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Wirtschaft: Ein Kessel Buntes

Vor seiner Regierungserklärung testet der Bundeskanzler die Stimmung für Reformen – beim Kündigungsschutz, im Sozialsystem und bei öffentlichen Investitionen

Von

Von A. Frese, A. Sirleschtov

und U. Weidenfeld

Offiziell gibt es keine Tagesordnung für die Kanzlerrunde morgen Abend. Aber inoffiziell ist längst klar, wer über was reden will. Der Kündigungsschutz wird thematisiert, Lehrstellen und die schwache Konjunktur. Geredet wird auch über Sozialreformen. Und möglicherweise über Steuern.

Themen also, die schon bei allen anderen Kanzlerrunden eine tragende Rolle gespielt haben. Sonst aber soll alles anders sein als bisher. Ohne Tabus soll diskutiert werden, keine Papiere werden angefertigt, strengste Vertraulichkeit wurde vereinbart, keine große Pressekonferenz hinterher. Denn der Kanzler will die Gelegenheit nutzen, um bei Gewerkschaften und Verbänden die Stimmung für seine Reform-Regierungserklärung am 14. März zu testen. „Im Prinzip wird das wohl eine Art Beratungsgespräch“, heißt es in Verbandskreisen. Die Wirtschaftsverbände haben vereinbart, im Vorfeld gar nichts laut zu sagen. „Wir brauchen einen Aufbruch. Dieses vornehme Ziel darf nicht zerredet werden“, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun. Es sei „der letzte Schuss für den Kanzler, wenn er wirklich Reformen will“, heißt es bei den Verbänden. Und weil die Verbände auch Reformen wollen, halten sie jetzt erst einmal die Klappe.

Zumal ja die Sache im Augenblick eher in ihrem Sinne läuft: Bis zum 21. Mai hat die Bundesregierung noch Zeit, ihre Reformpläne zu konkretisieren und grob zu verabreden. Dann muss sie der Europäischen Kommission in Brüssel sagen, wie Deutschland aus der Schuldenfalle kommen, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme reformieren will. Weiter als zur Zeit habe das Fenster für tief greifende Reformen nie aufgestanden, heißt es bei den Wirtschaftsverbänden. Hans-Joachim Schabedoth, Bündnisstratege beim DGB, sieht das ganz ähnlich. Es gebe „Anhaltspunkte für Optimismus“, denn bei einer Arbeitslosenzahl von fast fünf Millionen sei „der Handlungsdruck groß“. Für ihn ist die entscheidende Frage vor der Rosenmontagsrunde, „ob man vom Reden zum gemeinsamen Handeln kommt“.

Aber vor dem Handeln sind zumindest für den Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) noch einige Fragen zu klären. „Was ist an Reformen notwendig und wer leistet welchen Beitrag zu welcher Reform?“ Konkret will Schmoldt über eine Bildungsoffensive, über Forschung- und Entwicklung sowie die Gesundheitspolitik reden. Für Margret Mönig-Raane, stellvertretende Verdi-Vorsitzende, steht ebenso wie für den IG Metall-Chef Klaus Zwickel die „dramatische Lage“ auf dem Ausbildungsmarkt im Mittelpunkt. Die Arbeitgeber sollten „endlich ihre Versprechungen halten und genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen“, sagt Mönig-Raane, und stellt sich „Seelenmassage und persönlichen Einsatz der Verbände in den Firmen“ vor.

Beim Thema Kündigungsschutz könnte sich die Runde auf einen Prüfauftrag verständigen: Wo wirkt der Kündigungsschutz tatsächlich beschäftigungshemmend? Allerdings sprich Mönig-Raane von einer „Kaisers-neue-Kleider-Diskussion“, die die Arbeitnehmer irritiere. Es sei abträglich für die allseits geforderte Mobilität und Flexibilität der Arbeitnehmer, wenn sie mit Kündigungsschutz-Spekulationen verunsichert würden. Günther Schmid vom Wissenschaftszentrum Berlin, der sowohl in der Benchmarking-Gruppe des Bündnis für Arbeit als auch in der Hartz-Kommission mit arbeitete, hält eine Einschränkung des rechtlichen Kündigungsschutzes für möglich, wenn gleichzeitig der „funktionale Beschäftigungsschutz“ ausgeweitet würde. Und zwar, indem zum Beispiel die Weiterbildung der Arbeitnehmer steuerlich gefördert wird. Das wäre Schmid zufolge die Aufgabe der Regierung in den Konsensgesprächen: „Tauschpakete zwischen den Sozialpartnern schnüren.“

Die Gewerkschaftsvertreter wollen unbedingt mit dem Kanzler über ein Konjunkturprogramm reden. In diesem Punkt ist eine Einigung aber nur möglich, wenn die Bedenken des Handwerks gegen ein solches Programm durch ein Mittelstandsbekenntnis der Bundesregierung aufgefangen werden. Im Kern geht es um das Vorziehen öffentlicher Investitionen und eine Verbesserung der kommunalen Finanzen. „Schulen und Straßen verrotten so weit, dass man sie nicht mehr reparieren kann“, sagt Mönig-Raane. Ein Investitionsprogramm müsste „deutlich über zehn Milliarden Euro“ liegen. Insgesamt sind die Erwartungen an das Kanzlergespräch eher skeptisch. „Das Geben und Nehmen muss stimmen“, sagt Verdi-Vize Mönig-Raane. Und das sei in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Arbeitsmarktforscher Günther Schmid sieht das Dilemma der bisherigen Bündnis-Versuche im Verhalten der Bundesregierung, die „keine beschäftigungspolitische Strategie“ gehabt habe. Das sei mit Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und dem Hartz-Konzept zwar besser geworden. Dennoch sieht Schmid einen neuen Bündnis-Anlauf mit Skepsis, weil „die Verpflichtungsverbindlichkeit schwer einzuhalten ist“. Anders gesagt: Die eine Seite traut der anderen nicht über den Weg. Mönig-Raane: „Jeder Punkt muss dahin gehend überprüft werden ob er für ein neoliberales Theoriepapier taugt oder wirklich Beschäftigung bringt.“

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