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Im Januar 2014 begann beim ADAC die Pannenserie

© Andreas Klaer

Ein Jahr ADAC-Skandal: Neuer Präsident als Pannenhelfer

Er wirkt wie auf der Hut, sein Lächeln vorsichtig. August Markl hat gelbes Blut, sagen sie beim ADAC. Vor einem Jahr rutschte der Automobilclub in die Krise. Mit dem 66-Jährigen als Präsidenten soll ein Neustart gelingen. Doch da gibt es ein Problem

Der Präsident sitzt im falschen Büro. Es ist zwar der Raum, der August Markl qua Amt zusteht, aber es ist nicht wirklich sein Büro. Die Einrichtung, die braune Holzkommode, die schwarzen Lederstühle, das riesige Bild eines Formel-1-Boliden hinterm Schreibtisch gehören noch seinem Vorgänger Peter Meyer. Er habe noch keine Zeit gehabt umzuräumen, sagt Markl.

Markl trägt einen schwarzen Anzug, der seine kurzen weißen Haare noch weißer aussehen lässt. Er lächelt höflich und interessiert. Er will Offenheit demonstrieren, die Bereitschaft, sich allen Fragen zu stellen. Aber es ist wohl auch ein vorsichtiges Lächeln. Ein Lächeln, das schützen soll. Denn das vergangene Jahr, das kann man so sagen, war das schwerste, das sein Verein je erleben musste.

Markl erst seit Dezember Präsident

Die mannshohe Statue des heiligen Christopherus, der in einer Ecke des Büros den kleinen Jesus über einen reißenden Fluss trägt, erinnert daran. Denn Christopherus ist nicht nur der Schutzheilige der Autofahrer, auch die Rettungshubschrauber des ADAC heißen Christoph. Und vergangenes Jahr kam unter anderem heraus, dass der damalige Präsident einen solchen Hubschrauber für eine Geschäftsreise nutzte. Einer von vielen Skandalen, die den ADAC überrollten und viel Ansehen kosteten.

Offiziell ist August Markl erst seit Dezember Präsident des ADAC. Doch in Wahrheit steht der 66-Jährige schon länger an der Spitze. Als sein Vorgänger im Februar 2014 zurücktrat, übernahm Markl das Amt kommissarisch. Seitdem ist es an ihm, die Reformen auf den Weg zu bringen, die das Vertrauen in den größten Verein Deutschlands wieder aufbauen sollen. Die Frage ist: Kann er das?

Alles begann mit dem "Gelben Engel"

Begonnen hatte die Krise mit der Vergabe des „Gelben Engel“, in der Kategorie „Lieblingsauto“ der Deutschen. Zwei Tage vor der Preisverleihung berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ am 14. Januar von Unstimmigkeiten bei der Stimmenauszählung. Man habe die Zahlen geschönt, lautete der Vorwurf. Es hätten sich deutlich weniger Leute an der Umfrage beteiligt, als der ADAC behaupte. August Markl, damals Vizepräsident, war bei der Preisverleihung dabei. Er hörte den damaligen Geschäftsführer Karl Obermair von „Unterstellungen und Unwahrheiten“ sprechen und von „einer Schande für den Journalismus“.

Er sei damals völlig perplex gewesen, sagt Markl heute. „Ich habe mir die veröffentlichten Zahlen angeschaut, die für meine Begriffe schon relativ niedrig waren. Dass sie in Wahrheit noch geringer waren, hätte ich nicht geglaubt.“ Einen Tag später erhielt Markl einen Anruf vom Präsidenten, die Vorwürfe seien wahr. Kommunikationschef Michael Ramstetter, der Erfinder des Preises, hatte die Zahl der abgegebenen Stimmen tatsächlich nach oben manipuliert. „Ich bin im Boden versunken“, sagt Markl.

Er wollte als Rentner auf Kreuzfahrt gehen, aber dann kam die Krise dazwischen.

Präsident August Markl führt den ADAC seit Dezember 2014
Pannenhelfer. Präsident August Markl gilt als einer, mit dem man über alles sprechen kann.

© picture-alliance/dpa

Mit den Worten „Ich habe Scheiße gebaut“ soll sich Ramstetter beim Präsidium entschuldigt haben. Zwei Tage später trat er von seinem Amt zurück.

In den Tagen danach kam heraus, dass Ramstetter schon frühere Umfragen manipuliert hatte. Es gab Berichte von Verwandten, die auf Rückholflügen mitfliegen durften, Enthüllungen darüber, dass Pannenhelfer Halter von solchen Automarken bevorzugten, mit denen der Verein zusammenarbeitete. Die Glaubwürdigkeit war dahin. Und dann droht auch noch das Registergericht, den Vereinsstatus abzuerkennen, weil der ADAC zu viele wirtschaftliche Aktivitäten verfolge. Die Entscheidung in dieser Frage wird im Laufe des Jahres erwartet.

Er nennt es "Reform für Vertrauen"

Die Reform, die Markl mit auf den Weg brachte, nennt er „Reform für Vertrauen“. Und wenn die eigene Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird, umgibt man sich am besten mit Leuten, deren Integrität unbestritten ist. Also berief der ADAC einen externen Beirat, der den Reformprozess begleiten sollte. Zu diesem Beirat gehören der Unternehmer und Unicef-Vorstand Jürgen Heraeus, der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die Vorsitzende von Transparency International, Edda Müller, und der Politikwissenschaftler und Historiker Rupert Graf Strachwitz.

Von seinem Büro aus im 22. Stock des Hauptgebäudes kann Markl sehen, wo er aufgewachsen ist. Auf der jetzt mit Wohnhäusern zugebauten Fläche vor seinem Fenster ließ er früher Drachen steigen. Markl wurde in München geboren, man hört es, er rollt das R und sagt Dinge wie „schaun’s“ und „wissen’s“. In München studierte er Pharmazie und betrieb eine Apotheke. Später studierte er Medizin und führte als Radiologe bis vor drei Jahren seine eigene Praxis. Als Nächstes hätte eigentlich der Ruhestand kommen sollen. Er wollte mit seiner Frau auf Kreuzfahrt gehen, aber dann kam die Krise dazwischen.

Markl sagte einmal, es hätte ihm das Herz gebrochen, wäre der ADAC gescheitert. Markl lebt den ADAC. Er hat gelbes Blut. So sagt man das hier. Sogar das Muster seiner Krawatte ist eine Variation aus Gelbtönen.

Zum ADAC war er einst über ein Ehrenamt gekommen. Im Jahr 1971 hatte er mit sieben Freunden einen eigenen Motorsportverein gegründet. Es gelang ihnen, Ortsclub im ADAC zu werden, und wenn er heute davon erzählt, wird sein Lächeln breiter, und sein Blick geht in die Ferne. Er wurde Jugendreferent des ADAC Südbayern, dort dann später Mitglied des Vorstandes. 2011 berief man ihn ins Bundespräsidium.

Der neue Chef gilt als einer, mit dem man über alles sprechen kann. „Ich vertrage auch Kritik gut, aber nur, wenn sie mir direkt und offen ins Gesicht gesagt wird“, sagt er. Wenn man mit Angestellten redet, dann bestätigen sie, dass mit Markl eine Kultur des Zuhörens in das Büro des Präsidenten Einzug gehalten hat. Unter dem Vorgänger soll das nicht immer so gewesen sein. Und unter Kommunikationschef Ramstetter sowieso nicht. Wenn man Markl fragt, sagt er nur, „ich habe nicht überall Einblick“ und dass Ramstetter „ein bestimmter, seinen Weg gehender Mann“ gewesen sei. Er drückt sich oft so diplomatisch aus, bleibt vorsichtig. Nicht noch mehr Schaden verursachen.

Das Problem: Er ist Teil des alten ADAC, Teil des Systems

Andere haben da weniger Skrupel. „Der ehemalige Präsident sieht ja bis heute nicht ein, dass er nicht mehr tragbar war“, sagt zum Beispiel das Mitglied des Beirats, Graf Strachwitz. Nicht nur ihm gelten Ramstetter und Meyer als die treibenden Kräfte, die den ADAC in die falsche Richtung gelenkt haben. Auf einen immer stärker wirtschaftlich orientierten Kurs. Mehr als zwei Dutzend Tochterfirmen bündelte der ADAC in einer GmbH. Mehr als 2500 Menschen waren 2012 angestellt, die einen Umsatz von 1,03 Milliarden Euro und einen Gewinn von 84,9 Millionen erwirtschafteten. „Die Vereinsführung geriet in die Hände einer kleinen Gruppe von Menschen, von denen zumindest ein Teil vor allem wirtschaftliche Interessen hatte“, sagt Rupert Graf Strachwitz.

Der ADAC sprach im Namen der 19 Millionen

Und mitunter auch politische. Der ADAC war vor seiner Krise ein mächtiger Lobbyist mit einem eignen Kontaktbüro in Berlin. Oft sei bei Hintergrundgesprächen erwähnt worden, man spreche für 19 Millionen Deutsche. Zum Vergleich: Das sind mehr Menschen als in allen deutschen Parteien und Gewerkschaften zusammen.

Politik gegen den Willen des ADAC zu machen, war fast unmöglich. Er machte Stimmung gegen das Tempolimit, die Promillegrenze oder den Einsatz von Biosprit. Auch die PKW-Maut hätte wohl nie eine Chance gehabt, wenn der ADAC in dieser Zeit nicht so angeschlagen gewesen wäre. Der Verein trat auf, als würde er allen deutschen Autofahrern aus der Seele sprechen. Dabei vertrat man oft nicht einmal die eigenen Mitglieder. Eine Umfrage von Dimap ergab 2012, dass 78 Prozent aller ADAC Mitglieder für ein totales Alkoholverbot am Steuer sind.

Das Problem des neuen Chefs ist nun, dass er damals bereits Mitglied des Präsidiums war. Er ist Teil des alten ADAC, Teil des Systems. Er war involviert, kann aber trotzdem nicht beantworten, warum niemand die Fehlentwicklungen vorausgesehen hat. Wie man so abdriften konnte. „Man hat es sich öfter gefragt“, sagt Markl. „Aber man hat keine zufriedenstellende Antwort bekommen.“

Beirat Strachwitz berichtet von einem Gespräch am Rande einer Veranstaltung, in dem Markl sich Vorwürfe gemacht habe. Er hätte etwas merken müssen. Heute sagt Markl, die Marke müsse wiedas Wichtigste werden für den ADAC. Sie dürfe nicht mehr nur dazu dienen, etwas zu verkaufen. „Rat, Schutz und Hilfe, diese drei Worte erklären den ADAC. Das ist es, was wir tun möchten.“

Je öfter der ADAC in den Medien war, umso öfter war es auch Ferdinand Dudenhöffer. Der Autoexperte der Universität Duisburg-Essen gilt als lautstarker Kritiker. Am Telefon erklärt er, er müsse vorsichtig sein, was er sagt. Er habe eine Unterlassungsaufforderung von den Anwälten des ADAC bekommen. In einem Kommentar hatte er den Automobilclub als gemeinnützigen Verein bezeichnet. Ein Fehler, der ADAC ist ein Idealverein. Dudenhöffer unterschrieb die Erklärung und bezahlte die Anwaltskosten. „Vornerum machen sie PR und hintenrum versuchen sie Kritik abzuwürgen“, sagt er. Markl hält er für unglaubwürdig. „Erst sagt er, er will nicht, und plötzlich ist er Präsident.“ Dudenhöffer wäre dafür gewesen, jemand Externen zu holen, jemand, der nicht so eng mit dem ADAC verbunden ist.

Für Markl sind die „gelben Engel“ das Herz und die Seele des Vereins

Der externe Beirat drängte Markl dazu, als Präsident zu kandidieren. Markl sei kein konfrontativer Typ, sagt Edda Müller, das würde ihm helfen, bei den mächtigen Regionalvereinen für die Reformen zu werben. Außerdem gab es im Oktober Gerüchte, die Reformgegner im ADAC würden einen eigenen Kandidaten vorbereiten. Dem wollte man zuvorkommen. Eine außerordentliche Hauptversammlung in München, die erste seit 1948, wählte Markl am 6. Dezember zum Präsidenten. Gleichzeitig wurde das Reformvorhaben bestätigt, an dem Markl gemeinsam mit dem Beirat gearbeitet hatte.

Markls Reform sieht zweierlei vor

Markls Reform sieht zweierlei vor: Erstens die Umstrukturierung des Vereins. Die Tochtergesellschaften des ADAC, wie Versicherungen, Autovermietungen und der hauseigene Verlag, werden in einer AG mit eigenem Vorstand gebündelt. An dieser AG soll wiederum eine gemeinnützige Stiftung beteiligt sein, die auch eine Sperrminorität von 25,1 Prozent erhält. Der Verein soll sich nur noch auf seine Kernelemente konzentrieren: den Motorsport, die touristische und rechtliche Beratung und natürlich die Pannenhilfe. Man hofft so, der Aberkennung des Vereinsstatus entgegenzuwirken.

Zweitens will Markl das Vertrauen in den Verein wiederherstellen. Er möchte die Mitglieder besser einbinden und in Zukunft repräsentativ befragen, ein Regelwerk für sauberes Verhalten einführen und Interessenskonflikte vermeiden. Zum Beispiel beim gleichzeitigen Testen und Verkaufen von Produkten.

Die Reformpläne überzeugen Dudenhöffer nicht. Für ihn ist die Pannenhilfe ein privatwirtschaftliches Produkt. Wie eine Versicherung. „Mit ihr bleibt auch die erfolgreichste wirtschaftliche Aktivität im Verein, inklusive Steuervorteile.“ Er fordert, die Pannenhilfe in die neue AG zu integrieren. „So zwinge ich auch nicht alle, die Pannenhilfe wollen, in den ADAC einzutreten“, sagt Dudenhöffer. Er fürchtet: Behält der ADAC seine immer noch 19 Millionen Mitglieder, behält er auch seine politische Macht. „Die nutzt man dann zwei Jahre nicht, dann wird sie wieder stärker werden.“

Doch für Markl sind die „gelben Engel“ das Herz und die Seele des Vereins. „Der ADAC ist eine Solidargemeinschaft. Sich gegenseitig zu helfen, das ist und bleibt die Kernidee.“ Deswegen bliebe die Pannenhilfe auch im Verein. „Aussagen wie: Der ADAC und seine 19 Millionen Mitglieder wollen dies oder jenes“, sagt Markl, „ werden sie nicht mehr von uns hören.“ Der ADAC müsse lernen, dass sich das Verständnis seiner Mitglieder geändert habe. Man werde in Zukunft genauer auf deren Meinung hören und in Streitfällen nur noch moderierend auftreten.

Den alten Schlüssel hat er noch

Den Schlüssel für sein altes Büro trägt Markl immer noch in der Tasche. Es liegt auf demselben Stockwerk, nur wenige Meter entfernt und ist bedeutend kleiner als sein neues Arbeitszimmer. Die Tische sind noch da, an der Wand hängt eine gerahmte Fotografie: eine alte, verrostete Brücke, die über die Schwarze Elster führt, einen Nebenfluss der Elbe. Das Bild bedeutet ihm viel, bald soll es in das neue Büro herübergetragen werden. Und dann wird auch August Markl richtig angekommen sein.

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