezogen hat sie, dass Berlin spannend war – und billig. Von einer Berliner Wirtschaft mochte damals niemand wirklich sprechen: kaum Industrie, sehr kleinteilig und noch immer der Subventionsmentalität verhaftet.

Das ist nur ein paar Jahre her; es hat sich viel geändert. Aus der bunten Nerds-Truppe ist ein echter Wirtschaftsfaktor für die Stadt geworden, zu den Ideen gesellt sich inzwischen Geld, und die Berliner Wirtschaft hat auch dank dieser Entwicklung alle Miesepetrigkeit hinter sich gelassen. Die Lange Nacht der Start-ups feiert diesen noch vergleichsweise neuen Berliner Stolz auf Unternehmertum und natürlich all diese wunderbaren Geschäftsideen.

Nur: Es reicht nicht, dass sich Minister, Bürgermeister und Senatoren nur zu gerne für ein hübsches Foto mit Jungunternehmern in den fünften Stock eines Kreuzberger Hinterhofs quälen. Auch Helmut Kohl hat sich einst gerne mit Lars Windhorst gezeigt, aber gebracht hat das, wenn überhaupt, nur den beiden etwas. Und es reicht auch nicht, gute Ideen zu haben, Geldgeber zu finden und einen perfekten Exit hinzulegen – für die Stadt und ihre Menschen reicht es jedenfalls nicht. Aus der Langen Nacht muss eine Ära werden. Der Begriff der Gründerzeit trifft es nicht oder nicht mehr, das Internet hat Wirtschaft und Gesellschaft längst tiefgreifend verändert. Deswegen ließ sich ja so herzlich lachen über Angela Merkels Wort vom Neuland.

Berlin muss sich stattdessen die Frage beantworten, wie es gelingt, den Hype, die Posen zu überwinden und vom Wandel dauerhaft zu profitieren. Die Hauptstadt hat die Chance, die Wirtschaftskraft zurückzugewinnen, die sie einst, vor den Kriegen und der Teilung, hatte. Aber das nächste Facebook kommt nur dann aus Berlin, wenn die Stadt dauerhaft beste Bedingungen bietet, trotz ihrer Überschuldung und auch noch nach dem nächsten Börsencrash. Da spielen Finanzierungen – staatliche und private – eine wichtige Rolle, aber auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Netzwerke aus alter und neuer Wirtschaft und der unbedingte Wille der Politik, diese Stadt zu einem rundum anziehenden Ort zu machen. Noch lohnen sich Bildungsreisen ins Silicon Valley, aber wenn es gut läuft, kann es schon bald viel nützlicher sein, in Berlin gut verdrahtet zu sein. Moritz Döbler

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