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Wirtschaft: Ehrenamtlich – aber mit Rendite

Prognos hat im Auftrag des Finanzministeriums ein Konzept erarbeitet, wie der Staat soziales Engagement der Bürger fördern kann

Berlin – Mit einer neuen Form steuerbegünstigter Investmentfonds soll der Bund in Zukunft freiwilliges Engagement von Bürgern fördern und sie so für Aufgaben motivieren, die der Staat aus Geldmangel nicht mehr finanzieren kann. Das ist die Empfehlung einer bislang unveröffentlichten Prognos-Studie für das Bundesfinanzministerium, die dem Tagesspiegel am Sonntag vorliegt. Durch diese neuen Fonds würden rund 3,2 Milliarden Euro von den Deutschen zusammenkommen, mit denen Projekte im Kultur-, Gesundheits- oder Sozialbereich gefördert werden könnten, erwarten die Forscher. Das Bundesfinanzministerium prüft nach Angaben einer Sprecherin derzeit, ob eine solche Idee umsetzbar ist.

Der Staat müsse in den kommenden Jahren seine Leistungen zurückfahren und sich aus immer mehr Versorgungsbereichen zurückziehen, heißt es in der Studie des Schweizer Instituts. Schuld daran seien Globalisierung und demografischer Wandel. „Kinderbetreuung, Feuerwehr, Erwachsenenbildung, Naturschutz – beispielsweise diese Bereiche, die jetzt noch vom Geld des Staates leben, müssen mit starken Kürzungen rechnen“, sagt Kai Gramke, Projektleiter der Studie. Freiwillige Arbeit von Bürgern könne den Staat ersetzen. Beispiel: Essen auf Rädern rechnet sich ohne Zuschüsse eines Tages auf dem Land nicht mehr, die Kunden müssten astronomisch hohe Preise bezahlen. „Hier könnten Bürger einspringen und den Dienst auf ehrenamtlicher Basis übernehmen“, sagt Gramke. Bislang scheitere so etwas oft daran, dass für den mobilen Essensservice ein Auto angeschafft werden müsste – dafür aber fehlt das Geld.

Um diese Lücken zu schließen, schlägt Prognos regionale Investmentfonds vor. Sie sollen Geld von privaten Anlegern sammeln und es für einen Zinssatz von vier Prozent an Sozialprojekte verleihen. Von den Fonds bekommen die Anleger steuerfreie zwei Prozent Zinsen – und das Gefühl, ihr Geld sinnvoll angelegt zu haben. Zusätzlich werden zwei Prozent für das Ausfallrisiko zurückgestellt. Die 3,2 Milliarden Euro, die sich die Prognos-Experten erhoffen, sollen zusätzlich zum allgemeinen Spendenaufkommen fließen – „dabei ist unsere Annahme sehr konservativ“. Es gehe nicht darum, mit den Fonds teure Ideen auf Dauer zu subventionieren. „Gefördert wird nur, wer ein Darlehen bedienen kann“, sagt Gramke. Verwalten sollen die Fonds die Sparkassen und Volksbanken – „die sind vor Ort am besten verankert“.

Für die professionelle Betreuung der Projekte stellen sich die Prognos-Fachleute eine Art lokaler Wirtschaftsförderung bei den Kommunen vor. „Diese Stellen sollen den Bürgern beim Schreiben eines Geschäftsplans helfen, eine Rechtsberatung organisieren oder Steuertipps geben.“ An solchem Expertenrat fehle es derzeit im ehrenamtlichen Bereich. Dabei existierten hunderte Ideen, bei denen es eine Nachfrage gebe, wegen zu hoher Preise aber keinen Markt, berichtet Gramke. Sogar neue Unternehmen und Arbeitsplätze könnte es durch die neuen Fonds und die kommunale Beratung geben. „Vielleicht entsteht durch eine Projektidee ein neuer Markt – dann sind eines Tages auch keine Zuschüsse mehr nötig“, hofft Gramke. Dann zahle sich für Städte und Gemeinden auch die Beratung aus. Das Risiko, dass private Anbieter verdrängt würden, sieht Gramke kaum. Heute seien allenfalls sechs Prozent der ehrenamtlichen Tätigkeiten Konkurrenz für den Niedriglohn-Bereich.

Die Wirtschaft ist da anderer Meinung. „Begünstigte Sozialprojekte könnten ein echtes Problem werden, etwa für den Einkaufsservice von privaten Pflegediensten“, sagt Bernd Tews, Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste. Solche Eingriffe mit Hilfe des Staates seien in den meisten Fällen schädlich. „Man sollte eher die Nachfrager sozialer Dienste fördern, nicht die Anbieter“, findet Tews. Skepsis herrscht auch beim Sozialverband Deutschland. „Bürgerschaftliches Engagement darf nicht zum Lückenbüßer werden“, kritisiert SoVD-Präsident Adolf Bauer. Der Staat müsse die sozialpolitische Aufgaben, für die er zuständig ist, auch wahrnehmen. Versorgungslücken dürften „nicht an regionale Investmentfonds delegiert werden“. Zudem argwöhnt Bauer, dass wegen der neuen Fonds das bürgerschaftliche Engagement nicht zu- , sonder abnehmen könnte, „weil man durch eine Spende oder eine Investition die Verantwortung delegiert“.

Doch es gibt auch Befürworter der Prognos-Idee. „Es kann gar nicht genug ehrenamtliches Engagement geben – Konkurrenz fürchten wir dadurch nicht“, heißt es beim Deutschen Roten Kreuz. Bislang arbeite ein Drittel der Deutschen freiwillig in der Kirche oder in Vereinen, schätzt der Paritätische Wohlfahrtsverband. „Ein weiteres Drittel wäre bereit, sich zu engagieren, wenn man sie geschickt anspricht“, sagt Thomas Niermann, Verbandsexperte für freiwilliges soziales Engagement. Dafür müssten vor Ort „Freiwilligenagenturen“ eingerichtet werden, die Menschen beraten, wo sie aktiv werden können. „Da gibt es einen Finanzierungsbedarf“, sagt Niermann. Außerdem ließen sich deutlich mehr Personen motivieren, wenn sie zumindest eine kleine Aufwandsentschädigung oder ihre Auslagen ersetzt bekämen. „Viele Leute können nicht noch Geld mitbringen, wenn sie sich engagieren.“

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