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Wirtschaft: Ein Pionier der New Economy gibt auf

Intershop-Gründer Stephan Schambach ist künftig nur noch für die Strategie zuständig

Berlin (mot). Die Jenaer Intershop AG wechselt mitten im Überlebenskampf den Vorstand aus: Der Gründer und Vorstandsvorsitzende, Stephan Schambach, zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück. Finanzvorstand Jürgen Schöttler (siehe Interview) übernimmt zusätzlich Schambachs Aufgaben und ist nun für den drastischen Sanierungskurs verantwortlich, den Intershop kürzlich angekündigt hatte und der das Überleben der Gesellschaft sichern soll.

Schambach, einst als ostdeutscher Internetpionier gefeiert, wird im Vorstand künftig nur noch für Produkt und Marktstrategie zuständig sein. „Ich werde mehr Zeit für unsere Kunden haben“, sagte der 32-Jährige, der seinen Anteil von 19,26 Prozent an Intershop nicht verkaufen will. Die Aktie gewann am Montag rund 30 Prozent an Wert.

Auf den neuen Vorstandschef Jürgen Schöttler warten schwierige Aufgaben. Intershop steht am Rande des Zusammenbruchs, weil die finanziellen Reserven nahezu aufgebraucht sind. Obwohl das Unternehmen ein nach Meinung von Experten leistungsfähiges Produkt anbietet, mit dem Geschäftsprozesse und der Vertrieb über das Internet gesteuert werden, gelingt es den Jenaern nicht, die angestrebten Umsatz- und Gewinnziele zu erreichen. Erst vor zehn Tagen hatte Intershop eine Gewinnwarnung ausgesprochen: Bei einem Umsatz von rund 25 Millionen Euro werde sich 2003 der Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf rund 20 Millionen belaufen. Die Belegschaft soll auf 200 Beschäftigte halbiert werden.

Mit Stephan Schambach tritt einer der Protagonisten der New Economy ab. Sein Rückzug gleicht einem Abschied auf Raten: Bereits im März 2001 hatte der Softwarespezialist die Führung bei Intershop neu geordnet und den Chefsessel an den damaligen Finanzvorstand Wilfried Beeck übergeben. Doch der Personalwechsel half dem Unternehmen nicht aus der Krise. Ein Jahr später kehrte Schambach an die Spitze zurück. Die anhaltenden finanziellen Schwierigkeiten veranlassten ihn, zehn Millionen Euro aus eigener Tasche in das Unternehmen zu stecken. Doch das Geld ist längst verbrannt. Der Markt für Internet- und E-Commerce-Software erholt sich nur langsam – zu langsam für Intershop.

Schambach hat seinen Optimismus dennoch bis heute nicht verloren, sagen Vertraute. „Er ist der Visionär geblieben“, hieß es am Montag. 1971 in Jena geboren, entdeckt Schambach mit 20 seine Leidenschaft für Computer. Kurz nach dem Mauerfall, als das Internet noch ein Fremdwort und E-Commerce Zukunftsmusik waren, gründet er seinen ersten Computervertrieb. Mit 25 will er seine eigene Software entwickeln, mit der im Internet Produkte vertrieben und eingekauft werden können. 1992 wird aus der Idee die Startup-Firma Netconsult, die Schambach mit Wilfried Beeck und Karsten Schneider gründet und 1997 in Intershop umbenennt. Eine Niederlassung in den USA wird bald darauf gegründet, später wird auch der Firmensitz von Thüringen ins Silicon Valley verlegt, die Heimat der New Economy. Von dort bringt Schambach die Vision und – wie sich später herausstellt – den Größenwahn der Internet-Wirtschaft mit. 1998 geht Intershop an den Neuen Markt, der sich gerade für die größte Spekulation der Börsengeschichte warm läuft. Binnen weniger Monate wird der Aktienkurs bis auf 670 Euro katapultiert. Intershop ist im März 2000 elf Milliarden Euro wert, mehr als mancher Dax-Konzern. „Ich will, dass wir in fünf oder zehn Jahren dort sind, wo SAP heute ist“, hatte Schambach 1999 im Tagesspiegel-Interview gesagt.

Doch der Visionär verfehlte sein Ziel, die Spekulationsblase platzte. Selbst der Marktführer für E-Commerce-Lösungen wurde in den Abwärtsstrudel gerissen. Schambach musste die Expansion stoppen und sparen. In mehreren Wellen wurden Mitarbeiter entlassen, Gewinnziele revidiert, Prognosen enttäuscht. Der Aktienkurs liegt heute bei rund zwei Euro, der Börsenwert ist auf 24 Millionen Euro geschrumpft. „Risiko ist eine sehr persönliche Größe“, sagte Schambach im Gespräch mit dieser Zeitung. Das war vor vier Jahren. Am Montag hat der Intershop-Gründer die bittere Konsequenz gezogen.

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