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Wirtschaft: Ein Löffelchen Glück

Die Verbraucher haben den schnöden Konsum satt – jetzt träumen sie von Cashmere und Babybrei

Berlin (beu/HB/Tsp). Wenn es draußen kalt und unwirtlich ist, wenn ein Krieg droht und eine neue Währung die Käufer ordentlich erschreckt: dann bricht die große Zeit des Echten und Wahren, des Einfachen und Natürlichen an. Heimwerken und die Arbeit im eigenen Garten, die tiefe Sehnsucht nach dem einen guten CashmerePullover, das Wohlfühlen und Selberkochen zu Hause. Das sind die Konsumtrends in diesem Winter – und nach Auffassung des Freizeitforschers Horst Opaschowski werden sie noch eine ganze Weile lang anhalten.

Die Zeiten, in denen sich die Menschen vor allem von dem Etikett „neu“ beeindrucken ließen, sind nach Ansicht der Freizeit- und Konsumforscher ein für alle Mal vorbei. Die Jagd nach den neuesten Kick-Boards, Palmtops oder Digitalkameras sei vorbei. Statt dessen konzentrieren sich die Verbraucher auf das, was sie wirklich brauchen. Und dafür wollen sie einen vernünftigen Preis.

Auch die Zukunftsforscher Matthias Horx und Thomas Huber vom Zukunftsinstitut in Kelkheim (www. zukunftsinstitut.de) beobachten einen Wertewandel. Der Konsument sei satt. Er suche mehr dann je nach Sicherheit. Der Verbraucher lasse sich nicht mehr vorschreiben, welchen Preis er zu zahlen habe. Er wolle das Gefühl des optimalen Kompromisses. Jeder Konsument werde sich sein persönliches Puzzle vom Discounter bis hin zum Luxuswarenhersteller zusammenstellen. Billigstanbieter wie Luxusartikler würden je nach Situation genutzt. Schwierig werde es für Unternehmen im mittleren Sektor, die weder den Charakter von Preisbrechern noch Premium-Flair böten.

Statt sich alle paar Monate auf das einstellen zu müssen, was gerade angesagt sei, suchten die Menschen nach Dingen, die sich nicht veränderten, es herrsche die „Sehnsucht nach dem Echten, Guten, Wahren“. Konsumforscher bezeichnen das als Retrotrend, die Sehnsucht nach den alten Zeiten, in denen Handwerk noch Handwerk war, die Produkte noch solide und haltbar waren. Beispiele dafür sind die Automodelle VW Beetle, Chrysler PT oder der BMW Mini. Sie alle sind Erfolgsmodelle, weil sie optisch alte Formen zitieren und sie mit moderner Technik verbinden.

Dieser Trend wird anhalten – und auch den nächsten Aufschwung überleben, prognostizieren die Zukunftsforscher. „Wohnen“ wird nicht mehr als nur funktionaler Akt gesehen, sondern das eigene Zuhause wird zur Mitte der Welt. Möbel verlieren ihren Charakter als Gebrauchsgegenstände und werden zur Kulissen der Inszenierung des eigenen Ichs. Eine besondere Rolle spielt dabei die Kult-Kennerschaft, die Welt des Connaisseurs. Typische und bislang bekannteste Objekte für die neuen Connaisseure sind Rotwein, Zigarren, altes Spielzeug oder Absinth.

Erleichtert wird die Sehnsucht nach dem Handgefertigten ausgerechnet durch den technischen Fortschritt: Intelligente und hochtechnisierte Fertigungseinheiten erlauben heute die Herstellung von Retroprodukten in kleinen Stückzahlen, ohne dass die Preise gleich explodieren. Dies begünstigt nach Einschätzung von Huber den Trend zur massenweisen Maßanfertigung für Individualisten. Bei Herrenbekleidung ist dies bereits zu beobachten. So bietet der Maßkonfektionshersteller Dolzer Maßkonfektion von der Stange, selbst C&A profiliert sich mit dreidimensionalen Körper-Scannern, mit deren Hilfe jeder Kunde individuell vermessen werden kann.

Das werde zu einer Spaltung des Marktes führen, erwartet Huber. Basisprodukte ohne Identifikationspotenzial würden weiter in Massenproduktion unter hohem Preisdruck hergestellt, prestigeträchtige Produkte dagegen langfristig stärker auf Kundenwünsche hin individualisiert. Da nicht alle Konsumenten den Weg zur Individualisierung beschreiten werden, bleibe das Massenprodukt als zweite Option immer bestehen.

Neu ist der Trend zu so genannten „intergenerativen Konsumsektoren“. Mit diesen generationsüberschreitenden Produkten reagiert die Produktwelt einerseits auf den Alterungsprozess der Gesellschaft. Andererseits bedient sie damit die Sehnsucht nach Komfort, Umsorgtwerden, der eigenen Kindheit: Produkte, die ursprünglich für Kinder entwickelt worden sind, dringen in die Erwachsenenwelt vor. Hiervon wissen Babykost-Hersteller wie Klaus Hipp seit langem ein Lied zu singen. Seine Gläschen mit Babynahrung sind auch bei jungen und nicht mehr ganz so jungen Frauen, den „Best Agers“, ziemlich in.

Endlich halten die Zukunftsforscher auch die deutsche Gesellschaft für reif, Dienstleistungen mit Tradition schätzen zu lernen: Hausarbeit, Handwerkerarbeiten, Kinderbetreuung „werden im Zuge der Deregulierung der geringfügig bezahlten Beschäftigungen explodieren“, ist sich Huber sicher.

Landschafts- und Gartengestaltung sind auf dem Weg zu Großbranchen und die seit Jahren im Aufwind befindliche Outdoor-Branche boomt weiter. Bei alledem will der Konsument der Zukunft ein gutes Gewissen haben. Im Zuge der Anti-Globalisierungsbewegung machen die Forscher das Thema Ethik wieder als starkes Verkaufsargument aus. Hinweise wie gentech-frei oder Ohne-Kinderarbeit-hergestellt würden künftig in Deutschland marktentscheidend. Huber sagt: „Vertrauen wird das zentrale Verkaufsargument der Zukunft.“ Mit Blick auf die derzeitige Konsumschwäche stellt Zukunftsforscher Horx sogar eine Triebfeder des marktwirtschaftlichen Systems grundsätzlich in Frage: „Könnte es sein, dass die Konsumenten nicht wegen Euro, Arbeitslosigkeit oder Kriegsgefahr den Kauf verweigern, sondern weil sie den alten Konsum im Wortsinne satt haben?“

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