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Arbeitnehmer gesucht. Manchmal ist es ein Hinweis von Bekannten oder die gute Vernetzung in die Chefetage – viele Kontakte in der Jobwelt zu haben, schadet nicht. Dennoch werden immer noch mehr Stellen über Anzeigen vergeben, als vermutet. Foto. fotolia

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Wirtschaft: Eine Frage der Beziehung

Ohne Netzwerke findet man heute keinen Job mehr, heißt es. Pauschal stimmt das nicht – außer man will in die Topetage.

Letztlich ist es Ansichtssache. Hat sie ihren Job dank eines Netzes von Freunden und Bekannten gefunden oder sich einfach nur auf eine Anzeige beworben? Katja Wenks Stelle als Referentin im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe war klassisch ausgeschrieben. Gefunden hat sie die Anzeige aber nur, weil ein Bekannter sie über das Onlinenetzwerk Facebook aufmerksam machte. Sie hat sich dann ganz normal beworben, es gab keine Empfehlung, keinen dezenten Hinweis an die Personalabteilung, sich diese Kandidatin etwas genauer anzuschauen. Punkten konnte die 31-Jährige, die in ihrem neuen Job eine Social-Media-Strategie erarbeiten soll, aber dennoch mit ihren Kontakten. „Im Vorstellungsgespräch habe ich erwähnt, dass ich die Stellenausschreibung in einer Facebook-Gruppe gesehen habe. Das war ein kleiner Aha-Moment, weil sie den Kanal bisher nicht aktiv genutzt haben“, sagt sie.

Meinen Personalexperten das, wenn sie davon sprechen, Job und Aufstieg seien ohne ein gutes Netzwerk nicht möglich? „Kontakte, Kontakte, Kontakte“, predigen sie, egal ob es darum geht, als Spezialist das Unternehmen zu wechseln oder als Personalchef die besten Hochschulabsolventen zu finden. Nur: Stimmt das Mantra? „Man muss in diesem Punkt dramatisch differenzieren“, sagt der Bamberger Professor für Informationssysteme Tim Weitzel. Es kommt darauf an, wie intensiv Unternehmen suchen und wie viele Jobangebote potenzielle Mitarbeiter bekommen. Die Faustregel: Je begehrter das Profil eines Kandidaten, desto eher klappt es auch ohne Beziehungen. Erst ab einer gewissen Hierarchiestufe gilt das Klischee von der Karriere als Beziehungskiste wieder: Die Topetagen bleiben ohne Helfer unerreichbar. Nicht unbedingt, weil sie Türen öffnen, sondern weil sie wissen, welche Türen nicht verschlossen sind.

Tim Weitzel untersucht seit mehr als zehn Jahren, wie die 1000 größten deutschen Unternehmen ihre offenen Stellen besetzen. Und er sieht, dass sich die Personalerwelt immer stärker zweiteilt. Betriebswirte oder Juristen zu finden, ist meist kein Problem, Ingenieure oder Mathematiker aber sind eine echte Herausforderung. Gibt es dagegen genug Bewerber, können Unternehmen ihr Standardprogramm abfahren. Stellenanzeige auf Online-Jobportalen, auf der eigenen Website oder in Zeitungen, Bewerbungen scannen, Auswahlgespräche führen und schließlich jemanden einstellen. „Gerade Hochschulabsolventen haben doch im Prinzip sehr ähnliche Lebensläufe“, sagt Weitzel. Für potenzielle Mitarbeiter heißt das: Wer aus der Masse heraussticht, erhöht seine Chancen. Und da kommt das Netzwerk ins Spiel. Wer etwa schon einmal im Unternehmen gearbeitet hat, tut sich leichter. Ob das auch gilt, wenn man mit dem Sohn des Personalchefs Fußball spielt, lassen die Experten offen.

So erklären sich auch die Zahlen, die Weitzel jüngst herausgegeben hat. Nimmt man Internet-Jobbörsen, Stellenanzeigen auf der Firmenhomepage und in Zeitungen zusammen, steht am Ende eine fast unglaubliche Zahl: 80 Prozent. Das ist der Anteil der Stellen, die über diese drei Kanäle besetzt werden. Die von vielen totgesagte Stellenanzeige – sie ist offenbar als digitale Version quicklebendig. Und Weitzel sagt: 90 Prozent aller offenen Stellen werden ausgeschrieben. Das sind Ergebnisse, zu denen auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt. Großunternehmen besetzen nur etwa jede zehnte Stelle über persönliche Netzwerke.

Wenig offene Stellen, viele Bewerber, das ist die – aus Personalersicht – paradiesische Welt. Die „Katastrophe“ aber, wie es Weitzel nennt, ist das andere Extrem. Für mehr als 40 Prozent ihrer Stellen finden deutsche Großunternehmen schon heute keinen oder nur sehr schwer einen Kandidaten. Wer derart begehrt ist, muss weder netzwerken noch Bewerbungen schreiben – er wird gefunden. „Insbesondere bei Profilen, die schwer am Markt zu finden sind, ist Kreativität gefragt. Hier probieren wir gern neue Wege abseits der klassischen aus“, sagt Ireen Baumgart, Personalmanagerin beim Handelskonzern Otto. Dafür aber brauchen dann wiederum die Personaler das gute Netzwerk. So entstehen Geschichten wie jene, die man Weitzel bei Siemens erzählte: Dort suchte man monatelang einen Signaltechniker für den Bahnverkehr – ein Job mit sehr speziellem Anforderungsprofil, das nicht viele erfüllen.

Weil man so nicht weiterkam, ging ein Mitarbeiter schließlich zu den Signaltechnikern, die schon im Unternehmen waren, plauderte mit ihnen über dies und das und erfuhr so, dass viele von ihnen ein Hobby eint: Märklin-Modelleisenbahnen. Kurzum veröffentlichte der Konzern einen Hinweis auf die offene Stelle im größten Blog für Märklin-Liebhaber. Die Stelle wurde innerhalb kurzer Zeit besetzt, schreibt Weitzel in einer Fallstudie. „Wenn es um Profile geht, auf die nicht viele Bewerber passen, müssen die Unternehmen auf die Leute zugehen“, resümiert er.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Unternehmen immer häufiger ihre Mitarbeiter als Bewerber-Scouts einsetzen: Sie sollen in ihrem Bekanntenkreis für den eigenen Konzern als Arbeitgeber werben. Mitarbeiterempfehlungen heißt das. Fast die Hälfte der von Weitzel befragten Unternehmen bittet heute seine eigenen Leute schon, im persönlichen Umfeld nach neuen Kollegen zu schauen. Der modernste Versuch, Kandidaten zu finden, verbirgt sich hinter dem Begriff „Boomerang-Hiring“: Warum nicht Kontakt zu all jenen halten, die das Unternehmen – im Frieden – verlassen haben oder die in der letzten Bewerbungsrunde für eine Stelle nicht zum Zuge kamen?

Manche Firmen, beschreibt Weitzel, schickten ehemaligen Mitarbeitern einmal im Jahr einen kleinen Gruß – allerdings nicht zum Geburtstag, sondern dem Tag, an dem sie ihren Job angetreten hatten. Schließlich war das ja der Auftakt einer – hoffentlich – gelungenen Zusammenarbeit. Es scheint zu funktionieren: Führungspositionen konnten „schneller, besser und billiger besetzt werden“, schreibt er in einer Studie. Vorbild sind große Beratungen oder auch amerikanische Managementhochschulen wie die Harvard Business School, die ihr Ehemaligennetz hegen und pflegen.

An das Thema Social Media trauen sich allerdings nur wenige heran. Gerade einmal jedes zehnte Unternehmen forciert, dass Mitarbeiter online Freunde und Bekannte über offene Stellen informieren. Das aber wird sich ändern, sind Personaler überzeugt. Wenn man sie bittet, in die Glaskugel zu schauen und die Trends in zehn Jahren zu benennen, dann steht Social Media an erster Stelle. Ein Jobangebot, wie es Katja Wenk direkt nach dem Studium erhalten hat, könnte dann eher Regel denn Ausnahme sein. Ihre erste Stelle in einer Kommunikationsagentur hat sie nicht einmal gesucht – sie wurde gefunden. Ihr späterer Chef, der Leiter jener Agentur in Darmstadt, hatte sie auf dem Netzwerk Xing angeschrieben. Ihr Profil war gut gepflegt, ihre Kenntnisse, Erfahrungen und der Einstiegswunsch als Onlineredakteurin sauber aufgelistet. Nur wenige Tage später waren sich beide einig. „Ohne ein gut ausgefülltes Profil wäre mein späterer Chef nicht auf mich aufmerksam geworden“, sagt Wenk.

Sie kann sich noch gut erinnern an jene Mitstudenten, „die ständig zu Veranstaltungen gegangen sind, um jedem ihre Visitenkarte in die Hand zu drücken“. Heute erlebt auch sie, wie wahllos so manch einer Kontaktanfragen etwa auf Xing verschickt. Ihr ist das viel zu beliebig. Das sei auch kaum erfolgversprechend, sagen Personalberater. Wenk nutzt die Internetnetzwerke, um „Kontakt zu Menschen zu halten, die ich kennengelernt habe oder mit denen ich in einem Projekt zu tun hatte“. Wichtig ist allerdings ein „vielfältiges und branchenübergreifendes Netzwerk“, sagt David Dubois, Forscher an der französischen Managementhochschule Insead.

Manifestierten sich früher Beziehungen im wenig schmeichelhaften Ausdruck „Vitamin B“, der wie kein anderer für Vetternschaft und Klüngel stand, haben Netzwerke ihr „Geschmäckle“ verloren, ist Weitzel überzeugt. Und auch für Katja Wenk ist klar: „Mit Klüngel hat das gar nichts zu tun, die Verbindungen sind dafür zu lose. Und wenn ich jemanden empfehle und der macht einen schlechten Job, fällt das schließlich auch auf mich zurück. So mache ich mich am Ende auch unglaubwürdig.“

Es sind diese losen Verbindungen, die zwar nicht für den Jobeinstieg, aber den Aufstieg nötig sind. Neu ist diese Erkenntnis nicht. Das hat schon der Soziologe Mark Granovetter in einer viel beachteten Studie aus dem Jahr 1973 gezeigt. „Bis zum zweiten Schritt ist noch viel über Stellenanzeigen möglich“, sagt die Karriereberaterin Svenja Hofert. Ab dann aber würden die Netzwerke stärker greifen.

Wer intern aufsteigen will, braucht schlicht gewisse Seilschaften – Vorgesetzte etwa, die von der Leistung überzeugt sind und den Nachwuchs fördern. Marco Tortoriello, der an der spanischen Managementhochschule Iese dazu forscht, ergänzt: „Studien haben gezeigt, dass bei gleicher Qualifikation derjenige, der ein Netzwerk hat, schneller aufsteigt und ein höheres Gehalt bekommt.“ Der Grund: Wer mehr Menschen kennt, bekommt schlicht mehr mit. Etwa, dass sich in einem Unternehmen der Vertriebsleiter bald verabschiedet. Oder was Kollegen auf ähnlichen Positionen verdienen.

Nur bei Frauen scheint das nicht so recht anzukommen. Während männliche Führungskräfte laut einer Studie für das nordrhein-westfälische Frauenministerium ihr Netz einsetzen, um sich und andere zu befördern, beschränken sich die Frauen darauf, ihre eigene Position zu sichern oder sich gegenseitig fachlich und persönlich zu unterstützen.

Offenbar ist die Scheu, als Aufsteiger mit Beziehungen zu gelten, noch immer groß. Und natürlich gibt es auch immer noch jene, die wegen ihrer guten Kontakte einen Job bekommen – vor allem über sogenannte institutionalisierte Netzwerke wie etwa Ehemaligen-Klubs. „Man kann nicht bestreiten, dass ein Netzwerk Ersatz für Leistung sein kann“, sagt Managementforscher Tortoriello. Allerdings: „Das mag kurzfristig funktionieren, langfristig aber nicht.“ (HB)

Stefani Hergert

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