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Wirtschaft: „Ein Schluck über den Durst gefährdet Jobs“

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser über die große Koalition, betriebliche Bündnisse und die kommende Tarifrunde

Herr Kannegiesser, wir bekommen vermutlich eine Regierung, die auf Arbeitnehmerinteressen und soziale Belange Rücksicht nimmt. Wie groß ist Ihre Enttäuschung?

Eines unserer Probleme ist in den vergangenen Jahren gewesen, dass notwendige Entscheidungen auf Grund der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und Bundesrat entweder nicht zustande kamen oder wackelige Kompromisse wurden. Wegen mangelnder politischer Kontinuität und Verlässlichkeit ist es dann sehr schwierig, langfristige unternehmerische Entscheidungen zu treffen.

Und das wird jetzt besser?

Wir müssen die Phase überwinden, in der die meisten von uns sozusagen zähneknirschend die große Koalition als eine polit-arithmetische Unausweichlichkeit empfinden. Es geht jetzt darum, das Positive zu sehen, was man aus dieser Konstellation machen kann.

Und das wäre?

Sie sollten sich einige große Themen vornehmen, die das Zusammengehen der großen Parteien auch sinnvoll werden lassen. Und diese großen Themen müssen dann geschlossen bearbeitet und gemeinsam vermittelt werden – ohne parteitaktische Finessen. Wenn das die gesamte Mannschaft unter Führung von Frau Merkel will, dann bin ich zuversichtlich, dass die große Koalition erfolgreich sein wird und auch Zuversicht auf Unternehmen und Verbraucher überträgt.

Wir wissen bereits, was es nicht geben wird: Einschränkungen bei Pendlerpauschale und Nachtzuschlägen sowie eine gesetzliche Erleichterung so genannter betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Nach der Wahlschlappe entdeckt offenbar auch die CDU die Arbeitnehmer.

Nur Parteien, die sich am Ganzen ausrichten, können den Interessen eines Landes und einer Gesellschaft dienen. Die Zeiten kurzfristiger Effekthascherei sind vorbei. Jetzt kommt es darauf an, uns in allen Bereichen auf die veränderten demografischen und weltwirtschaftlichen Gegebenheiten einzustellen. Sonst können zwar international aufgestellte Unternehmen überleben, nicht aber unsere Gesellschaft mit ihren bisherigen Standards. Uns als Arbeitgeber interessiert natürlich, wie die Debatte um betriebliche Bündnisse geführt wird. Dabei geht es allein um die Frage, in welchem Umfeld die Unternehmen möglichst viel wirtschaftliche Dynamik generieren können.

Also müssen die Gewerkschaften raus aus den Betrieben, damit es Dynamik gibt?

Nein. Gewerkschaften haben in der Bundesrepublik großen Einfluss darauf gehabt, dass wirtschaftliche Dynamik überhaupt möglich wurde. Denn die Dynamik kann sich nur entfalten, wenn sie eingebettet ist in soziale Befriedung. Wir müssen aber aufpassen, dass der Gesichtspunkt der sozialen Befriedung gleichzeitig den immer größer werdenden Druck zu mehr Effizienz berücksichtigt.

Ihrer Ansicht nach tun das Betriebsräte eher als Gewerkschafter?

Wir sind nur noch Teil eines Weltarbeitsmarktes, auf dem die Karten neu gemischt werden. Wir wollen so viel Wertschöpfung in Deutschland haben wie möglich. Gerade in einer Umbauphase ist doch die Konzeption der betrieblichen Bündnisse für Arbeit ein Segen, den leider viele nicht begriffen haben. Beide Seiten entwickeln gemeinsam eine Konzeption, wie das Unternehmen in den nächsten Jahren aussieht, wohin die Reise geht und was man dafür tun muss. Das ist ein Prozess des Gebens und Nehmens, den es in dieser Form tarifpolitisch verankert noch nie gegeben hat.

Oder ein Prozess des „friss oder stirb“ – entweder die Belegschaft akzeptiert Kürzungen, oder es wird nicht investiert.

Das ist eine sehr verengte Sicht der Dinge, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Jedes Unternehmen muss sich doch die Frage stellen, wie bekomme ich meinen Standort im Konzert der weltweiten Alternativen optimiert. Und dazu gehört mehr als nur die Verlängerung der Arbeitszeit oder Lohnkürzungen. Das ist ein wichtiges Element, aber meistens als Teil eines Gesamtkonzepts.

Den weitaus meisten Firmenchefs geht es doch nur um Kürzungen.

Aber damit allein wird man langfristig die Wertschöpfungskette nicht optimieren können. Es gehört eine Konzeption dazu, welche Sortimente ich hier machen will und wo einzelne Teile der Wertschöpfungskette zu welchen Bedingungen produziert werden. Und darüber sollte die Geschäftsleitung mit den Betriebsräten Konzepte entwickeln. Die Tarifvertragsparteien haben dabei zunächst eine beratende Funktion.

Da die große Koalition das Tarifvertragsgesetz wohl nicht verändern wird, haben die Tarifvertragsparteien weiterhin ein Vetorecht. Forciert das die Flucht der Firmen aus der Tarifbindung?

Unternehmen, die heute in der Tarifbindung sind, haben dafür sachliche Gründe. Und diese Unternehmen werden immer tarifvertragliche Lösungen gesetzlichen vorziehen. Dazu müssen aber tarifvertragliche Lösungen vorhanden sein und auch praktiziert werden. In den Sondierungsgesprächen zwischen CDU und SPD ist die Absicht formuliert worden, mit den Tarifparteien über die Ausgestaltung von betrieblichen Bündnissen zu sprechen. Dieser Prozess ist so wichtig für die Dynamik in unserem Land, dass man ihn von der Politik zumindest begleiten muss.

In der Metallindustrie gab es 2004 den Pforzheimer Vertrag, wonach vom Tarif abgewichen werden darf, wenn die IG Metall zustimmt. Warum reicht das nicht?

Pforzheim ist für beide Seiten ein wichtiger Schritt nach vorn. Wir sind noch dabei, Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten. Positiv ist zunächst, dass wir knapp 280 Fälle haben, wo mit Abweichungen vom Tarif Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze in Deutschland gehalten werden konnten. In einigen Fällen sind wir bei der Umsetzung noch zu langsam. Die Genehmigungsprozesse müssen einfacher werden und zügiger laufen.

Nun ist die IG-Metall-Spitze sauer auf Sie, weil Sie mit der Forderung nach einer gesetzlichen Öffnung die Tarifautonomie beschädigen würden. Deshalb lehnt die Gewerkschaft eine Weiterentwicklung des Pforzheimer Abschlusses ab.

Ich bin gespannt auf die Alternative. Wir bemühen uns seit einigen Jahren, zu erklären, warum die Verknüpfung der betrieblichen Ebene mit dem Flächentarif unverzichtbar ist. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Flächentarife weiterentwickeln. Auch deshalb, weil wir die ganz große Öffnungsklausel – raus aus der Tarifbindung – für falsch halten.

Im letzten Jahr hat die deutsche Metall- und Elektroindustrie im Volumen von 444 Milliarden Euro exportiert – ein Rekordwert. Vor diesem Hintergrund erwarten die Arbeitnehmer im nächsten Frühjahr eine deutliche Lohnerhöhung.

Wir haben 2004 und 2005 die Einkommen deutlich erhöht, die Reallöhne sind gestiegen. Es gibt kein anderes Land der Welt, in dem auch nur annähernd diese Löhne gezahlt werden. Und das bei sehr kurzen tariflichen Arbeitszeiten. Etliche Unternehmen, die gut verdienen, legen freiwillig was drauf. Aber in der heutigen Zeit flächendeckend Löhne zu erhöhen ohne Rücksicht auf die internationalen Arbeitskosten und ohne Rücksicht auf die Produktivität wäre verheerend. Wenn wir nach dem Motto verfahren, ,jetzt können wir uns mal wieder bedienen’, dann verlieren wir noch mehr Sortimente und Produkte, unser Wertschöpfungspotenzial wird weiter schrumpfen.

Seit Jahren steigen die Tariflöhne moderat, die Reallöhne sinken sogar. Trotzdem gibt es mehr Arbeitslose. Also kostet Lohnzurückhaltung, die ja die Binnennachfrage schwächt, Arbeitsplätze.

Das Gegenteil ist richtig. Löhne sind sowohl Nachfrage als auch Kosten. Wenn wir das über die Leistungsfähigkeit der Betriebe steigern, dann gibt es keine Arbeitsplätze mehr. Eine Handwerkerstunde kann oder will dann keiner bezahlen. Die Branchen, die stark vom Inland abhängen, können überhaupt keine Lohnerhöhung gebrauchen. Und bei den international eingewobenen Unternehmen wird mit jedem Schluck über den Durst jeder Standort, jedes Produkt in Frage gestellt. VW ist doch ein Menetekel. Wenn wir nicht aufpassen, passiert das Gleiche, was wir in der Textilindustrie hatten.

Also werden Sie Ende der Woche der tarifpolitischen Konferenz der IG Metall Bescheidenheit empfehlen?

In unserer aktuellen Situation wäre es völlig unangemessen, wenn wir verfahren würden wie immer: Lohnforderung aufstellen, ablehnen und dann wochenlanges Hin und Her. Das wäre zu wenig. Wir sollten tatsächlich mal versuchen, über die ganze Bandbreite zu sprechen, wie man Wertschöpfung in Deutschland halten oder sogar aufbauen kann. Ich will mich nicht damit abfinden, dass wir auf der schiefen Ebene sind und immer mehr Wertschöpfung wegrutscht.

Dann sind Sie Anhänger der Kampagne „Besser statt billiger“, mit der die IG Metall Innovationsimpulse in den Firmen setzen will?

Der Ansatz ist richtig. Das ist eine Riesenchance für beide Seiten und könnte zu einer neuen Kultur führen, obwohl sich das traditionelle Köpfe, ebenfalls auf beiden Seiten, überhaupt nicht vorstellen können. Wir haben neben erheblichen Kostenproblemen die ständige Aufgabe zu Innovation in Prozesse und Produkte. Und jeder Betrieb, der ein Bündnis für Arbeit macht, muss seine Mitarbeiter begeistern und mitnehmen auf dem Weg, indem verbindliche und belastbare Zusagen gemacht werden. Das Ziel kann nur gemeinsam erreicht werden.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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